94 / Herz&Haut / Prosa / Max Klimesch: Befreiung

Befreiung
Mit mehr als nur etwas Skepsis betrachtete ich den fremden Raum.
Er war eingerichtet mit jenem nichtssagenden Chic, der stets den Beifall der
Oberflächlichen fand und das Misstrauen jener erregen musste, die tiefer sehen
konnten. Die plüschigen Pölster und die Stofftiere, die verschämt zu verstecken der
Bewohner dieses Raumes anscheinend nicht den Anstand gehabt hatte, zeugten von
einer Weichlichkeit, die in mir zuerst Heiterkeit hervorruf, welche aber nur allzu bald
in Verachtung umschlug.

Je mehr ich von diesem Raum sah, desto weniger wollte ich glauben, dass hier
tatsächlich ein Mensch gelebt hatte, ein Mensch, der nicht nur diesen Namen trug
und wie einer aussah, sondern tatsächlich einer war.

Die anfängliche Skepsis, als ich diesen Raum betreten hatte, hatte sich erst in
ungläubigen Widerwillen transformiert, dieser Widerwillen sodann in zersetzenden
Ekel, und dieser Ekel hatte sich langsam in kalte Wut verwandelt, die ihren Wohnsitz
tief in mir, irgendwo unter meinem Bauchnabel, hatte und nun in meinen ganzen
Körper ausstrahlte.

Dennoch, als ich meine Gedanken dem Raum mitteilte, tat ich dies in derselben
ruhigen, nüchternen Stimme, die ich schon hatte, solange ich mich zurückerinnern
konnte.

Wenn man diese Hinterlassenschaften betrachtet, regt sich schon Neugier, was für
eine verkommene Existenz hier gehaust haben muss. Aber schließlich siegt doch die
Erkenntnis, dass man das vielleicht gar nicht so genau wissen will.“

Als mir der Raum keine Antwort gab, wandte ich mich direkt an die, die mich nicht in
Ruhe ließ und bis jetzt diskret links hinter meinem Rollwagen gestanden war.
„Oder wie siehst du das?“

Schatz“, sagte die fremde Frau, die angeblich meine Mutter war, in diesem fröhlichverzweifelten
Tonfall, den ich so hasste. „Das ist dein Raum.“

Und mit einem zweckoptimistischen Lächeln, der die tiefe Traurigkeit, der ihre
zierliche Gestalt so vollständig erfüllte, nicht einmal ansatzweise verdecken konnte,
fügte sie hinzu:
„Vor deinem Unfall hast du dich hier immer sehr wohlgefühlt.“

Sie nennt es einen Unfall? Ich nenne es Befreiung.

 

Max Klimesch
Geb. 1995 in St. Pölten. Studium Lehramt (Geographie und Geschichte) an der Uni Wien. Schreibt kurze Prosastücke und Gedichte.