49/Teddy/Essay: Das Idyll als Metapher. Peter Kaiser
Peter Kaiser
Das Idyll als Metapher
oder Teddybären in der Krise
Dinge zu sammeln ist gut, aber es ist besser spazieren zu gehen.
(Anatol France)
Um uns über das Bedeutungsspektrum von Teddybaren, Puppen und ähnlichen Weggefährten der Kindheit klar zu werden, schlage ich vor, einige Umwege in unserer Annäherung zu machen. Manches Ziel oder Thema – vor allem, wenn es in unserer Vergangenheit wurzelt – entzieht sich gern dem direkten Ansturm. Emotionale Besetzungen, unser Hang zur Verklarung oder Verdrängung oder einfach die Weigerung, eine alte, verstaubte Kiste wieder aufzustemmen, sind unter anderem die Grunde. Wie dem auch sei, ich will den Schleichweg über die Sprache versuchen: Die alte, verstaubte Kiste fuhrt uns direkt in die Welt der Metapher und des Sprachspiels.
Die Metapher ersetzt ein Nomen durch ein anderes, konnotativ mit diesem in Verbindung stehendes [1]. Sie lasst sich als sprachschöpferischer Akt bezeichnen und ich meine, dass die gewählte Metapher (sofern sie eine originäre ist) nicht wenig über ihren Schöpfer aussagt. Aber bleiben wir im folgenden Beispiel banal. Wenn ich die Inhalte meiner Kindheit sozusagen vergegenständliche (Schulbucher, Spielzeug, Kleidung, Teddybaren,…), lasst sie sich als Aufbewahrungsort für meine Souvenirs beschreiben. Eben als Kiste. Und weil mir die Kindheit zeitlich und räumlich fern ist, als verstaubte Kiste auf dem Dachboden. Überdies ist sie beschrankt zuganglich und darum lasse ich ihr Schloss verrostet sein. Diese Szenerie als Bild betrachtet ruckt sie in die Nahe der Allegorie, was uns nicht weiter stören soll: Eine Frage von Wörtern – und diese haben laut Ludwig Wittgenstein letztlich die Bedeutung, die wir ihnen durch ihre Verwendung zubilligen. (Was übrigens auch auf Tatsachen wie z.B. Plüschtiere zutrifft, doch davon später mehr.)
Platon hielt übrigens die Metapher für ein unzulässiges Täuschungsmanöver und in ihrer subjektiven Ausdeutbarkeit ist sie es vermutlich auch. Descartes, welcher leider nicht die Möglichkeit hatte Wittgenstein zu lesen, forderte von der Sprache, dass sie die Bestimmtheit seiner (Descartes) Urteile auszudrucken vermag, und nimmt an, dass es von jeder Sache nur eine Wahrheit gibt. Die spielerisch kreative Unscharfe der Metapher war damit seine Sache nicht. Missbräuchlich wird sie vornehmlich von Religionen verwendet, welche ihren so nebulosen wie absoluten Weis- und Wahrheiten durch sie etwas an Körper verleihen. Bewegt sich der Sinngehalt der Überlieferung gar zu haarsträubend gegen Null, wird sich Gott wohl metaphorisch geäußert haben.
Nach dieser Einleitung schlage ich nun (endlich) vor, das Idyll in unserer Kindheit und genauer in unserem, von Plüschgetier besetztem Kinderzimmer zu verorten. Unser Traum vom Paradies, den sich wiederum die Religionen unter den Nagel gerissen haben, steht diesem Idyll nicht fern, war aber noch mit einer Schlange und einem nacktem Menschpaar aus Fleisch und Blut ausgestattet und ist dergestalt von stammesgeschichtlich älterer Abstammung. Das Idyll war also immer. Es ist im Laufe unseres Lebens verloren gegangen und keine Utopie (und wird sie mit noch so vielen blutigen Opfern zu erreichen versucht) kann es heute mehr glaubhaft als Perspektive in die Zukunft projizieren.
Es hilft nichts, wenn wir das Idealbild unseres Kindheitsidylls schon an dieser Stelle relativieren. Es ändert nichts an ihm: Es meint die Sehnsucht nach einer verlorenen Einheit, die ob der demaskierenden Tatsachen nicht erlischt.
Das Plüschtier nun figuriert sozusagen als Tempelwachter an der Pforte zum Kinderzimmer(-Idyll) und in dieser Funktion tritt es uns auch zum ersten Mal in seiner Ambivalenz entgegen: als Verlockung und als Zerberus. Doch so weit sind wir noch nicht.
Der Weg zurück führt über die Regression und damit ist er gefahrvoll, wenn man ihn nicht aufmerksam beschreitet. Die Zulässigkeit einer Regression mit allen damit verbundenen Fantasien wiederum – so meine riskante These – hangt mit dem Maß ihrer Bewusstmachung zusammen. Das heißt, werde ich durch den Sog der vermeintlich heilen Kindheit (die herrliche Freiheit der Ohnmächtigen!) angezogen, ohne das Ruder in der Hand zu behalten, werde ich im Strudel der Vergangenheit regredieren. Das Schiffchen des Lebens kennt nur eine Fahrtrichtung: Volle Kraft voraus! (Ebenfalls eine so kitschige, wie fantasielose Metapher.)
Und so gefahrvoll, wie jetzt der Weg zurück ist, so erschien er uns damals nach vorn: hinaus aus dem Kinderzimmer ins Leben!
Auch von dieser Seite kommend finden wir den Teddy an der Schwelle: doch diesmal nicht als Höllenhund, sondern als liebevollen Türhüter. Dieser sagt dem Kinde (und die Glasaugen glänzen), zwei bedeutsame Dinge: Wenn Du mich verlasst, werde ich schrecklich alleine sein! Und: Entziehst Du Dich meiner Umarmung, werden Dich die Monster fressen, die da draußen auf Dich warten! Zwei gute Grunde jedenfalls, unter der Bettdecke zu bleiben. Die erste Drohung verschleiert die eigenen Ängste des Kindes vor dem Verlassenwerden; die zweite die der Mutter, das eigene Fleisch und Blut loszulassen. Beide aber machen klar, was mit dem Schritt nach draußen einhergeht: Man wird die beschützende Liebe verlieren und der Weg zurück wird versperrt bleiben. Was allerdings dem armen Kinde das Leben zuruft, hat niemand klarer gesagt als C. G. Jung: Geh dorthin wo deine Angst ist. Und er sagt damit: Gehe über die Schwelle, geh in die Krise hinein, wo das Alte nicht mehr und das Neue noch nicht gilt.
Wenn wir von der Ambivalenz des Teddybaren sprechen, sprechen wir unweigerlich von der Ambivalenz der Grenzerfahrungen unserer Kindheit. Wir sehen die Geborgenheit und wir sehen die Entwicklungshemmung in der Umarmung der Mutter in unserer Kindheit. Wir sehen die Verheißungen zur Rückkehr in das verlorene und vermeintliche Paradies der Kindheit und wir sehen die Widernatürlichkeit der Reiserichtung. Mit einem Wort, wir sehen das Plüschtier in seinen Bedeutungen für uns: einmal als Totem und Schutztier und einmal als Monster und Höllenhund. Wir verstehen unsere Ambivalenz dem Idyll gegenuber.
Vielleicht ist an dieser Stelle klar geworden, warum wir vom Teddybaren und seiner idyllischen Lebenswelt als Metapher ausgegangen sind, ohne die Tatsachen allzu ernst zu nehmen.
Wie wir gesehen haben, besitzen Dinge an sich keine Bedeutung, außer der, welche wir ihnen verleihen. Das widerspricht nur scheinbar den Thesen von Jean Piaget, der Kleinkinder als absolute Realisten bezeichnet, welche durch ihr Unvermögen außen und innen zu unterscheiden, den Dingen eine geradezu magische Bedeutung beimessen [2].
Das Kleinkind sieht die Welt nicht egoistisch, es ist sozusagen tatsachlich eins mit ihr. Einem Kinde, welchem der Schutz des Plüschtiers nicht zuteil wurde, kann also dessen Funktion durchaus in ein anderes Ding projizieren. Das großäugige, warme, weiche und geduldige Stoffwesen schafft es allerdings, sich besonders gut in das kindliche Universum einzukuscheln. Als verkleinertes Abbild seiner selbst wird es zum idealen Gefährten. Ich bin allerdings der Meinung, dass die Animation der Mutter, es als solches anzunehmen, dazu notwendig ist.
Wenn wir über die Bedeutung von Worten nachdenken, so tun wir nichts anderes, als nach den Symbolen suchen, welche hinter den Worten stehen und die Schlüssel zu unserer emotionalen und bildhaften Erfahrungswelt sind.
Bevor wir uns aber zu weit in unsichere Gewässer hinaus wagen, eine abschließende Bemerkung zum Massenphänomen der Plüschverehrung, wenn wir annehmen wollen, dass die Hinwendung zum Kitsch ein solches ist. (Über die Freudsche anale Ausdeutung der Sammelleidenschaft wollen wir an dieser Stelle schweigen.)
Luc Ciompi und Elke Endert [3] haben gezeigt, dass Massenverhalten in seiner Emotionalität und Irrationalität mit dem Verhalten von Kleinkindern zu vergleichen ist. Beiden ist es unmöglich, langfristig zu planen und auf kurzfristigen Lustgewinn zu verzichten. Dass dies ein bedenkliches Bild von einem Gesellschaftssystem wie dem der Demokratie zeichnet, sei nur nebenbei bemerkt. Wir können also das in der Massendynamik entstehenden Wir-Gefühl mit guten Grund kindlichen Emotionen gleichsetzen. Die Affinität zu allem, was kitschig ist (d.h. als bekannt gilt und damit gefahrlos ist), vermag somit nicht zu überraschen. Ebenso wenig überrascht leider auch seine andere Seite: die der kindlich unzensierten und unkontrollierten Grausamkeit. Wenn der legitime Teddybär des Erwachsenen – der Gartenzwerg – erwacht, rollen die Kopfe.
[1] Siehe zum Begriff der Metapher Arnold Retzer, Passagen, Stuttgart 2002, sowie die Buchbesprechung in diesem Heft.
[2] Jean Piaget, Das Weltbild des Kindes, Paris 1926
[3] Luc Ciompi/Elke Endert Gefühle machen Geschichte – Die Wirkung kollektiver Emotionen, Göttingen 2011.
Peter Kaiser
Geb.1968, gelernter und langjähriger Buchhändler. Interessiert sich für viele Dinge. Schreibt gerne für das etcetera und ist selbstständig in St. Polten tätig.
LitGes, etcetera 48/ Teddy/ Oktober 2012