13. Philosophicum Lech: 1. Tag - Winfried Menninghaus - Part 3. I. Reichel
Ingrid Reichel
OHNE KUNST UND SPRACHE, KEINE RELIGION!
13. Philosophicum Lech
Vom Zauber des Schönen.
Reiz, Begehren und Zerstörung.
Neue Kirche, Lech am Arlberg, Vorarlberg
16. – 20.09.09
1. Tag – Part 3
17.09.09, 18 Uhr
Vortrag von Winfried Menninghaus (Berlin):
Vier Vektoren der Schönheit: Sexualität, Technik, Sprache, Kunst
Winfried Menninghaus wurde 1952 geboren und ist Professor für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft am Peter Szondi-Institut an der Freien Universität Berlin.
Menninghaus lud zu einer Zeitreise in die Vergangenheit, zu 40.000 Jahren zurück, die uns seine Evolutionstheorie ästhetischen Verhaltens erklärt.
Am Gesang des Vogels, besonders am konkreten Beispiel des Laubenvogels, erörtert er zunächst, dass die physikalische Attraktivität in der Natur zur Vermehrung diene. Menschliches Singen, Sprache und Selbstdarstellung wären eine Fortsetzung. Vergleiche zwischen Vogelgesang und der metrischen Stimme werden untersucht und beweisen das selektive Verhalten. Humorvoll impliziert er am Beispiel der Gegenwart, dass auch Architekturkritik als Partnerwahl herhalten könne.
Die Technik wiederum ginge mit ihrem Qualitätsanspruch und der künstlerischen Produktion einher. Zusammen führten sie unser ästhetisches Verhalten zu einer Tradition. „Die Durchschlagkraft und Fast-Parallelität der weltweiten Entwicklung ab 40.000 Jahre vor unserer Zeit sowie die Ähnlichkeit etlicher Produktparameter sind frappierend. Seit dieser Zeit scheint es keine Kultur mehr zu geben, die nicht ein hohes Maß an Energie, technischen Fähigkeiten und materiellen Ressourcen auf scheinbar überflüssige Ornamente und Kunstwerke aller Art verwendet. Wir haben es offensichtlich mit einem transkulturellen Erfolgsmodell zu tun.“
Der Werkzeuggebrauch selbst implementiere ein sexuelles Spielverhalten. Die Ornamente dienen als Status, Werbung, Bildung und Signale. Hier zeige sich der Zusammenhang der Kunst zur natürlichen Paarungsselektion. Ästhetisches Verhalten sei als Form des Zusammenwirkens vieler Fähigkeiten und Dispositionen zu verstehen, folgert Menninghaus, wie es an den anerkannten, markanten und adaptiven menschlichen Verhaltenmuster der sexuellen Wahl, des Spielverhaltens, des Werkzeuggebrauchs und der symbolischen Kommunikation zu sehen ist.
Das Zusammenwirken dieser in sich schon komplexen Konfiguration kognitiver, motorischer und/ oder kommunikativer Fähigkeiten ermöglichte durch unsere technologisch soziale Entwicklung die Kunst.
Die vierte entscheidende Komponente sei die menschliche Sprache. Durch Kampf und Unterwerfung entstand die Notwendigkeit der Interpretation. Nicht verbale Signale werden dekodiert, um Täuschung und Vorstellungskraft auszulegen.
Die Schönheit wäre oft in ihrer übertriebenen Ornamentik und Signalwirkung überflüssig. Manche seien sogar dadurch ausgestorben.
Die Struktur des menschlichen Geistes zeige die hybride Verschaltung der Evolution. Mit der Erkenntnis, dass ohne Sprache und Kunst keine Religion möglich wäre, und dass Kunst und Soziales demzufolge zusammenhinge, schließt Menninghaus seinen Vortrag.
Buchtipp:
Winfried Menninghaus: Das Versprechen der Schönheit.
Frankfurt/ Main: Suhrkamp Verlag, 2005. 386 S.
ISBN: 978-3-518-58380-7