Alfred Komarek

ALFRED KOMAREK
im Gespräch mit Kurt Tutschek
erschienen im etcetera/

Der Mensch und die prägende Landschaft, in der er lebt, bilden ein zentrales Motiv im Schreiben Alfred Komareks. So führt denn auch die Interview-Reise vom Weinviertel des Landgendarmen Simon Polt über das Salzkammergut, das eine dominante Rolle im neuen Roman „Die Villen der Frau Hürsch" spielt, bis hin zum Alpenvorland. Interessierter Mitreisender war die Literarische Gesellschaft.

Herr Komarek, Ihr neuer Roman „Die Villen der Frau Hürsch" beginnt mit einem Umbruch im Leben des Hauptprotagonisten Daniel Käfer. Er verliert seinen Job und sieht sich plötzlich als freier Mann. Wie wichtig sind derartige Neupositionierungen im Leben Ihrer Romanfiguren?

Bei einem kreativen Menschen sind Umbrüche geradezu essenziell. Man braucht die Umbrüche – inklusive der unangenehmen und katastrophalen, weil man ansonsten in Gefahr schwebt, Scheuklappen umgehängt zu kriegen oder die eigene Art zu denken, so lange zu pflegen, bis man zur eigenen Karikatur wird. Dagegen helfen Umbrüche aller Art – positiver sowie negativer Art. In meinem eigenen Leben habe ich Umbrüche auch immer wieder bewusst losgetreten – und trete sie auch jetzt wieder los, indem ich mich bewusst vom Polt verabschiede, zu einem Zeitpunkt, an dem das Fernsehen nur darauf wartet, dass ich einen fünften und sechsten Teil schreibe. Früher hätte ich das aus Existenzangst auch gemacht, jetzt sage ich mir: lieber nicht. Ich verabschiede mich auch zu achtzig Prozent vom Krimi, was auch gefährlich ist, weil viele Leser auch eine Art Fortsetzung erwarten. Ob die Leser auch zur „Frau Hürsch“ mitgehen, steht noch nicht fest. Der Start jedenfalls war gut.

Gab es ganz spezielle Umbrüche, Veränderungen in Ihrem eigenen Leben?

Die gibt es einerseits zwangsweise, wenn zum Beispiel ganze Erwerbszweige wegbrechen. Ich habe sehr viel Reise-Schriftstellerei betrieben – und es gibt heute kaum noch Publikationen, die Reisegeschichten finanzieren. Früher war das ein weites Feld, auf dem man gut verdienen konnte. Damit ist mir ein Drittel meines Berufs weggebrochen. Und da sind dann noch die gewollten neuen Wege. Ich bekam bereits e-mails mit „Sehr geehrter Herr Polt“, das war ein Hinweis, mich davon zu entfernen.

Herr Komarek, Sie geben auf Ihrer Homepage unter anderem auch Niederösterreich als Wohnort an. Wie wichtig ist Ihnen dieser Wohnort Niederösterreich?

Inzwischen gleichrangig mit den anderen beiden Wohnorten. Ich kam vor 30 Jahren als Student nach Wien, bin aber nie zum Wiener geworden. Ich war noch nie beim Heurigen in Wien und auch nie bei einem städtischen Event, sondern hab schon frühzeitig die Flucht angetreten. Dabei hat mich das Weinviertel zu faszinieren begonnen, weil es so anders ist als das Salzkammergut. Im Weinviertel ändert sich seit tausenden Jahren nichts. Die Landschaft ist eine unbestimmte, freie, offene. Im Salzkammergut hingegen hat alles seinen festen Platz. Ich mag dieses Wechselbad, bin gern ein bissl in der Stadt, dann wieder im Weinviertel oder in Aussee. Es gibt da eine Prägung zwischen Mensch und Landschaft, die mir wichtig ist.

Gibt es Ihrer Meinung nach etwas typisch Niederösterreichisches, den typischen Niederösterreicher?

Nein, den kann es nicht geben, weil Niederösterreich aus so vielen Puzzleteilen zusammengesetzt ist, die auch geschichtlich eine vollkommen andere Entwicklung genommen haben. Es gibt einen typischen Wachauer für mich, einen typischen Weinviertler, einen typischen Marchfelder, aber keinen typischen Niederösterreicher. Ausnahme wäre vielleicht das niederösterreichische Kernland entlang der Donau, dem ich eine besonders weltoffene und geschichtsbewusste Identität zuordnen würde.

Wie sehr beeinflusst die Landschaft, in der Ihre Figuren agieren, Ihr Schreiben? Wäre also ein Simon Polt außerhalb des Weinviertels überhaupt vorstellbar?

Mit Sicherheit nicht. Ich möchte hier keine Majestätsbeleidigung begehen, aber es gibt Maigrets, die außerhalb Frankreichs spielen – und die sind alle schlecht. Auch Polt ist eine Figur, die man nicht verpflanzen kann, er geht ein wie eine Primel, wenn man ihn woanders einsetzt. Das gleiche gilt für die Sprache. Darum ist auch die Sprachmelodie in den Polt-Büchern eine andere als die der „Villen der Frau Hürsch“.

Noch eine Frage zum Weinviertel. Kann man im Weinviertel dem Wein eigentlich entkommen? Sind Sie selbst Weintrinker?

Die Ausseer verstehen nur wenig vom Wein, was sich in letzter Zeit zum Glück ändert. So bin ich bin als Ausseer staunend ins Weinviertel gekommen, war aber Gott sei Dank vorsichtig und habe nach und nach ein paar Reifeprüfungen bestanden. Man lernt sehr viel dazu, was den Wein betrifft. Im Lauf der Jahre habe ich dann nicht mehr, sondern immer weniger getrunken, weil ich immer selektiver geworden bin. In Wien trinke ich überhaupt keinen Wein. Im Weinviertel suche ich die richtige Atmosphäre oder die richtige Einsamkeit, und wenn wirklich alles stimmt, dann trinke ich auch gern.

Kommen wir zum neuen Roman. Sie zeichnen darin ein detailliertes Bild des Salzkammerguts, stammen selbst ja aus Bad Aussee und kennen daher die Landschaft wie ihre Westentasche. Inwieweit entspricht die Darstellung im Buch der Realität? Was ist Wahrheit, was Fiktion? Gibt es die Villen der Frau Hürsch tatsächlich?

Ganz kurz gesagt: Alles Historische ist eins zu eins richtig. Alles, was in der Gegenwart spielt, ist zumindest atmosphärisch exakt. Frau Hürsch ist eine historische Figur, die im 18. Jahrhundert gelebt hat. Von den ursprünglich fünf Villen existieren noch drei, eine davon im Originalzustand. Die Geographie stimmt ebenfalls eins zu eins. Wichtig war außerdem, die Sprache der Menschen genau zu treffen.

Die Hauptfigur Ihres Roman, Daniel Käfer, begibt sich zu Beginn auf eine Suche nach seiner Vergangenheit. Wie bedeutsam sind für Sie selbst Ereignisse aus der Vergangenheit?

Bei mir ist es ja gerade umgekehrt gelaufen wie bei Daniel Käfer. Er erkennt, dass seine Vergangenheit längst nicht ohne Brüche verlaufen ist, wie er immer gedacht hat. Meine Kindheit hingegen war eigentlich nur positiv. Ich habe das schon oft bei Podiumsdiskussionen erlebt. Da sitzen fünf Dichter und alle erzählen von ihrer schrecklichen Kindheit und dass sie das alles literarisch abarbeiten müssen. Ich hingegen habe in der Kindheit die Batterie aufgefüllt, von der ich jetzt zehren kann.

Werden wir Daniel Käfer und dem Salzkammergut wieder begegnen, sind Fortsetzungen geplant?

Was ich nicht möchte, ist, typische Fortsetzungsromane zu schreiben. Aber auch der Polt war ja ursprünglich nur als ein Band geplant. Dieser erste Salzkammergut-Roman, „Die Villen der Frau Hürsch“, wird auf jeden Fall verfilmt, was mich natürlich sehr freut. Wobei dazu gesagt werden muss, dass das Fernsehen zwar einen sehr hohen Bekanntheitsgrad mit sich bringt, der Buchverkauf wird aber dadurch nicht entscheidend erhöht.

Abschließend: welche Frage, die Ihnen bei einem Interview noch niemals gestellt wurde, würden Sie gerne beantworten?

Ich träume eigentlich schon mein Leben lang davon, meine eigenen Bücher zu verreißen. Und wenn mich jemand fragen würde „Was finden Sie schwach an Ihren Büchern?“ dann wäre das eine gute Frage.

Und was würden sie darauf antworten?

Ich würde sagen: Da sind Schwächen, die auf der anderen Seite Stärken sind. Da ist zum einen eine verheerende Sprachverliebtheit. Ich bin bereit meine Urgroßmutter zu verkaufen für eine schöne Sprachmelodie. Andrerseits schaue ich dann sehr scharf auf mein Manuskript – hast du hier wieder einmal wortgeklingelt, oder steckt wirklich was dahinter? Dann gibt’s natürlich Lieblingsmetaphern, Lieblingsausdrücke. Da geh’ zuerst ich schon mit der großen Gartenschere drüber, dann auch noch mein Lektor. Was mir außerdem fehlt, ist das Gespür für die knallende Pointe und das Gespür für den dramatischen Höhepunkt. Ich bin auch persönlich kein Mensch, der die Showtreppe herunterkommt, und weiche daher auch in den Büchern Effekten, die eigentlich auf der Hand liegen, aus. Dabei wäre es manchmal durchaus gut, würde ich das nicht tun. Das ist eine Schwäche, die mich zum Beispiel daran hindert, gute Kabarettnummern zu schreiben. Ich habe schon Kabarett geschrieben, es sind aber immer Schmunzelnummern geblieben. Ich kann keine lauten Lacher schreiben, das ist eine Facette des Schreibberufs, die ich einfach nicht beherrsche. Darüber hinaus als weiteres Manko vielleicht auch ein fehlender literarischer Biss. Mein Ehrgeiz, sprachlich-formal neue Ausdrucksformen zu finden, ist nicht sehr ausgeprägt. Ich bemühe mich aber, die Grenzen meiner Fähigkeiten zu sehen, sie vorsichtig auszuweiten, dabei aber auch nicht meine Leserinnen und Leser zu überfordern. Ich komme ja von der Gebrauchsliteratur, habe erst nach und nach das literarische Schreiben in den Vordergrund gestellt. Manche steigen ja vom Himmel direkt auf den Schriftsteller-Olymp, ich bin jetzt erst, nach den Mühen der Ebene, im Alpenvorland angelangt.