18. Schreibwerkstätte Drosendorf 2020

Heuer fand zum 18. Mal die Schreibwerkstätte Drosendorf unter der Leitung von Obfrau Eva Riebler im Schloss Drosendorf statt.
Corona-bedingt beschränkt auf 12 Teilnehmer, die alle ganz euphorisch waren, dass diese Woche stattfinden konnte. Saß man doch gemeinsam um einen einzigen runden Tisch und schrieb, las vor und diskutierte. Der Tisch ist allerdings riesig und auch 17 Teilnehmer/innen hatten früher Platz.
An den ersten beiden Tagen wurde bereits um 9 Uhr begonnen und über die Neuerscheinung von Cornelia Travnicek: Feenstaub aus dem Picus Verlag und Sabine Hirth: das Loch (beide Rezensionen bereits im Etcetera-Heft 80 März 2020) diskutiert. Genauso wurde aus diesem Heft 80 „The best of …“ der Beitrag von Thomas Fröhlich zur Diskussionsunterlage herangezogen. Äußerst spannend spann sich die Kontroverse und jeder konnte für sein eigenes Schaffen  Positives mitnehmen.
Als gedanklich thematische Vorlage für das Schaffen der Schreibenden dienten einzelne Assoziations-Wörter (Schreibzeit 45 Sekunden!!) oder offene Sätze. Die folgenden Texte der Teilnehmer/innen waren nach dem Lesen der „Wilden Märchen“ von Alois Eder in der (langen) vorgegebenen Schreibzeit von 15 Minuten entstanden.

Märchen aus Etcetera Heft Nr.20, Juni 2005
Hefttitel:  „ANONYM“

Wilde Märchen
2.
Es waren einmal eine Angst, die hieß Wovor, und eine Freude, die hieß Woran. Sie waren aber Mutter und Tochter und lebten in einer Keusche tief im Wald, denn die Alte war eine Hexe. Ihre Tochter aber, die Freude Woran, war den ganzen Tag über traurig, wenn sie dem Gesang der Vögel lauschte. Da sprach die Alte zu dem Holzfäller, der immer mit seiner Axt durch den Wald ging: Bring mir Holz, und du darfst mit meiner Tochter schlafen.
So verkuppelte die Angst Wovor ihre Tochter, die Freude Woran, an den zerlumpten Holzknecht. Denn sie schlief nun mit ihm alle Tage und vergaß ihre Traurigkeit. Und jedesmal, wenn die beiden der alten Hexe gedachten, verprügelten sie sie jämmerlich.

3.
Es war einmal ein Weg Wohin im Lande Dahier. Ihn entlang trottete ein Esel. Er gehörte niemandem, er war einfach da.
Vom blauen Himmel lachte die Sonne Außerhalb auf ihn herab, und der Esel nippte am Straßenrand hie und da an den Dornen und lachte zurück. Da schämte sich die stolze Sonne Außerhalb, und alsbald bezog sich der Himmel mit dunklen Wolken.

Alois Eder
Geb. 1948; Germanist, AHS-Lehrer. Zahlreiche Publikationen in Literaturzeitschriften und Anthologien. Förderpreis für Wissen- schaft und Kunst der Landeshauptstadt St. Pölten 2002.

 

Gudrun Breyer
Die Angst Wovor und die Freude Woran

Es waren einmal eine Angst, die hieß Wovor, und eine Freude, die hieß Woran. Sie waren aber Mutter und Tochter und lebten in einer Keusche tief im Wald, denn die Alte war eine Hexe.
„Woran denkst du den ganzen Tag?“, fragte die Mutter.
„An die Vögel, die sich unter dem Dach ihr Nest bauen, sagte die Tochter.„So geh und such mir Brennholz, sodass auch wir es behaglich haben, aber nimm dich in Acht.“
„Wovor soll ich mich denn in Acht nehmen, liebe Mutter?“, fragte die Tochter.„Vor dem rauen Wind, der dir unter das Kleid fährt, wenn du dich unachtsam bückst, und vor der Sonne, die dir das Herz entzündet, wenn du zu lange und freizügig in der Wiese liegst“, sagte die Mutter.
„Ach  davor, liebe Mutter, da musst du dir keine Sorgen machen”, sagte die Tochter und ging artig in den Wald, um Holz zu sammeln.
Die Sonne stand hoch am Himmel und die Suppe köchelte lustig vor sich dahin, aber von Woran war keine Spur.
„Ich hätte ihr sagen sollen, dass sie zu Mittag zurück sein muss,“ sagte die Mutter und fürchtete, das die Suppe bis zum Abend verdorben sei und darum aß sie sie ganz alleine auf. Die Sonne küsste den Horizont und er errötete, aber von Woran war nichts zu sehen. „Ich hätte ihr sagen sollen, dass sie zum Abendessen zurück sein muss“, sagte die Mutter und fürchtete, dass das Brot hart werden würde. Also verfütterte sie es an die Hühner.
Der Mond ging auf und stand alsbald über der Keusche, aber von Woran war nichts zu sehen. „Ich hätte ihr sagen sollen, dass sie bei Einbruch der Dunkelheit zurück sein muss“, sagte die Mutter und fürchtete, dass die Kerzen ausgehen könnten. Also blies sie sie aus.
Woran unterdessen sammelte Holz. Immer weiter wich sie vom ihr bekannten Weg ab, um die Rückentrage zu füllen, und verlor die Orientierung. Schließlich kam sie auf eine Lichtung und legte sich ins Gras, um auszuruhen. Als sie aufwachte, stach die Sonne auf sie herab und ein kühler Wind strich ihr um die nackten Arme und Schenkel. Sie zupfte das Kleid zurecht, schlüpfte in ihre Schuhe und schulterte die Trage. Am Rand der Lichtung stand ein Holzfäller und beobachtete sie. Er bot ihr an, sie nach Hause zu geleiten.
„Woran kann ich erkennen, dass du es gut mit mir meinst?“, fragte das Mädchen, aber der Holzfäller meinte es nicht nur gut. Woran ließ ihn gewähren, denn er gefiel ihr und so tauchte er tiefer in sie ein als Sonne und Wind und lachte sie aus, weil sie der Mutter gehorcht hatte.
„Sie hat dich fortgeschickt für eine Arbeit, die ihr selbst zu hart war. Du wirst sehen, dass sie dir alles weggegessen hat und nicht einmal ein Licht wird sie dir haben brennen lassen, damit du den Weg nachhause findest.“
„Wenn du Recht hast“, erwiderte Woran, „dann lass mich bei dir bleiben“. Und so machten sich Woran und der Holzfäller Darum auf den Weg und fanden bald die Keusche, ohne Licht, das Herdfeuer erloschen, die Mutter schlafend und Suppentopf und Brotsack leer. Woran legte die Rückentrage ab und ging mit Darum davon. Sie fühlte sich frei ohne das Gewicht der Trage und die Fragen ihrer Mutter auf den Schultern.
Die Mutter aber musste fortan selber Holz sammeln und in der Keusche war keine Freude mehr.

Gudrun Breyer
Geb. 1975, lebt in St. Pölten und arbeitet als Erwachsenenbildnerin in einer Kompetenz-Anerkennungsstelle in Wien. Liebt Wortspiele und Anagramme. Etliche Lesungen, unter anderem im Rahmen des Blätterwirbels 2019. Veröffentlichungen in &radieschen, DUM, sfd, undHeft und etcetera. Beiträge in Anthologien.

 

Tatjana Eichinger
Das Mädchen Freude Woran
– ein Waldmärchen von Fliegenpilz und Hexenröhrling

Es war einmal ein herzallerliebstes Mädchen. Klein und rund, gleich der roten Glaskugel in Großmutters Weihnachtskiste, die Peterles Augen zum Strahlen brachte. „Du bist die Schönste im ganzen Land“, hauchte er am Tag der Bescherung und erfreute sich an ihrem Glanz. Hoch oben zierte sie den Baum, unerreichbar.
Der Lieblingsplatz des Mädchens, genannt „Freude Woran“, lag unter einer Birke in dem Wäldchen nahe Peterles Heim. An diesem Ort fühlte sie sich fest verwurzelt. Sie lebte im Schutze ihrer Mutter namens „Angst Wovor“ einer gemeinen Gestalt, die im ganzen Wald Angst und Schrecken verbreitete. „Hexe“, flüsterten die Menschen hinter vorgehaltener Hand und hielten sich von Mutter und Tochter fern.
Im Laufe der Jahre entfaltete sich das Mädchen zu einer lodernden Versuchung. Ihr roter Rock, besetzt mit weißen Schneeflocken, wies dem Verirrten im satten Grün des Waldes den Weg. Nicht den rechten, doch den, woran man(n) Freude hatte.
Auf jenen musste sie nun auch nicht länger warten, denn aus Peterle war ein schmucker Piet geworden. Einer, der sich nahm, was er wollte. Die Träume von unerreichbaren Freuden hatte er längst hinter sich gelassen. Schließlich war er es, der am 24. Dezember die „Schönste von Allen“ nahe der Spitze des Baumes befestigte, um sie am 6. Jänner wieder in der altvertrauten Kiste zu verstauen. Ganz so, wie es ihm beliebte.
Diese Verlockung! Stolz und in Siegerlaune schritt er auf den aufreizenden Rock zu. Wie schamlos der Rock im Sonnenlicht blitzte und ein langes weiß berüschtes Bein entblößte. Die Mutter? Unter seinem Druck war sie blau angelaufen und erst einmal eingekocht, hatte selbst die mächtige „Hexe“ ihr Gift verwirkt. Sodann war ihr Bann gebrochen, ihre Macht verwirkt.
Die Freude! Er griff zu, allen Warnungen zum Trotz. Knabberte sanft am lodernden Rock. Dem Genuss folgte Glückseligkeit. Sein Herz wurde leicht, er breitete seine Arme aus und flog, enthoben Raum und Zeit. Noch ein Biss, da blieb Peterle die Rückkehr für immer verwehrt.
Erhaben stand die Freude im satten Gras, den glühenden Rock tellergleich entfaltet. Bloß eine Ecke fehlte, verriet den tödlichen Akt.
Gib Acht im Wald, denn wenn sie nicht gestorben ist, berauscht sie vielleicht auch dich!
Nachsatz für moderne Märchen: “Eine Warnung des Gesundheitsministeriums als Beitrag zur Suchtprävention. Hast du keine Angst Wovor, kann die Freude Woran tödlich sein!“

Tatjana Eichinger
Geb. 1968. Sozialpädagogin. Lebt und arbeitet in St. Pölten.

 

Milena Orlando
Zu: Alois Eder „Wilde Märchen” 2

Wovor
Es war einmal eine Angst, sie hieß Wovor, sie lähmte das „Wesen der leisen Worte und Melodien der freien Art.“
Die Angst Wovor wuchs zu einem „Drachen Tu Nicht Gut“ der zur unerwarteten Zeit Feuer und Asche spie, da erhob das „Wesen der freien Art“ ihren gekrümmten Körper, drehte sich um die eigene Achse und ging zitternd und bebend auf den „Drachen Tu Nicht Gut“ zu, „Tu Nicht Gut“ versuchte das „Wesen der freien Art“ mit seinem flammenspeienden Rachen zu stoppen und zu erschrecken, doch das „Wesen der freien Art“ ging weiter, ein Schritt und noch ein weiterer wankender Schritt und der „Drache Tu Nicht Gut“ schleuderte sein rotes Feuer auf die zitternde Gestalt „des Wesens der freien Art“ und ungläubig sah das „Wesen der Freien Art“, wie plötzlich der „Drache Tu Nicht Gut“ kleiner und kleiner wurde, bis er vom Erdboden verschluckt war, und nur mehr ein Haufen schwarzer Asche zu sehen war.
Das „Wesen der freien Art” richtete sich zu seiner wahren Größe auf, und aus der Asche wuchs eine grünschimmernde Gestalt, das dem „Wesen der freien Art „zaghaft zuwinkte und es bat näherzukommen.
Es flüsterte dem „Wesen der freien Art” ins rechte Ohr. Ich bin dein „Schatten  Bleib bei Mir“ und wurde zum „Drachen Tu Nicht Gut“, da du mich immer wieder abschütteln wolltest.
Heute hast du dich mir zugewandt und mich angesehen, sagte lächelnd der „Schatten Bleib bei Mir” und legte dem „Wesen der freien Art“ zart einen samtgrünen Schal um die Schultern. Er flüsterte dabei dem „Wesen der freien Art“ ins rechte Ohr. Ich bin dein „Schatten Bleib bei Mir” und ich möchte dich schützen und ehren.
Ich warne dich bei Gefahr, wenn du mich brauchst, bin ich in dir, als leise innere Stimme hörbar, fühlbar, vertraue mir, und lasse mich bei dir sein, denn wenn du vor mir davonläufst und mich verleugnest, wachse ich zum verkleideten „Drachen Tu Nicht Gut”. Ich lähme dein „Wesen der freien Art“, denn als „Schatten  Bleib bei Mir”, alleine, kann ich nicht sein. Ich brauche Licht, Wärme und Sonne, die Musik und dein freies Lachen, das du geliebtes „Wesen der freien Art“ mir täglich schenkst. Und ab dieser Stunde lebten der „Schatten Bleib bei mir” und das „Wesen der freien Art” frohgemut und heiter in den Tag, und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch weiter.

Milena Orlando
Geb.1958 lebt in Scheibbs a.d.Enns, ist verheiratet. 2 Lyrikbände Milenas Poesie und Milenas Sprachbilder veröffentlicht 2010 und 2011, Lyrikpreis Forum Land. Veröffentlichung von Lyrik und Kurzprosa in Anthologien, Zeitungen und Etcetera, Mitglied von Litges St.Pölten, und Schriftzug 3250 Wieselburg a.d.E. Schreiben ist ihr Lebenselixier.