Ich möchte durchbrennen in meine Welt: Sylvia Rosenhek / Batya Horn. Rez.: Ingrid Reichel

Ingrid Reichel
Für alle

 

Sylvia Rosenhek
Ich möchte durchbrennen in meine Welt
Hg.
Batya Horn
Wien: Edition Splitter, 2013. 96 S.
ISBN 978-3-901190-41-4

Dieses kleine Büchlein widmete die Verlegerin Batya Horn ihrer Mutter Sylvia Rosenhek. Sie starb im Jänner 2012 im 92. Lebensjahr. Sylvia Rosenhek litt in den letzten Jahren an einer Altersdemenz. Demenz und Alzheimer sowie Altersbetreuung stehen thematisch in der Literatur und der Kinematographie hoch im Kurs, angefangen mit „Small world“ (1997) von Martin Suter, der auch verfilmt wurde, „Der alte König in seinem Exil“ (2011) von Arno Geiger, der Film „Amour“ (Liebe, 2012) von Michael Haneke oder die Fernsehproduktion „Die Auslöschung“ (2013) von Nikolaus Leytner, nur um die wichtigsten Beiträge im deutschsprachigem Raum der letzten Jahren zu nennen. Doch Batya Horn löst das in uns offensichtlich innewohnende gesellschaftliche Anliegen auf andere Art. Es ist nicht nur das Anliegen, sich einen geliebten Menschen zu bewahren, oder gar seinen eigenen Kommentar zu jenen unbarmherzigen Krankheiten, die den Verfall unseres Gehirns antreiben, abgeben zu wollen. Vielmehr schließt Batya Horn mit diesem Büchlein einen Kreis, den Kreis, der unser aller Leben ausmacht. Er umschließt unsere Stärken, unsere Ziele, unsere Sehnsüchte, unsere Niederlagen und Schwächen. Dieser Kreis verkörpert mit seinem Inhalt wohl das, was wir unter Authentizität verstehen. Daher ist er frei von Spott und Diffamierung. Darin liegt wohl die große Kunst dieses Büchleins, denn Batya Horn schrieb nicht über ihre Mutter, sondern ließ sie selbst sprechen. Während sie ihre Mutter pflegte und betreute, sammelte sie immer wieder Sätze, die ihre Mutter zum Besten gab. So stehen kritische Aussagen und Erkenntnisse voller Selbstironie wie „Wenn ich in Ordnung bin, ist die ganze Welt in Ordnung“ neben philosophischen Bezügen wie „Die Laune spielt eine große Rolle, die Illusion, die dir sagt, daß alles gut ist.“, Ängste wie „Du bist wie meine Mutter, aber Du bist meine Tochter. Wenn Du mich läßt, bin ich verloren.“, Humoriges wie „Wie macht man das, was man nicht machen kann?“ oder „Man spricht nicht, man tratscht nicht, man macht sich nicht wichtig - man ist nur fein!“, um nur wenige zu zitieren. Die Äußerungen wurden ihrem dialogischen oder auch monologischen Kontext entrissen und erhalten somit einen aphoristischen Charakter.

Der 1971 in Meran geborene Autor, Schauspieler und Grabredner Hannes Benedetto Pircher geht in seinem brillanten einleitenden Text „In memoriam Sylvia Rosenhek“, auf dieses prekäre Dilemma ein. Pircher stellt klar, dass in der Entscheidung die Sätze aus ihrem Kontext frei stehen zu lassen, niemals die Absicht steckte, diese zu Aphorismen aufzuwerten, da Sylvia Rosenhek als Urheberin der Sätze in diese Richtung keinerlei Intentionen verfolgte. Vielmehr wäre der Leser durch seinen kulturellen Hintergrund geneigt aus den Sätzen etwas zu machen, was sie gar nicht sind: nämlich Bonmots, Weisheiten, Sentenzen, Sinnsprüche, Aperçus oder Maximen. Auch wenn sich dieses Rezeptionsverhalten nicht vermeiden ließe, diene die angewandte Darstellung ausschließlich dem Herzensanliegen, dem ehrenden Andenken an Sylvia Rosenhek eine angemessene Form zu geben, erklärt Pircher (S. 10).

Trotz Demenzerkrankung behielt sich die sprachbegabte und gebildete Dame ihr ausgeprägtes Gespür für Konversation und dies nicht nur in Deutsch, sondern auch in Rumänisch, Italienisch und Französisch. In diesem Büchlein sind allerdings nur zwei in Französisch wiedergegeben: „Mille fleurs, cela n’a pas de couleur.“ und „Je ne reste plus ici toute seule. Le capitaine est plus important.“

Eindrucksvoll ist Sylvia Rosenheks längste Äußerung in diesem Buch aus dem Frühjahr 2010 (S. 17), die selbsterklärend die kurzen Sätze in diesem Buch einleiten. „Es geht um den Zusammenhalt. Wir haben immer zusammengehalten […].“

Sylvia Rosenhek, geborene Sommer, wurde 1920 in Kimpolung, in der südlichen Bukowina geboren. Hier begann ihr bewegtes Leben. Auf Seite 95 wird kurz aber prägnant die geschichtliche, politische und geographische Relevanz dieses Gebietes erläutert. Auf Seite 92 sind die entscheidenden Punkte im Leben der Sylvia Rosenhek angeführt, so die NS-Deportation der Familie Sommer nach Mogilew in die Ukraine 1941 und ihre Befreiung durch die Rote Armee 1944. Sylvia Rosenheks Heirat mit Josef Rosenhek, die Geburt ihrer beiden Kinder, Kerry und Batya, ihre Wohnorte von Cernowitz nach Bukarest, über Tel Aviv nach Wien, wo sie ab 1955 bis zu ihrem Tod lebte.

Nach solch dramatischen Lebenseinschnitten bekommen Äußerungen wie „Ich habe viel verloren, als ich in die weite Welt gegangen bin.“ oder „Ich bin immer noch da. Ich lebe müde und erschrecke, schlafen zu gehen.“ den dokumentarischen Charakter der Aufarbeitung über die traumatischen Erlebnisse samt ihren unheilbaren Wunden zugefügt durch das kriminell agierende NS-Regime des Dritten Reichs.

Bei genauerer Betrachtung entpuppt sich dieses Büchlein als ein komplexes Dokument. Beginnend mit dem liebevollen Ansinnen des Gedenkens und der stillen Trauerarbeit, die mit der Erschaffung dieses Büchleins geleistet wurde, ist es auch eine geschichtliche Aufarbeitung und Zeugnis einer Akzeptanz gegenüber einer veränderten Lebenslage eines Menschen in Krankheit und Alter.

Einige Schwarz-Weiß-Fotografien von Sylvia Rosenhek und drei „Übertippungen“ von Stephan Eibel Erzberg lockern das Büchlein, welches „für alle“ gewidmet ist, auf.

Batya Horn ist hier eine einzigartiges Kleinod gelungen!

Die Präsentation des Buches findet am 1. Oktober um 19 Uhr im Literaturhaus Wien statt.

LitGes, Juli 2013