Brigitte Pokornik: Aus dem Alltag der Götter, Fremd, Elternhaus

 

Brigitte Pokornik


AUS DEM ALLTAG DER GÖTTER
3 Episoden

1 – VERLORENE WELT
Hast du schon wieder eine Welt verloren?
Das ist diese Woche die dritte.
Kannst du nicht ein bißchen besser aufpassen – die wachsen schließlich nicht auf Bäumen.
Das Loch in der Tasche hättest du längst flicken können.
Außerdem steckt man eine Welt nicht einfach so in die Tasche. Wenn du sie dann brauchst, ist sie ganz verschmuddelt.
Du bist immer so unvorsichtig. Da hast du.
Aber die nächste zieh ich dir vom Taschengeld ab, daß du es nur weißt.

2 – KINDERSPIEL
Komm mit in die Werkstatt, ich muß dir etwas zeigen.
Schau, das hier hat er ganz allein gemacht.
Er wollte unbedingt mithelfen, und ich hab mir gedacht, so eine große Landmasse, rundherum Meer, was kann schiefgehen.
Zu viel Sand? Naja, der Kleine spielt halt noch gern mit Sand.
Aber schau doch die Tiere – springen wie Gummibälle und ihre Jungen haben sie in einer Bauchtasche dabei. Und ganze Wälder voller Teddybären. Süß, nicht?
Paß auf deine Finger auf, die Küsten sind voller Krokodile. Auf Krokodile ist er im Moment ganz versessen.
Nein, wir lassen das so – du wirst es nicht glauben, aber das System ist stabil.

3 – PROTOTYPEN
Ich hab euch doch ausdrücklich verboten, mit den Prototypen zu spielen. An denen war noch so viel auszubügeln.
Und hört auf zu streiten.
Es ist mir egal, wem von euch sie aus den Fingern gerutscht sind.
Habt ihr wenigstens gesehen, wo sie hingefallen sind?
Da? Am Äquator?
Alles Urwald. Keine Chance, sie wiederzufinden.
Was heißt, es waren nur zwei.
Habt ihr eine Ahnung, wie schnell sich die vermehren.
In ein paar tausend Jahren werdet ihr Augen machen.
Wahrscheinlich muß ich dann die ganze Welt abfackeln.
Wenn sie das nicht selber erledigen.

 

FREMD
So eine schöne Aussicht.
Die Weinberge. Die kleinen Häuser. Der große Himmel. Da sieht man schon von weitem, ob ein Wetter kommt. Und ins Haus hinein sind es nur ein paar Schritte.
Ich sitze jeden Tag auf der Terrasse. Außer es regnet. Preßhäuser sind das. Die kleinen Häuser. Jetzt weiß ich es wieder.
Ich weiß eigentlich gar nicht, wo ich hier bin. Wie die Ortschaft heißt.
Die Frau hat es mir gesagt, aber ich hab es mir nicht gemerkt.
Jetzt kann ich nicht schon wieder fragen.
Nicht, daß sie unfreundlich wäre. Aber sie hat viel zu tun.
Vorhin hat sie Rasen gemäht. Jetzt hängt sie Wäsche auf.
Ich könnte das alles nicht mehr.
Manchmal macht sie Pause und setzt sich zu mir und raucht eine Zigarette. Im Haus raucht sie nicht, nur auf der Terrasse.
Sie sollte lieber gar nicht rauchen. Wo es doch so schädlich ist.
Aber ich sag nichts. Es geht mich ja nichts an, bei einer fremden Frau. Sie muß es doch selber wissen, sie ist alt genug. Hier in der Sonne sieht man, daß sie schon graue Haare hat.
Meine Tochter ist jung gestorben. Weil sie auch immer so viel geraucht hat. Ich hab ihr zugeredet wie einer kranken Kuh, aber sie hat nicht auf mich gehört. Dann hat sie Lungenkrebs
bekommen. Und ist gestorben. Mein einziges Kind.
Das kann sich kein Mensch vorstellen, was das für ein Schmerz ist. Für eine Mutter.
Die Frau sagt immer Mama zu mir. Das ist mir gar nicht recht, aber was soll ich machen. Ich hab hier ein schönes großes Zimmer. Alle meine Sachen sind da. Sogar der bemalte Kasten. Den hab ich noch von der Großmutter.
Ich muß die Frau fragen, wann ich wieder nach Hause kann.
Wie werden wir das machen, mit dem schweren Kasten - der geht doch sicher nicht ins Auto hinein. Und ihr Sohn hat gar kein Auto. Nur ein Motorrad.
Immer am Sonntag kommt ihr Sohn auf Besuch. Wenn ich sein Motorrad kommen höre, das Knattern, das geht mir durch und durch.
Weil ich dann wieder daran denken muß, wie es damals war, wie meine Tochter gestorben ist. Ich hab ihr immer gesagt: fahr nicht mit, auf dem Motorrad. Aber sie war ja so vernarrt in den Kerl. Kaum hat sie das Knattern gehört, war sie schon beim Gartentor. Was ich für Ängste ausgestanden hab`, den ganzen Sommer lang. Und dann der schreckliche Unfall. Ihm ist gar nicht viel passiert. Aber meine Tochter war so schwer verletzt, daß sie noch im Rettungswagen gestorben ist. Das Leben ist ungerecht.
Der Sohn von der fremden Frau sagt Omi zu mir. Dabei kenn ich ihn doch gar nicht. Ums Handgelenk hat er ein Armband tätowiert, das schaut aus wie Stacheldraht. Wie einem so etwas gefallen kann. Das Motorrad hat ihm sein Vater geschenkt. Der lebt in der Schweiz. Eine komische Familie. Jeder wohnt woanders. Zum Muttertag haben sie mich groß ausgeführt, in ein feines Lokal. Alle Tische waren voll und die Leute haben gelacht und sich unterhalten.
Nur ich bin dagesessen und hab nicht gewußt, was ich reden soll.
Mit meiner Tochter wäre das anders gewesen. Da hat es immer etwas zum Plaudern gegeben.
Aber sie ist ja so jung gestorben.
Ich hab gleich gewußt, daß etwas nicht stimmt bei ihr. Als Mutter spürt man das. Dann hat sie es endlich gebeichtet.
Ein lediges Kind. Damals war das noch eine Schande. Mein Mann war so zornig, er wollte sie gar nicht mehr sehen. Sie ist dann in die Stadt gezogen. Da hab ich sie ein paarmal heimlich besucht. In der Wohngemeinschaft. Und dann war es so eine schwere Geburt, daß sie dabei gestorben ist.
Das Kind auch. Ein Bub wäre es gewesen. Ich darf gar nicht daran denken.
Daß ich jetzt auf fremde Leute angewiesen bin.
Auf diese Frau, die sich um mich kümmert.
Ich weiß gar nicht, warum sie das tut.

 

ELTERNHAUS
Das Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, sagte meine Mutter, das gibt es nicht mehr. Von den Häusern steht keines mehr.
Nur, wo die Kirche war, sieht man noch Mauerreste. Wenn man genau schaut. Wenn es einem nichts ausmacht, in die Kratzbeeren hineinzusteigen. Und überall, wo ein Schweinestall war, ist alles voller Brennesseln. Immer noch.
Eine Zeit lang stand noch eine Ortstafel. Dann haben sie auch die heruntergeschossen.
Von unserem Haus, sagte meine Mutter, gibt es nicht einmal ein Foto. Aber wenn ich die Augen zumache, steht es vor mir. Als wäre gar nichts geschehen.
Meine Mutter gibt es nicht mehr. Nur ein bißchen Asche, auf der nichts wächst, weil sie in einer Urne eingeschlossen ist.
Von meiner Mutter gibt es eine Handvoll Fotos. Aber das Bild von dem Haus, hinter ihren geschlossenen Augen – das ist weg.
Als wäre es nie gewesen.


Brigitte Pokornik
Geb. 1950 in Wien. Studierte Soziologie und Völkerkunde, Diplom der HS f. Angewandte Kunst (Wien). Arbeitet als freiberufliche Spieleautorin, schreibt seit 2011 Kurzgeschichten. 11. Nordhessischer Literaturpreis 2012, „Kleinstadtkino“ – 2012 in der Anthologie „Lebensräume“ (Forum Land, Österr. Agrarverlag) „Alte Möbel“ – „etcetera“ 2014. „Der letzte Sommer“ – 2015 in „Das Lächeln der Stille“ (Oldigor-Verlag). „Post“ – „etcetera“ 2015. „In der Mitte“ – „etcetera“, 2016. „Ein letzter Hauch“ – „etcetera“ 2017. „Der größte Verführer“ – „etcetera“ 2019.