Maria Lakschimi: Mein weites Paradies, Was sag`ich meiner Tocher?, Glücklicherweise war er nicht abzuschütteln

Maria Lakschimi


Mein weites Paradies

Das Haus strahlt die Vielfalt versunkener Welten aus
spiegelt eine Wehmut herein,
in süßem Orange, in fülligem Lachs,
die Spielarten klar erfühlter Jugendstilmuster
spiegeln verzückt den Gedanken an damals in die Weite,
als noch alle da waren,
für eine Weile, neben dem Weiler,
vom Familienvater könnte die mächtige Esche erzählen,
von der liebenden Mutter und den beiden Mädels,
der vierköpfigen Einheit, die hier am Wochenende immer
war.

Die vergilbte Familienzeit starrt mich feist an.
Da ich das Haus besichtige, weil ich das Paradies hier suche.
Meine Frau und ich wollen neue Wurzeln schlagen,
kann gut möglich sein, hier:
Alle Buddhas, Sivas, Hanumans,
die feinst gewebten Teppiche
erzählen von tausenden erträumten Mustern
in bester Absicht jahrelang für diesen Moment vorbereitet,
zwei Schlafzimmer und drei WCs, 3 TVs und 2 Bäder
jedes anders im Stil, sogar die Selchkammer
ist jetzt ein Bücherschrank im Wohnbereich.

Mein Paradies. Doch wie werde ich nach dir rufen,
wenn ich dich nicht finde? Wohin blicke ich,
um deine Nähe zu fühlen, was wirst du sagen,
wenn wir auf fünfhundert Quadratmetern wohnen werden?
Wer wirst du mir sein? Die gleiche wie jetzt?
Oder mutierst du in ein neues Wesen
in einer breiteren, weiteren Umgebung?
Wird deine Geometrie sich immer noch
in der Richtung meiner drehen? Oder mich abstoßen?
Wirst du vor mir zurückweichen, wenn ich Umarmungen
einfordere?
Wird des Hauses Zier uns erfüllen können?
Oder wird seine Erschöpfung ihren Zoll fordern?
Wirst du immer da sein oder mich zu bald verlassen?
Wer wird dann aus mir, wenn ich all-ein bin,
und was wird das Haus sagen?

Einem Schlaganfall des Vaters zufolge, der ihn völlig lähmte,
kam damals die Einheit der Familie nie wieder ins Haus.
Doch die Mädels, denen das gesamte Obergeschoß gehören
sollte, waren sowieso nie mitgekommen, seien praktisch
nie da gewesen, sagten die Eltern im Nachhinein,
wissen die Nachbarn.
Was die Mutter wollte, war den Mädels egal,
sie kamen nie in die familiäre Jugendstiltraumvilla,
wo man vom Bad aus Himmelblick hat,
wo der offene Kamin knistert, wo die bunte Küche
direkt durch die Terrasse in den Zaubergarten
mit der Esche, mit der Föhre, führt.

Nun ja, die Esche muss umgehackt werden, sie ist trocken.
Was erfahren wir über die Mutter?
Nichts, außer dass sie den Vater nach seinem Schlaganfall
pflegte.
Doch da war die glückliche Familie längst nicht mehr hier.
Doch wir sind jetzt hier und wir sind beliebt.
Denn wir sind zu allen nett und großzügig.
Hier in meinem Paradies, in meinem zukünftigen Einsamkeitsparadies.
 

Was sag`ich meiner Tochter?

Füll` mich auf, Leben, mit dem, was fehlt bei mir, fülle mein Oberstübchen, meinen Magen und mein Eingemachtes, mit Erfahrungen, die meinem Mut entspringen, die meinem Eigentlichen entsprechen, die mir zeigen, wer ich noch bin außer derer, die ich bis jetzt war.
Zeig` mir Menschen, die mich ganz ich sein lassen, statt an mir zu nörgeln, zupfen, tögeln.
Zeig` mir Menschen, die mir meinen Raum lassen und sich dort nicht breit machen.
Zeig` mir die, die auch gern schreiben, die da draußen die Fühler ausstrecken, ihre Magnete dorthin richten, wohin ich selber blicke.
Ja, füll` mich auf, Leben, zeig` mir, was mir fehlt, stell` meinen Ferngucker ganz genau ein.
Meine Tochter, schau, es ist klar, es war nur so daher gesagt. Als du damals, als wir damals, da war ja doch noch nix so, wie wir wollten, ich, ja, nein, und doch.
Ich konnte nicht anders, musste dringend einfach mal auch ich sein, wenn du weißt, wie ich`s mein`, denn du warst ja so klein und immerda, ich weiß, ich war ja auch immerda, und du wolltest mehr du sein, dein Ich und mein Du, die konnten nicht viel miteinander anfangen, da konnte nichts beginnen.

Jetzt bezeugen wir`s, wir saßen in einer Falle aus Marzipan, Zucker und Lob, und eigentlich - schwammen wir beide in einem riesengroßen Bottich aus Sehnsucht, in dem wir ertranken, weil wir nicht schwimmen konnten und kein Ausstieg in Sicht, doch jetzt sind wir wieder geboren, wie es weitergeht, das sehen wir dann, wenn wir hingeschaut haben.


Glücklicherweise war er nicht abzuschütteln

deshalb nahm ich ihn einfach an und ging mit ihm ein Stück meines Weges, meiner Lebensreise, ich nahm ihn leicht mit und wir spielten ab und zu Fangen. Doch dann auf einmal bog er ab, gefunden hatte er ein größ`res Du als ich je sein oder werden konnt`.
Gut, gut, sagte ich, mach`s gut, mein Freund, und dann wusste ich schon bald, dass es sich mit zwei Beinen leichter geht als mit vier, und ich freute mich über meine neue Beweglichkeit, juhu, doch wisse bloß, jederzeit hab` ich die Chance auf ein neues Du. Bis dann will ich nur flanieren, nirgends hin.


Maria Lakschimi
Geb. 1967 in St. Pölten, Studium der Germanistik und Anglistik an der Uni. Wien. Professorin an der HAK St. Pölten, besondere Vorliebe für Dadaismus und Surrealismus, Lektorat an der Universität Birmingham, Diplomarbeit: „Karl Kraus und der Dadaismus“. Poetische Auftritte in Wien und quer durch NÖ/OÖ, auch als Theaterschauspielerin. Erster Roman: Einmal Bewegen, 2013. Gründerin von Sei Leicht - Die Herzdenker, einer Gruppe aus der Kraft der Intuition kreativ Schreibender.