Gerraud Artner: So eine schöne Ausstellung

Gertraud Artner
So eine schöne Ausstellung


Der Raum war anscheinend leer, aber irgendetwas störte Elisabeth. Sie hatte das Gefühl, nicht allein zu sein. In den Nebenräumen ging soeben die Vernissage der aktuellen Ausstellung über die Bühne, ein voller Erfolg zeichnete sich ab – Betonung auf voll. Die Eröffnungsreden – erst der Museumsdirektor, dann der Bürgermeister – hatte sie noch tapfer durchgestanden, das war schließlich eine Frage der Höflichkeit. Doch nun wollte sie möglichst unauffällig verschwinden, und als sie weiter hinten eine Tapetentür entdeckte, schlüpfte sie schnell durch.
Was für eine Wohltat: ein leerer Raum im Halbdunkel, der Lärmpegel von der Ausstellung kaum wahrnehmbar. Aber da war noch ein anderes Geräusch, ein Schnaufen, ein Winseln... Elisabeth dachte an ein verletztes Tier, konnte aber nichts entdecken. Sie suchte jeden Winkel ab und tatsächlich, in der hintersten und dunkelsten Ecke sah sie eine gebeugte Gestalt, die sich wie unter Schmerzen krümmte. Es war der Künstler.

Elisabeth wollte ihren Augen nicht glauben. „Das darf nicht wahr sein“, entfuhr es ihr. Da blickte er, der eigentlich nebenan im Mittelpunkt stehen und gefeiert werden sollte, auf und sagte: „Ich hasse es. Dieses verlogene Theater, einfach unerträglich!“

Mittlerweile war Elisabeth nähergekommen, teils aus Neugierde, teils um ihn zu beruhigen. Was sollte sie bloß sagen? Heinz Leitner hieß er, wie sie von den Plakaten und der Einladung wusste. „Herr Leitner, bitte...“, begann sie unsicher, aber der war nun voll in Fahrt: „Ich hasse es! Ich hasse es! Ich hasse es!“ „Bitte, Herr Leitner“, versuchte sie es neuerlich und jetzt schien sie der Maler endlich wahrzunehmen. „Wer sind Sie, gehören Sie zu denen da draußen? Hat man sie geschickt, mich hinauszulocken?“, fragte er, um dann wieder mehr zu sich selbst fortzufahren: „Denen ist alles zuzutrauen, einfach hemmungslos, widerlich wie die Aasgeier. Es ist zum Kotzen!“ Das hielt Elisabeth nun doch für übertrieben. Bei aller Kritik am Kunstgeschäft, der arme Mann litt offenbar an Wahnvorstellungen. Langsam wurde es ungemütlich. Als nächstes würde Leitner seine Wut womöglich an ihr auslassen: Sie packen, duchschütteln, würgen oder sogar als Geisel nehmen? „Nichts wie weg, bevor er völlig durchdreht“, dachte sie und erinnerte sich an die unter Künstlern fast sprichwörtliche Eitelkeit. Also begann sie in den höchsten Tönen zu schwärmen: „Aber die schönen Bilder! Sooo schöne Bilder habe ich noch nie gesehen! Und so eine schöne Ausstellung!“

Tatsächlich schien Leitner wie verwandelt. Er musterte sie aufmerksam und sagte dann trocken: „Ich glaube Ihnen kein Wort.“ Darauf erwiderte Elisabeth sehr sachlich: „OK., ich hab es zumindest versucht. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?“ Die Antwort erfolgte umgehend: „Lassen Sie mich allein und erzählen Sie niemanden, dass sie mich hier gesehen haben.“ „Aber natürlich, selbstverständlich, meine Lippen sind versiegelt.“ Noch ein Schritt bis zur Tapetentür und schon war sie draußen.

In den Ausstellungsräumen war es deutlich ruhiger geworden. Entschlossen steuerte Elisabeth auf das kalte Buffet, bzw. was davon noch übrig war, zu. „Ein Glas Wein wird sich wohl noch auftreiben lassen,“ dachte sie, als ihr Conny über den Weg lief. „Nicht viel los heute“, stellte die alte Freundin gelangweilt fest. Da war Elisabeth ganz anderer Meinung und sie dachte auch nicht eine Sekunde daran, ihr tolles Erlebnis für sich zu behalten. Conny würde vor Neid erblassen.


Gertraud Artner
Geb. 1948 in St. Pölten, Dr. phil., Studium der Malerei und Soziologie, in der Kunstvermittlung tätig, lebt in Wien. LitGes Redakteurin seit Jahren.