Der Atem des Himmels. Rez.: Ingrid Reichel

Ingrid Reichel
DIE MACHT DER NATUR ÜBER DEN MENSCHEN

 

 

DER ATEM DES HIMMELS
Verfilmung des gleichnamigen Romans von Reinhold Bilgeri
Ö
Filmstart: 03.09.2010
Filmlänge: 141 Minuten
Genre: Drama
Regie: Reinhold Bilgeri
Darsteller: Beatrix Bilgeri, Jaron Löwenberg, Ernst Konarek, Gerd Böckmann, Krista Stadler u.v.m.

 

Reinhold Bilgeris Roman „Der Atem des Himmels“ erschien bereits 2005 im Molden Verlag. (Zur LitGes Rez)
2008 kündigte Bilgeri medial dessen Verfilmung an. Seit 03.09.2010 ist er auf Österreichs Kinoleinwänden zu sehen. Am 22.09.2010 präsentierte Bilgeri seinen Film in seiner Heimat Vorarlberg in der neuen Kirche in Lech am Arlberg als Vorabendprogramm des 14. Philosophicums mit dem Thema „Der Staat. Wie viel Herrschaft braucht der Mensch?“. Der von vielen zu Unrecht als Heimatschnulze heruntergekanzelte Film passte hervorragend als Einleitung zum Thema, handelt er doch nicht nur von Bilgeris Familiengeschichte, sondern von der Mündigkeit der Bürger und ihrem Kampfgeist gegenüber der Trägheit der Politiker in dem damals noch von den französischen Alliierten besetzten Vorarlberg der 50er Jahre. Bilgeri hat als Neuling in der Filmbranche ein hohes Investmentrisiko zu tragen, hat er doch mit Eigenkapital den Film großteils selbst finanziert. Und da Bilgeri, wie er sich selbst nennt, ein Gefühlsmensch ist, liegt darin unverwechselbar auch viel Herzblut. Herzblut nicht in Form von Kitsch, sondern Anliegen. Bilgeri ist kein Aufdecker oder einer, der mit dem Zeigefinger auf geschichtliche Missstände hinweist. Es geht auch nicht um Aufarbeitung. Bilgeri

 

erzählt „nur“ die Geschichte seiner verwitweten Mutter, die aus Südtirol aus der verarmten Adelsfamilie von Gaderthurn stammt. Wir schreiben das Jahr 1954. Nach dem Tod des Vaters nimmt die bereits 40jährige Erna Gaderthurn eine Lehrstelle in Blons im Großen Walsertal an. Inwieweit sich Realität mit Fiktion vermischt, tut hier nichts zur Sache. Erna verliebt sich in ihren Kollegen Eugenio Casagrande, wird nebenbei vom Baron - der für die Blonser, Eigentümer wichtiger Ländereien ist - umworben. Ländereien, die mangelhaften Lawinenschutz aufweisen. Casagrande ist der futureske vorzeige Grüne der 50er Jahre, den wir heute alle gerne hätten. Er kämpft an der Seite des Bürgermeisters von Blons, um die Übernahme der Ländereien durch den Kauf von der Gemeinde durchzusetzen und ein Lawinenschutzprogramm durch Aufforstung zu ermöglichen. Der von seiner

 

stark nationalen Frau Mama geprägte Baron wird erst spät einsichtig. Zu spät, denn die Lawine rafft Blons nieder. Und wie es Naturgewalten an sich haben, unterscheiden die weder zwischen Gut und Böse, kurzsichtig und weitsichtig, noch über alt und jung. Der Film beginnt und endet dort, wo der Roman den Höhepunkt seiner Spannung hat, nämlich mit dem Lawinenabgang. Das Lawinenunglück und die Missstände um die verabsäumte Aufforstung sind authentisch und gut recherchiert. Der Film bringt die Bilder, die das Buch erzeugt sehr gut wieder. Naturlandschaft, Architektur, Inneneinrichtung und Charaktere wurden sorgfältig gewählt. Bilgeri musste es ja am Besten wissen. Dennoch bestätigt die Übereinstimmung für eine fremde Person sein Talent als Schriftsteller und Regisseur. Da es das Blons der 50er Jahre nicht mehr gibt, hat er sich nach einer geeigneten Alpe in Vorarlberg umgesehen, wurde fündig und baute dort kurzer

 

Hand das Dorf nach. Der Lawinenabgang und die zerstörten Häuser nach der Katastrophe wurden meisterhaft inszeniert. Der Film gibt ein gutes Gegenbeispiel zu den klassischen Hollywoodkatastrophenfilmen. Hier wird nicht Angst verbreitet und Sensationslust gestillt, der Schrei nach einem Superhelden verlautbart, hier ist es das Volk in Form einer kleinen Gemeinde, das sich manifestiert und agiert. Seltsamerweise schreibt keiner bei den tausendfach durchgekauten Katastrophensuperheldennummern made in USA, was für ein abgeschmackter Kitsch da wieder gelaufen ist. Nein, da spricht man von Technik und vom Kapital: Was hat der Film gekostet und wieviel bringt er ein….

 

Es ist, beinahe möchte ich sagen: wichtig, auf jeden Fall ist es Bilgeri zu wünschen, dass sein Film, der an die Renaissance der neuen Heimatfilme anknüpft, auch finanziell erfolgreich ist, gerade auch weil endlich ein Heimatfilm cinematographisch kritisch von der „heiklen“ Nachkriegszeit handelt.

Egal wie viel Macht der Mensch braucht, wie viel Gewalt er erträgt, die Natur stellt keine Fragen.

LitGes, September 2010