63/Alles Theater: Eva Riebler-Übleis im Gespräch mit dem Künstler Walter Berger
Im Raucherzimmer des Lokals Cafe Schubert in St. Pölten traf Eva Riebler-Übleis den Küstler Walter Berger. Die „Römische Wand”, vor der Walter Berger saß, hat er 2008 in freskoähnlicher Technik mit einem integrierten Portrait, der sogenannten Sappho gestaltet.
Lieber Walter, Du bist bildender Künstler, studiertest 1976 bis 1981 an der Hochschule für Angewandte Kunst, Wien (Malerei bei Prof. C. Unger), erhieltst als Fotograf diverse Preise und machst Rauminstallationen, z. B. das Foyer des Flaneurs im KWI-Haus St. Pölten und in Wien. In St. Pölten hängt von Dir die 4x3m große Arbeit, ein Spinnennetz, betitelt Radnetz Y Nr. 1 am Beginn der Rathausgasse. Was war Deine Intention dafür?
Ich hatte von Kunst im öffentlichen Raum NÖ ein Freispiel, das heißt: Ich konnte ein Projekt nach meinem Gutdünken entwickeln. Ich dachte zuerst daran, die Erinnerung der schrecklichen Zeit des jungen Rilke in St. Pölten umzusetzen, hab das dann verworfen und mich für die Entwicklung des Radnetzes Y Nr. 1 entschieden. Es hängt im weitesten Sinne auch mit meinen Rotationsbildern zusammen. Doch ist das Radnetz eine Skulptur, welche von beiden Seiten betrachtet werden kann.
Du beschäftigst Dich außerdem mit Fotografie und …
Ja, anfangs nur Polaroid SX70, ab 1979 mit Spiegelreflexkamera. Die Grundkenntnisse hat mir ein Exfreund meiner damaligen Freundin vermittelt. Dort konnte ich auch das Schwarz-Weiß Labor benutzen.1981 machte ich die erste Postkartenserie über den Westbahnhof im Rahmen von „Künstlern in Betrieben“. Eine sechsteilige Serie mit Motiven vom Westbahnhof wurde in einem Münzautomaten mit Fächern zum Verkauf angeboten. Nach meiner ersten Mail-Art Aktion, das war die Psychiatrieansichtskarte, aufgenommen im Psychiatrischen Krankenhaus Gugging, die an jeden Psychiater Österreichs verschickt wurde, folgten dann einige weitere Mail-Art Aktionen, gemeinsam mit Ona B.1988 begann ich mit großformatig inszenierten Fotografien.
Was kann man sich darunter vorstellen?
Die Farbfotos wurden meistens auf 100x70 cm vergrößert und eine Textzeile, bzw. der Titel mancher Arbeit in das Foto einmontiert.
Kann man sagen, der Text karikiert…
Nein, nein, denn es ist das Prinzip „Kontrastmontage“ von John Heartfield. … Z.B. auf einer Psychiatriekarte mit Foto des Anstaltsschlafsaals steht „schöner wohnen“.
Inwieweit war Dein Interesse an der Kunst Duchamps richtungweisend für Dich?
Richtungsweisend nicht, sondern wir haben uns im Studium natürlich alle einmal mit Duchamp und auch mit Antonin Artaud ( „Theater der Grausamkeiten“) beschäftigt. Ausschlaggebend war die Ausstellung „Junggesellenmaschinen“ von Harald Szeemann 1977 im Museum des 20. Jahrhunderts Wien. Eine tolle Sache! 1989 habe ich das Ready Made Fahrrad-Rad aufgegriffen und einen Text von Duchamp fotografisch umgesetzt. Diese Fotos sind derzeit in der Weinhandlung Haydn, Herrenplatz St. Pölten ausgestellt. Duchamp meinte, die Bewegung des Rades erinnere ihn an die tanzenden Flammen in einem Kamin, und genau dies habe ich umgesetzt.
Was zeichnet Deine Malkunst aus?
Es gibt verschiedene Perioden. Landschaftsmalerei und figurative Malerei in Öltechnik. Die Phase der „Verzerrungen” sind ebeno in Öltechnik gemalt. Die Rotationsbilder sind in Acryltechnik auf Wasserbasis ausgeführt.
Du hast Frottagen gemacht?
Nein, ich habe ein Triptychon in der Natur in Vorarlberg gemalt. Es war eine Auftragsarbeit für das AKH. Ich male selten in der Natur und Nebenprodukte 50x60cm entstanden in Mischtechnik zwischen Collage und Frottage. In dieser Zeit – 1990 - habe ich eine Dokumentation über Max Ernst gesehen. Er empfiehlt in dieser Jackson Pollok brieflich ein Farbbehältnis mit einem Loch im Boden an drei Fäden aufzuhängen und in Bewegung zu setzen. Womit gute Resultate erzielt werden können. Es geht um die Aufzeichnung einer Bewegung in Form von Linie, Strich oder Punkt. Schwarz auf Weiß oder Weiß auf schwarzer Leinwand. Und später habe ich auch mit Farben gearbeitet.
Deine Verbindung/Nähe zum Theater?
Ich habe 1976 Hans Gratzer kennen gelernt. Da war er noch im Kärntnertor-Theater und hat Elisabeth I inszeniert und ich konnte während der Proben zeichnen. Gratzer hat kurz danach das Schauspielhaus Wien gegründet und ich verfolgte einige Produktionen. Es war eine tolle Zeit! Gratzer war für Wien in dieser Zeit eine Bereicherung! Im Jahre 1982 habe ich mit meiner damaligen Frau George Tabori und seine legendäre Theatergruppe kennen gelernt. Bei einem Gastspiel anlässlich der Wiener Festwochen wurde im Museum des 20. Jhdts. das Stück „Der Untergang der Titanic” von Hans Magnus Enzensberger aufgeführt.
Hast Du Lieblingsautoren oder –stücke?
Ja, durchaus z.B. H. M. Enzensberger und die Franzosen, (z.B. Raymond Roussel, Georges Bataille, Guillaume Apollinaire, Pierre Klossowski). Oskar Panizza „ Das Liebeskonzil“ und Psichopatia criminalis.
Gehst Du hin und wieder heute in St.Pölten oder in Wien ins Theater oder ist Dein Leben genug Theater?
Ja von Zeit zu zeit in das Festspielhaus St.Pölten, aber wirklich beeindruckt hat mich die letzte Produktion von Christoph Schlingensief im Burgtheater „Area 7 Matthäus Expedition“. Weil das war ein unfassbares Gesamtkunstwerk, wo nicht nur der Zuschauersaal bespielt wurde, die Drehbühne sich gedreht hat und ein miefiger Keller wurde hineingebaut, kaputte stinkende Fische lagen herum und eine Japanerin erklärte einem toten Hasen etwas. Es war ein Stationentheater, personifiziert waren Nitsch und andere Künstler, auf einer riesigen Josef Beuys-Maske ritt Michael Jackson. Auch als Zuschauer ging man mit und ich ritt auf dieser Maske. Die Methode der Gleichzeitigkeit der Spielorte sah ich 1976/77 auch bei Projekten von Ruben Fraga im Dramatischen Zentrum Wien. Die Alma-Inszenierungen von Paulus Manker sind ähnlich aufgebaut.
Dein momentanes Projekt?
Kann ich nicht sagen, weil es noch nicht offiziell ist. Ansonsten – angeregt durch das Interview und als Heftkünstler – werde ich weitere unveröffentlichte Fotos herausgeben.
Dann danke ich Dir für die sichtbaren Photos dieses Heftes, die Du uns aus Deinem großen Archiv zur Verfügung gestellt hast!