Elfriede Bruckmeier: Ein Wald ohne Hosenträgern oder Die Inprugger Streifen

Elfriede Bruckmeier
Ein Wald mit Hosenträgern oder Die Inprugger Streifen


Irgendwann in den ersten Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts begab sich der Tross des Kaisers Franz Josef zur Jagd ins Alpenvorland und man benützte dazu die Straße, die heute die 19er Bundesstraße genannt wird. Man bewegte sich langsam in Richtung des Jagdreviers, doch in Inprugg wurde angehalten. Die Gemeinde hatte alles aufgeboten, um den Kaiser zu begrüßen: weißgekleidete Mädchen, die sangen und Gedichte vortrugen, der Bürgermeister hielt eine kurze Ansprache, eine Musikkapelle spielte, und es gab natürlich Wein und Imbiss. Seine Majestät war gerührt und wies den Sekretär an, den braven Bürgern etwas zu schenken, nämlich einen Wald. Ob es nun ein Schildbürgerstreich war oder weise Voraussicht: Der Wald wurde unter allen erwachsenen Bürgern und Bürgerinnen der Gemeinde aufgeteilt. Jeder und jede bekam einen Streifen von etwa 8 m Breite und mehr als 1 km Länge.

Schnitt
Einige Jahre später befand sich mein Großvater auf der Fuchsjagd, zusammen mit seinem unentbehrlichen, preisgekrönten Zuchtrüden Waldi und einem Bauern aus Inprugg. Der Bauer wurde an einem der Ausgänge des Fuchsbaues postiert und der Hund von der Leine gelassen. Dieser stöberte eine Weile in dem weitläufigen Bau herum, und bei dem Ausgang kam dann leider nicht der Fuchs sondern der Dackel heraus. Er wurde vom Bauern erschossen. Welche Tragödie!

Der untröstliche Bauer bot meinem Großvater als Kompensation seinen Streifen und den seiner Ehefrau an, wissend, dass die Streifen an den Waldbesitz des Großvaters grenzten. Der willigte ein. Die beiden Streifen waren ziemlich weit voneinander entfern, denn die Ehefrau kam zwar auch aus einer Inprugger Familie, aber ihr lediger Name begann mit einem Z, der des Bauern mit einem B. Auf dem Plan sah das tatsächlich aus wie 6 ha Wald mit Hosenträgern, worüber wir uns immer amüsierten. Wir mussten oft diesen Wald begehen, um zu kontrollieren, ob nicht etwa Holzdiebe am Werk wären. Die Streifen ließen wir links liegen, vielleicht wurden sie sogar von den Bauern mit betreut. Nach dem Tod meines Großvaters erbte meine Mutter den Wald, und nach ihr meine Schwester, die ihn sofort verkaufte. Hoffentlich hat der neue Besitzer Freude an diesem Monstrum.


Elfriede Bruckmeier
Geb.1940 in Wien, lebt in Eichgraben, NÖ, wo sie seit 43 Jahren (bis 2017 gemeinsam) mit ihrem Mann, dem Maler Lothar Bruckmeier, den Verein für Kunst und Kultur leitet. 10 Jahre lang Organisation der PODIUMS Lesungen in Neulengbach und Eichgraben. Mitglied des ÖSV und des PODIUM 1982 - 2002 freie Kulturjournalistin für Morgen, Furche, NÖ Kulturberichte u. a. Veröffentlichungen von Essays, Lyrik und Prosa in Zeitschriften und Anthologien; Katalogtexte und Kuratorentätigkeit für Ausstellungen bildender Kunst. Veröffentlichungen: „Zeit Zyklen“ HAIKU mit Bildern von Nadja Dominique Hlavka; PODIUM Porträt Nr. 52; „Der Tempel Stillness in Japan“ HAIKU in Deutsch und Englisch mit Bildern von Marielis Seyler. „Eichgraben in alten Ansichten“.„Eichgrabner Geschichte(n)“. „Kostproben“ Literaturedition NÖ 2020 .