Karla Letterman: Dicker Fisch im Netz

Karla Letterman
Dicker Fisch im Netz


Manche Leute beenden ihren Satz energisch mit ‚Punkt‘. „Darüber diskutiere ich nicht. Punkt.“
Mein Nachbar sagt penetrant „peng“, wenn er etwas betonen will. Bei mir heißt sowas „pink!“. Du glaubst, ich geh mit dir essen und du kannst dir den Cocktail sparen? Abflug. Pink!
Ich suche keinen Mann zum Kuscheln, für Strandspaziergang oder romantischen Kinoabend. Diese Sorte Männer muss ich nicht suchen. Die kommen angerannt, legen den Kopf schräg wie ein Hündchen beim Leckerli-Betteln und laden mich auf eine Weise ein, die gerade noch als zivilisiert durchgeht. Den einen oder anderen erhöre ich, mache ihn für einen Abend glücklich und mich in jeder Hinsicht satt, und wenn er sich die nächsten Tage an meiner Fake-Nummer die Finger wund telefoniert, ist er ein Trottel, der das Leben nicht verstanden hat.
Wer aussieht wie ich, schnippt bei Bedarf mit dem Finger. Pink!
Ja, meine Finger- und Fußnägel sind gepflegt und sorgfältig pink lackiert, was sonst. Meine Haare habe ich nach Marilyn- Style gerichtet, meine Kleider wähle ich ganz bewusst nicht eng, das würde sonst oversexed wirken; am besten, man lässt der Fantasie noch etwas Raum, jedenfalls vorgeblich; ich sorge schon dafür, dass sich die richtigen Kurven richtig abzeichnen.
Was ich suche, ist ein dicker, fetter Fisch. Er muss Geld angesetzt haben wie andere Leute Hüftgold, denn meine Interessen sind kostspielig.
Ich rede nicht von etwas Gewöhnlichem, von einem vorgefertigten, vermeintlichen Abenteuer wie Insel-Hopping auf den Seychellen. Dazu bin ich viel zu aktiv, zu individuell und zu neugierig. Die letzte Reise mit Graham, in der er mir die schönsten Orte Argentiniens zu Füßen legte, entsprach mir. Der Aufenthalt auf dieser entlegenen Bergfarm in den Anden wird mir für immer in Erinnerung bleiben: richtig guter Rotwein, spektakuläres Panorama, muskulöse Pferde, die mit irrer Leichtigkeit über die schmalen Pfade tänzelten, und Gastgeber, die unsere Bedürfnisse erahnten, bevor sie uns selbst so richtig bewusst waren. Es war wirklich eine Tragödie, dass Graham das Geld ausging.
Graham war trotz seines Alters ein ansehnlicher Mann. Fast 30 Jahre älter als ich, doch – das habe ich von ihm gelernt – wer sein Äußeres in Schuss halten will, muss zuerst sein Innenleben umkrempeln, sonst klappt es nicht. All diese Jungs mit ihrem Hundeblick, die sich was auf die albernen schablonenhaften Konturen einbilden, die sie dir in der Muckibude verpassen, werden nie kapieren, was ich meine.
So wie Jean-Luc, mein erster Fang: schicker Typ, auch intelligent genug, das pralle Erbe seiner Mutter ordentlich zu verwalten, aber ohne wirkliche Extravaganz. Unerfahren wie ich war, dachte ich, der Dreiklang Dom Perignon-Dubai-Paragliding, den er mir bot, könnte mich flashen. Doch der Kick hielt nicht lange. Nach einem halben Jahr Sonnyboy-Mimik, lässiger Geldschein-Gestik und Überraschungen von der Stange schmeckte der Champagner flau, die Leute in Dubai wirkten genauso austauschbar wie in der Sylter Sansibar, und für die angepriesene Erhabenheit beim Paragliding fühlte ich mich auf Dauer zu jung. Jean-Luc war einer von denen, die Wert auf das Muskel-Sixpack überm Bauchnabel legen. Zu was Besonderem machte ihn das nicht. Ich kriege auf mein pinkes Fingerschnippen hin nicht nur jede Art von Sixpack geboten, sondern auch die weitere Ausstattung genau in dem Maß, wie es mir vorschwebt. Gähn! Nach sechseinhalb Monaten mit Jean-Luc träumte ich in einer lauen Nacht, dass er mir Blumen von der Tankstelle mitbrächte. Das war es dann.

Im Laufe der Zeit habe ich meine Erkundungstechnik erheblich verfeinert. Praktischer Weise kann ich das meiste vom Schreibtisch aus erledigen, und zwar während der Arbeitszeit. Wenn ich die Daten der Versicherungsnehmer in die Bestandsdatenbank eintippe, überprüfe ich flink und pink, zu welchen Konditionen die Luxusschlitten abgesichert sind.
Es gibt verschiedenste Pakete, manche mit Rundum-Sorglos- Garantie, andere mit ausgeklügelten Risiken. Mein Chef ist Spezialist für KFZ-Versicherungen und hat sich kluger Weise auf die Klientel eingeschossen, die sich mehr als den S-Klasse- Standard leisten kann.
Ich habe mir bewusst eine Arbeit beim Versicherungsmakler gesucht, nicht etwa bei einer der Gesellschaften. Die Arbeit beim Makler hat nämlich den Vorteil, dass du nicht auf die Zielgruppe festgelegt bist, die auf die aktuelle Werbekampagne der Versicherung abfährt. „Ein Kratzer kratzt mich nicht“ oder „Entscheid dich für die Beitragsbremse“ oder „Grüner wird’s nicht“ – wer auf solchen Dünnsinn anspringt, passt definitiv nicht in mein Raster.
Der zweite Vorteil beim Makler ist: Du kannst den Datenbestand nach diversen Kriterien checken. Wer den Oldtimer der Gesellschaft X anvertraut, hat die Wohngebäuderisiken vermutlich woanders abgesichert – jedenfalls, wenn er schlau ist. Und wer noch schlauer ist, hat seine hoffentlich vielfältigen Wohngebäude auch bei unterschiedlichen Gesellschaften versichert. Denn während die eine besser bei Flutschäden ausgleicht, ist die andere kulanter bei Steinschlag.
Und so kriegst du beim Makler ohne großen Rechercheaufwand mit, wer ein Häuschen in den Bergen, eine Villa am Meer, ein Apartment in New York und einen 300 SL sein Eigen nennt.
Cedric war so einer. Mit SL in leuchtendem Aquamarin! Ich verliebte mich sofort in ihn, als ich mein geschickt eingefädeltes Parkplatzmanöver ausführte und Mann und Maschine
das erste Mal live sah. Vorher hatte ich nach hartnäckiger Recherche endlich herausgefunden, in welchem Hotel er zu dieser Sponsorenkonferenz absteigen würde. Das Kennzeichen des Wagens kannte ich aus dem Online-Versicherungsschein, ich brauchte also nur noch den Augenaufschlag zu üben. Cedric reagierte erstaunlich gelassen auf die Beule, das nahm mich sofort für ihn ein. Ich hatte mich allerdings auch in Acht genommen. Ich wollte ja nicht lange auf den ersten Ausflug in dem Schmuckstück warten. Es klappte wie vorgesehen; Cedric schwänzte die entscheidende Sponsorenabstimmung und unternahm mit mir eine Spritztour an die Küste. Das Meer leuchtete fast so türkis wie der Mercedes – eine Wasserfarbe, die an gewöhnlichen Tagen der Karibik vorbehalten ist.
Erst viele Ausflüge später wurde mir klar, dass Cedric in seinem Herzen ein Fuchs war, leider in der Ausprägung des Sparfuchses. Einer Angestellten wie mir erschließt sich das nicht sofort, denn all seine Hobbys, all seine Eskapaden sind in meiner Gehaltsklasse unerschwinglich. Doch es gibt reich – und es gibt spendabel. Das zweite folgt nicht zwangsläufig aus dem ersten. Cedrics Rosensträuße waren dreißigmal so teuer wie Tankstellen-Blumen, und doch waren es immer Schnäppchen. Das Spontane, Begeisterungsfähige, das Überschäumende, das ich so mag, äußert sich darin, dass man auch mal beim teuersten Händler kauft, weil er einem gerade vor die Augen tritt, oder, noch besser: dass es einen überhaupt nicht interessiert, ob es der teuerste Händler ist.
Doch so tickte Cedric nicht. Irgendwann hätte er den Cocktail nach dem Essen nicht mehr spendiert. Schade um ihn ist es trotzdem. Das Dahingleiten in dem Traumauto war so cool wie im Film, und die passende Musik hatte er immer zur Hand.
Seitdem checke ich zusätzlich zu meinen bisherigen Kriterien die Versicherungspakete des potenziellen Kandidaten auf das, was ich den ‚Esprit-Faktor‘ nenne. Damit meine ich zum einen: Er darf sich auf keinen Fall für das günstigste Angebot entscheiden. Wenn er sich schon eine Luxuskarre leistet, sollte er nicht an dem sparen, was versichert ist. Schließlich geht es nicht nur um ihn selbst, sondern auch um die Bedürfnisse seiner Beifahrerin! Welche Kosmetik-OPs sind im Zweifelsfall möglich? Das ist ganz und gar keine unwichtige Frage!
Andererseits sind mir auch die All-inclusive-Abschließer ein Dorn im Auge. So ein Sorglos-Paket ist nicht nur das Unoriginellste, was man buchen kann. Es zeigt auch, dass einer nicht wirklich mit Herzblut dabei ist, wenn es darum geht, die schönen Seiten des Lebens zu genießen. Man muss sich schon ein bisschen hineindenken in das, was man tun will. Vorsorge treffen und dann Vorfreude auskosten! Manche vom Leben Bevorzugten sind so oberflächlich, dass sie ihren Reichtum nicht verdient haben. Wie kann man so unsinnlich sein, nicht zu wissen, wie Genießen geht! Manche kommen mir vor, als arbeiteten sie den Schöne-Seiten-Katalog ab, ohne mitzukriegen, ob es Echtgold ist, was da glänzt, oder ein besprühtes Ikea-Regal. Ein bisschen so war Cedric, wenn auch sicher nicht einer der Krassesten. Man hatte ihm beigebracht, dass ein Mercedes 300 SL etwas Großartiges ist. Aber er hat es nicht gespürt.
Mein neuester Bestandsfund macht auch nach zusätzlicher Netz-Recherche einen vielversprechenden Eindruck. Roberto ist Erbe einer italienischen Inneneinrichtungskette, die er jetzt in Deutschland etabliert hat. Seine Wohnung mit Dachterrasse in München hat er aufgegeben; die Stadt, heißt es, macht ihn melancholisch, seit seine Frau sich in der Isar ertränkt hat. Er lebt derzeit in Hamburg. Die Höhe der Hausratversicherung für sein 170-Quadratmeter-Apartment in der Hafencity lässt keine Allerweltsausstattung erwarten. Auf Instagram interessiert er sich für Hashtags, die mit hochwertigen Antiquitäten zu tun haben, für Segelyachten und die Restaurierung von Überseekoffern. Er besitzt eine Villa in San Gimignano, ein Haus in der Bretagne, und zwar an der spektakulären Côte de Granit Rose, und er ist Hubschrauberpilot.
Der Mann scheint Geschmack zu haben und ein Individualist zu sein. Perfekt für mich! Meine Kusine, die den Vertrieb einer Hamburger Reinigungsfirma leitet, hat sich offen für die Erledigung kleinerer und mittlerer private Aufträge gezeigt, wenn daran kleinere und mittlere Geldzuweisungen geknüpft sind. Sie hat bereits Kontakt zu Roberto aufgenommen und ihr Unternehmen als Spezialfirma für die behutsame Reinigung kostbarer Inneneinrichtungen ins Spiel gebracht. Am kommenden Montag hat sie einen persönlichen Termin mit ihm. Ich werde sie begleiten.
Das Wochenende wollen wir nutzen, um bei einem Schluck köstlichen Schaumweins die Details auszubaldowern. Ich bin optimistisch, dass der Fisch diesmal sozusagen maßgefertigt ist. Genug Geld hat er, keine Frage. Geschmack hat er. Was er braucht, ist eine atemberaubende Frau mit Mut, Ideen und Tatkraft. Was ich brauche, ist ein Mann für die längerfristige Perspektive. Denn dieses Schlussmachen strengt mich jedes Mal wahnsinnig an.
Bei Jean-Luc ergab sich alles noch recht unkompliziert: erst Dom Perignon, dann ab mit dem Gleitschirm bei riskanter Wetterlage. Grahams Unfall in den Anden jedoch hat mich eine Menge Nerven gekostet. Die Bergfarm-Familie tat geradezu so, als wäre ich schuld daran! Nur weil ich für den bewussten Morgen einen romantischen Ausritt in den Sonnenaufgang hinein geplant hatte – romantisch heißt: ohne Bergführer, versteht sich.
Sehr unerfreulich – und vor allem unappetitlich – war Cedrics Ende. Litt dieser sportliche Mann, der vor Gesundheit nur so zu strotzen schien, doch tatsächlich an so einer lästigen kleinen Nussallergie! Er versäumte es, sich bei unserem Picknick in der Sächsischen Schweiz nach dem Salatöl zu erkundigen, und langte ordentlich zu. Ich hatte schließlich nicht an seinen Lieblingszutaten Artischockenherzen und grünem Spargel gespart. Genießen konnte er die guten Dinge nicht mehr wirklich, denn der anaphylaktische Schock überfiel ihn rasant.
Ich wusste kaum, wie mir geschah, es ging alles unglaublich schnell: Cedric begann mitleiderregend zu röcheln, krampfte kurz darauf und erbrach sich schließlich, was irgendwie mit dem Röcheln zusammen zum Ersticken führte. So erklärte es mir der Rettungssanitäter später – und besaß die Frechheit, mich im selben Atemzug zum Abendessen einzuladen. Was Frauen wie ich sich manchmal anhören müssen, ist unter aller Kanone.
Doch nun wird alles gut, ich spüre das. Gerade habe ich Roberto noch einmal auf Xing gecheckt. Jetzt blicke ich in einen fulminanten Sonnenuntergang und sehe überall … pink!


Karla Letterman
Die Bloggerin, Autorin und Informatikerin lebt in Lübeck. Nach dem Abitur erlernte sie bei einer Tageszeitung das journalistische Handwerk, danach studierte sie Informatik und Philosophie. Sie verdiente ihr Geld bereits als Journalistin, Geschäftsführerin einer Druckerei und Software-Entwicklerin. Das Schreiben jedoch kann sie nicht lassen. Ihre Passion sind Krimis, Glossen und Kurzgeschichten.
Homepage: karla-letterman.de