Renate Katzer: Der Tisch

Renate Katzer
Der Tisch


Der Tisch gehört ebenso wie der Sessel zur Gattung der Vierbeiner, er ist männlich und imstande, tadellos auch auf einem Bein zu stehen. Seine Beine können schlank, stämmig oder geschwungen, quasi O– beinig sein. Lebt ein Tisch auf einem und besonders hohem Fuß, so wird er paradoxerweise als Stehtisch bezeichnet. Dieser ist zumeist rund, man steht um ihn herum, stellt sein Glas ab, trifft sich, geht wieder. Stehen sollte ein Tisch in jedem Fall. Ist ein Bein ungleich länger als die anderen drei, wackelt er und es muss zur ersten Hilfe etwas unterlegt werden, ein Bierdeckel zum Beispiel.
Ein Tisch lebt in vielen Fällen allein, am häufigsten jedoch im Verein mit einem oder mehreren Sesseln. Dem Tisch kommt hohe, gesellschaftliche Bedeutung zu. Wenn es heißt: >zu Tisch!< so gilt dies als Aufforderung, möglichst schnell Platz zu nehmen und das Essen einzunehmen. Man sitzt dann bei Tisch – das impliziert, dass sogenannte Tischmanieren einzuhalten sind. Aus diesen entwickeln sich die Tischsitten und die Tischkultur. Andere Länder, andere Sitten.
Während es bei uns ein grober Fehler ist, während, oder nach dem Essen laut zu rülpsen, ist dies in orientalischen Ländern durchaus erwünscht.

Klopft eine oder einer nach dem Essen ans Glas, so hält sie oder er eine Tischrede.
Naturgemäß kommt es zu Tischgesprächen, beim Runden Tisch wird das vorausgesetzt. Ist ein Tisch besonders festlich gedeckt, wobei das weiße Tischtuch unerlässlich ist, spricht man von einem Festtisch, in besonderen Fällen (bei einer Verlängerung durch Anfügen mehrerer Tische) wird aus diesem eine Tafel. Dann wird nicht gespeist, sondern getafelt, keineswegs getischt, obwohl aufgetischt ist. Jene Personen, die an einer Tafel Platz nehmen, werden zu Tischdamen oder Tischherren, keinesfalls zu Tafeldamen oder Tafelherren.
Nach dem Festmahl wird die Tafel aufgehoben. Das rührt daher, dass zu früheren Zeiten aus Platzgründen die Tafel tatsächlich aus dem Raum getragen wurde, um freie Tanzfläche zu gewinnen. Die Damen rückten an die Wand, jene, die nicht aufgefordert wurden, blieben >Mauerblümchen.<

In diesem Zusammenhang soll nicht unerwähnt bleiben, dass neben Speisen und Getränken durchaus auch Märchen aufgetischt werden können, das kann sogar so weit gehen, dass sich die Tische biegen. Nach Abschluss des Hauptgerichtes, wird gerne auch ein Nachtisch gereicht.
<Reinen Tisch> zu machen hat weniger mit der Säuberung desselben zu tun, als vielmehr in eine Angelegenheit Klarheit zu bringen.

Ein Tisch wird auch als Herzstück einer Wohnung bezeichnet, wobei dem Beistelltisch eine Nebenrolle zukommt. Eine Trennung von Tisch (und der Vollständigkeit halber auch Bett) bedeutet also, eine mehr oder weniger schmerzliche Abkehr von den gemeinsamen Mahlzeiten und Zusammenkünften. <An einen Tisch setzen> heißt auch, gemeinsam in Problemfällen eine Lösung anzustreben.

Ein Tisch kann durchaus Geschichte schreiben, besonders wenn man ihn beschreibt oder, (sofern er aus Holz besteht) Namen oder Herzen einritzt.
An einem Schreibtisch wird geschrieben. Auf Grund von Gedankenflut können an diesem in vielen Fällen unhaltsame Zustände herrschen. Überbordende Stapel von Ideenüberschüssen können zu Verwüstungen führen.
Keinesfalls ist es fremden Personen erlaubt, helfend einzugreifen um Kanäle von Ordnungszonen zu schaffen.
Im besten Fall kann es vorkommen, dass man im herrschenden Chaos längst verloren Geglaubtes wieder entdeckt und es zu einem Anschub in Zeiten kommen kann, in denen man an einer Schreibhemmung gelitten hat.

An einem Spieltisch wird gespielt, dort besteht die Gefahr, dass man >über den Tisch gezogen wird<, was einem Betrug gleichkommt.
Steht ein Tisch im Garten, wird er zum Gartentisch, >Katzentischerl<, ist die abschätzige Bezeichnung für ein kleines Tischchen, auf den die Tafel herab blickt.
Die Bezeichnung >Einlegertisch< stammt aus früherer Zeit, damit ist jene, im Hausflur an die Wand zu klappende Tischplatte gemeint, an der gnädigerweise bedürftige Personen verköstigt wurden.
In etwas anrüchiger Atmosphäre lässt man auf einem Tisch auch tanzen. In diese Kategorie fällt auch das sogenannte >Tischerlrücken<.

Eine besondere Spezies stellt der Stammtisch dar – er ist wie schon gesagt – männlich und öffentlich zugänglich. Um ihn herum ranken sich viele Geheimnisse und somit entzieht er sich einer näheren Deutung. Soviel sei gesagt: meistens ist er rund, bejahrt und hat demnach schon viel erlebt. Ein Stammtisch unterliegt der Sperrstunde und verschließt sich jenen, die sich eines Platzes dort nicht als würdig erweisen. Politikern, oder jenen, die es werden wollen, sei angeraten, sich so zu benehmen, dass sie am Stammtisch willkommen geheißen werden.
Ein Stammtisch ist eher nachtaktiv. Ein ungeschriebenes Gesetz besagt, dass alles dort Besprochene nicht nach außen getragen werden sollte. Dieses Gesetz hat Lücken. Soviel noch, ein Stammtisch sollte in keinem Gasthaus fehlen.


Renate Katzer
Lebt in Salzburg. Lyrik, Kurzprosa. Ihre Werke erscheinen in Anthologien, Literaturzeitschriften. Zahlreiche Lesungen, u.a. beim Tagebuchtag der LitGes 2015. Lyrikband: „ Ins Wort fallen“ (2011, Edition Weinviertel)