Helmuth A. Niederle: Das Fremde in uns. Eva Riebler
DAS FREMDE IN UNS
Interview mit Helmuth A. Niederle aus Wien, dem Schriftsteller, Publizisten und Beauftragten des Writers-in-Prison-Komitees Österreich. Das Interview führte Eva Riebler anlässlich der 127. Fortbildungstagung des Institutes für Österreichkunde am 01.11.08 in St. Pölten. Sein Vortrag trug den Titel: Das Fremde im Text – Kulturelles Miss-Verstehen und Migrationsliteratur.
Die Literaten, die zu uns nach Österreich kommen, bringen wertvolle Gedanken und Literatur mit.
Sie wollen ja im Prinzip gelesen werden. Inwieweit ist die Wahl der fremden deutschen Sprache wichtig oder zweitrangig?
Sie ist nicht zweitrangig. Die Menschen haben ihre Kultur, ihren Raum, ihre Heimat verlassen. Ihre neue gesellschaftliche Situation ist eine sprachliche Situation. Steht eine Veröffentlichung an, wird die Wahl der Sprache aktuell, dann müssen oder sollen sie einen Sprachwandel vollziehen.
Ist es eine Art Integration, dass diese Migranten in einer Sprache denken und in der anderen dann schreiben?
Der Begriff der Integration ist ihnen suspekt. Die meisten sehen in der Integration die Aufgabe der eigenen Kultur und Identität. Die Vorstellung, dass Japaner dem Watschentanz huldigen oder am Berchtenlauf teilnehmen ist unangenehm. Sie bleiben das, was sie sind oder werden zu Weltbürgern, zu Kosmopoliten, zu Grenzgängern zwischen den Kulturen. Integration ist ein Vokabel, das vom Herrschaftsdiskurs bestimmt wird. Die Frage ist, wie man Autor oder Autorin ist. Ob man als fremdsprachiger Autor oder als Autorin verstanden und gelesen werden kann. Wie kann der Mensch sich äußern, dass das, was er sagt, auch rezipierbar ist.
Denn nur so können wir das Interessante oder Fremde im/am Text aufnehmen.
Ja, das ist richtig. Das 21. Jahrhundert ist ja viel mehr als das 20. Jahrhundert das Jahrhundert der Emigranten und Flüchtlinge. Viele Autoren, die in anderen Ländern lebten, haben überdauert und werden gelesen. Wenn ich an die Argentinierin Witold Gombnowicz denke, an eine wesentliche Autorin des 20. Jahrhunderts, die nie auf Spanisch schrieb, sie wurde in ihrer Heimat Argentinien nie akzeptiert und konnte sich international doch andocken. Denke ich an Chibo Onyeji, so hat er den Diskurs in Österreich wahrgenommen, will heute weder in Deutsch noch in Englisch schreiben und verwendet immer mehr Ibo. Menschen, die Ibo und Deutsch können, gibt es kaum oder gar nicht, ich weiß es nicht. Stefan Zweig in Brasilien hat auch nicht Portugiesisch geschrieben. Solschenizyn hat russisch geschrieben und als er in die USA ging, auf Englisch geschrieben.
Es ist eine Frage des Ankommen-Wollens oder der Anpassung.
Ja, wenn ich in dem Land, in dem ich bin, wirken möchte. Oft hat man auch jemand an der Hand, der einem hilft, die Texte in die Sprache des Gastlandes zu übertragen. Wenn einem die Öffentlichkeit egal ist, kann man ja in seiner Sprache schreiben.
Gibt es Emigranten, die nie vorhatten literarisch tätig zu sein und sich dann doch ausdrücken wollen?
Ja, natürlich gibt es im Vorfeld der Literatur viele, die schreiben und keinen literarischen Anspruch haben. Trotzdem ist es doch denkbar und wir wissen das auch, dass viele 1938 und danach z.B. private Tagebücher geschrieben haben und diese sich für uns unglaublich phantastisch erweisen und historische Quellen als auch literarisch sehr bedeutsam sind.
Es ist ein Unterschied, ob ich sage „der“ Fremde im Text oder „das“ Fremde im Text. Bei ersterem wird der Autor bereits in eine Nische gesetzt.
Der Fremde im Text meint natürlich sehr viel: der Fremde ist z.B. in Europa der Afrikaner oder der Indogene. Es geht um Beschreibungen von Menschen oder Eigenschaften aus der Sicht des Europäers. Das Fremde im Text kann natürlich auch das eigene Fremde in sich sein. Das Fremde ist ja in mir. So gesehen ist ja auch das Fremde im Text vorhanden. Also, wenn ich mich richtig erinnere, hat Barbara Frischmut vor Jahren einmal gesagt: ES schreibt in mir! Es schreibt in mir, meinte das Fremde. Das heißt aber auch, dass der Schreibprozess Klärung schafft.
Der Sprachdiskurs zur Identifikationsfindung.
Ja, Schreiben als Prozess der Abklärung der offenen Fragen. Es gibt Fragestellungen, Ahnungen von Fragen, die durch das Schreiben wirklich zu Fragen werden und im Nachhinein kommt eventuell die Klärung. Oft wird die Frage geklärt und man sieht klarer; oder die Dinge bleiben so fremd wie vorher, dann muss man nochmals alles überarbeiten/ überdenken. Man schreibt wieder, malt wieder in der Hoffnung, jetzt wird’s klarer. Möglicherweise wird’s das ganze Leben lang nicht klar.
Ist der Selbstfindungsprozess in der Literatur eine Richtung und die andere ist ein Anliegen zu haben?
Ja, das ist sicher richtig. Und dann gibt’s noch die dritte Richtung, dass man sagt, es gibt Konzepte, die man gerne umgesetzt hätte. Dies gibt es auch in der Malerei, die serielle Malerei z.B. oder die Durchrechnung, welche Farben müssen wohin etc., ästhetische Konzepte usw. Eine Art Selbstfindung, sehr metaphorisch verpackt.
Danke für das Gespräch. Wir können „das Fremde im Text“ = Literatur von Emigranten als Konzept in unser Heft aufnehmen.
Und seriell fortsetzen. Ja, eine gute Idee!
Helmuth A. Niederle
Geb. 1949 in Wien Studium der Ethnologie, Kunstgeschichte, Volkskunde und Soziologie, lebt in Wien und Dallein /NÖ. Stellvertretender Leiter der Österreichischen Gesellschaft für Literatur, Beauftragter des Writers-in-Prison-Komitees Österreich seit 2000. Ist Schrifsteller und Übersetzer, Hrsg.der Reihe „scriptor mundi“, die in der „edition Kappa,“ München erschien. Seit 2006 Hrsg. der Reihe „edition milo Verlag Lehner“ Wien 09. Im Herbst erscheint „Die Mauern des Schweigens überwinden“. Anthologie verfolgter Autorinnen und Autoren. Löcker Verlag, Wien.