14. Philosophicum Lech - 3. Tag: Rudolf Burger. Rez.: Ingrid Reichel

Ingrid Reichel
VOM LETZTEN MENSCHEN

 
DER TRIUMPH DES LIBERALISMUS. EIN NACHRUF.
Univ. Prof. Dr. Rudolf Burger
Professor für Philosophie (Universität für angewandte Kunst Wien, emeritiert 2007)
25.09.2010, 11.00 Uhr
Neue Kirche, Lech am Arlberg

Der einzige österreichische Philosoph beim 14. Philosophicum war Rudolf Burger. Er gilt als einer der unbequemsten zeitgenössischen Intellektuellen, der mehrmals in seinen in Zeitschriften veröffentlichten Essays Stellung zur politischen Situation in Österreich nahm.

Nach Burger hätte man den Liberalismus seit langem zu Grab getragen. Er entschloss sich daher für einen Nachruf.

Trotz begründeter Zweifel an der Erfüllbarkeit des Liberalismus gemäß dem US-Philosophen Richard Rorty (1931-2007), demnach der Liberalismus nicht nur eine aufgeklärte und säkulare Kultur sei, sondern seine soziale Hoffnung darin festhält keine unüberwindlichen Hindernisse zu sehen, hätten wir drei Punkte dieses Ideals einer liberalen Gesellschaft festzuhalten:

  1. Alle Menschen gesetzteren Alters und der Mittelschicht, gleichgültig welcher Partei, sind im Rortyschem Sinne Liberale, weil sie aufgrund ihrer guten Erziehung, ihrer sozialen Distanz zur Macht, zur materiellen Not und zur Härte körperlicher Arbeit ihren Platz im Leben bereits gefunden hätten. Daraus folgt, dass
  2. in modernen industriellen Massendemokratien, ein liberales Gemeinwesen im Rortyschem Sinn nicht existiert und nicht existieren kann, auch dann nicht wenn diese genannten Liberalen eine tatsächliche Verantwortung in ihren Berufsständen trügen. Gerade die liberale Gesellschaft wäre auf ein Gewaltmonopol des Staates angewiesen, das damit das Privateigentum verteidige. Die civil society habe den – „wie immer gebändigten“ – Leviathan zu ihrer Voraussetzung. Daraus erschließt sich, dass
  3. der Liberalismus im Rortyschem Sinn gar kein Begriff im strikten Sinn sei, sondern Kantisch gesprochen, eine „regulative Idee“.

Burger weicht bewusst von seiner Schrift ab, um zu Beginn noch einmal in diesem Philosophicum auf Hobbes’ Leviathan hinzuweisen. 1588 war nicht nur Hobbes Geburtsjahr, es war vor allem das Jahr der Armada, jener spanischen Kriegsflotte, die von König Philipp II. für den Krieg gegen England zum Sturz Elisabeth I. gerüstet wurde. Hobbes Leben war von Furcht geprägt. Das 17. Jahrhundert war das Jahrhundert der konfessionellen Bürgerkriege, alle wurden sie im Namen der Wahrheit ausgerufen, erörtert Burger. Im Frontispiz des Leviathan sehe man ein friedliches Bild eines Menschen, der aus vielen Menschen besteht, zur Rechten ein Schwert, zur Linken einen Bischofsstab tragend, über dem Bild steht „Non est potestas Super Terram quae Comparetur ei“ – „Keine Macht ist auf Erden, die ihm zu vergleichen ist“ (Hiob 41.24). Dieses Bildnis von Leviathan wurde auch als das Ungeheuer von Malmesbury - jener altertümlichen Stadt in Wiltshire, wo Hobbes lebte – genannt. Burger weist auf die Widersprüche zwischen Leviathan und den Menschen hin. Es fehlen Hinweise auf reale Transzendenz, auf das Göttliche, Katonische … Der Staat sei reines Menschenwerk. Seit seiner Erscheinung hat dieses Buches Befremden ausgelöst. Der Mensch ist ein idealistisches Tier. Es geht ihm um Anerkennung und triumphieren über den Anderen. Über den Kampf um die knappen Güter hinaus, ist der Mensch des Menschen Feind, fasst Burger zusammen. Der Traum des Absterbens des Staates in einer Überflussgesellschaft sei eine romantische Illusion, denn die Herrschaft ist ein Existential. Burger erörtert dies an sportlichen Aktivitäten. Hobbes schrieb aus Erfahrung, die nach drei Jahrhunderten auch wieder unsere geworden ist..

Burger setzt seinen Vortrag fort mit dem Hinweis, dass wir in einer Gesellschaft ohne Werte leben. Es sei eine amoralische Gesellschaft voller Individualisten und Konsumisten. Die Kulturgesellschaft habe sich das adäquate Gehäuse für den nach Friedrich Nietzsche genannten letzten Menschen (Also sprach Zarathustra) gebaut, denn der lebe ja bekanntlich am längsten. Der Mensch ist ein zerrissener Geist. Nach Hegel kann eine Diskussion nur mehr durch die Wirklichkeit entschieden werden, zwischen Arbeit und Kampf. Der russisch-französische Hegelinterprete Alexander Kojève hat die beiden Lager – das bürgerlich-liberale auf der einen Seite, das proletarisch-kommunistische auf der anderen Seite – als politisch-praktische Derivation der Hegelschen Philosophie verstanden. „Es gab von Anfang an eine Hegelsche Linke und eine Hegelsche Rechte, das war aber auch alles, was es seit Hegel gegeben hat.“, zitiert Burger Kojève weiter. „Die Geschichte (wird) den Hegelianismus nie widerlegen, sondern sich damit begnügen, zwischen ihren beiden entgegensetzten Interpretationen zu wählen.“

Nach dem Fall der Berliner Mauer 1989 haben wir uns für die rechte, kapitalistische Strömung entschieden. Der Rest sei Umformulierung, wenn nötig mit (fundamentalistischer oder faschistischer) Gewalt, meint Burger. Der Liberalismus als „politökonomischer Großkampfbegriff“ habe ausgedient. Man könne ihn bestenfalls noch „adjektivistisch zur Charakterisierung personaler Eigenschaften gebrauchen“. Burger erläutert die Legende der angeblich wesensgemäßen Staatsfeindlichkeit des Liberalismus, die erst in Reaktion auf den sozialpolitischen Ausbau des Staates entstanden sei. Ebenfalls sei die Realisierung der Freiheit von Sitten im Liberalismus eine Legende. Burger erinnert, dass ganz im Gegenteil das Bürgertum durch Moralisierung den Adel zu Fall brachte und so an die Macht gelangte. Auch hänge der Liberalismus stark mit dem Kolonialismus zusammen. „Die Kolonien sind völkerrechtlich Inland, staatsrechtlich Ausland“ – mit diesem Sophismus habe man, so Burger, die geographische Aufteilung der Moral juristisch sanktioniert. Die Fremdenintegration wäre im Übrigen eine Folge des Kolonialismus, erinnert Burger.

Nietzsches Vision vom letzten Menschen werde wahr. Dieser wäre jedoch sehr gefährlich, beendet Burger seinen Vortrag, denn er lebe „sozialverträglich, ganz wie Rorty es wollte, distanzlos und freundlich, mit anglischem Lächeln stets um den Nächsten bekümmert, ohne vertikale (d.h. religiös-metaphysische) und ohne horizontale (d.h. politisch-historische) Transzendenz seinen asketischen Hedonismus nach einem genau kalkulierten Ernährungsplan.“

LitGes, September 2010

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