54/blind/Lyrik: Hahnrei Wolf Käfer - Ein paar Senryus, wenn’s beliebt

Hahnrei Wolf Käfer
Ein paar Senryus, wenn’s beliebt

 

blindheit schreit oder
man übersieht sie (höflich?)
trotz der drei punkte...

ganz ruhig liegt ein
dreitagekätzchen in der
hand eines blinden

als dem kätzchen die
augen aufgingen sah es
die prallen zitzen

blinde scheiben in
der verwahrlosten gasse
tak-tak eines stocks

die scheibenwischer
verschmieren den blütenstaub
trübe aussichten

das augenarztschild
mit unscharfen buchstaben -
zur kundenwerbung?

ein betrachter tritt
den gemälden zu nahe
- ist der vielleicht blind?

auf dias sieht man
was man ohne kamera
gesehen hätte

‘lieber blind sein als
da zusehen müssen’ sagt
der menschenseher

von magensäure
verätzt und zersetzt - was soll
liebe sonst machen?

ins aug gestochen
dann die augen ausgeweint
doppelte blindheit

der berg blickt ins land
und das land blickt auf den berg
blickdichter autor

seher haben den
theresias-, ödipus oder
freudkomplex

 

Hahnrei Wolf Käfer
Geb. 1948. Literarischer Beginn über die Präpositionsschwäche von Peter Rosei und dergleichen, später sprachfreundliche und autorenskeptische Essays über Haslinger, Gail, Menasse, Streeruwitz etc. im Morgen. kultur nach gärtnerinnenart (Lyrikzyklus), täuschungen (Lyrikzyklus über das programmatische Pseudonym “Hahnrei”), ICH GING (Roman).

Erschienen im etcetera Nr. 54 / blind / Dezember 2013