85/LitArena X/Siegertext 3. Platz: Bernadette Sarman: drinnen / mein herz und keine seele

Bernadette Sarman
drinnen / mein herz und keine seele

 

01. nimm meine hand

Meine Finger sind wieder rau vom Arbeiten, die Haut auf meinen Fingerspitzen blättert weiß. Ich stelle mir vor, wie sich die Hautpartikeln von meinen Fingern lösen, langsam im Geschirrwasser verschwinden, vielleicht an der Oberfläche schwimmen. Ein Stück von mir neben Essen, das niemand wollte.
Ich stehe neben Tellerstapeln und Gabelmetall und suche meine Gedanken zwischen Zeit, die nicht vergeht und Zeit, die in meinen Händen schmilzt. Dachte früher, nur Erwachsene haben Sorgen; ich hatte Recht. Ich weiß nur nicht, wann ich erwachsen geworden bin. Weißes Porzellan in meinen Händen und Hitze, die zwischen Stoff und Haut beginnt zu sein.
Ich wanke zwischen ätzendem Pulver auf meinen Unterarmen und geöffneten, unbeantworteten Nachrichten im Minutentakt. Ein kleiner Fleck über meinem Ellenbogen zeigt jetzt noch, wo ich brannte.
Als Kind hatte ich immer Angst, am eigenen Leib zu verschimmeln. Ich träumte von dunklen Adern und pelzigem Grau auf meiner Haut, wie es auf Brot wächst, wenn es vergessen wurde; alles, was lebt, wird irgendwann schwarz. Vielleicht war die Angst, vergessen zu werden stärker als die, zu verfallen.
Wenn ich aus dem Fenster schaue, vergesse ich nicht, dass es eine Welt außer diesen Fliesenwänden gibt. Für einen kurzen Augenblick vergesse ich meine To-Do Listen, die zu Hause wachsen. Denke nicht an die Kugelschreiberfarbe auf den Post-Its, die blasser wird, oder an das Gelb der Zettel, das bleibt.
Der Körper einer toten Fliege leuchtet auf dem weißen Fensterrahmen und sperrt meinen Blick wieder in den Raum.
Ich nehme die Fliege in ein Taschentuch, der kleine Kadaver knirscht zwischen meinen Fingern und dem Stoff. In meiner Hand liegen Flügel und Körper, die ich gerade gebrochen habe, schnell lasse ich die Fliege in den Mistkübel fallen. Mir wird kalt.
Meine Hände fangen an zu schimmeln, als ich sie aus dem Wasser herausziehe.


02. atme auf lunge

Stürme hinter meinem Atem, wenn ich spreche. Die Zigarette in seiner Hand leuchtet, als er sie dreht, ich starre auf den leeren Brunnen zehn Meter vor uns. Kein Wasser, das Steinbecken strahlt im dreckigen Weiß im Flutlicht des Platzes. Sein Daumen scrollt über mein Display, als er meinen Text liest, blaue Pupillen, die wie Murmeln hin und her springen. Feuer, zwischen meinen Händen, das zittert. Meine Zähne schlagen aufeinander, ich weiß nicht, ob mir wirklich so kalt ist.
Ich zerre Rauch von meinem Mund, es schmeckt nicht. Er fragt mich, warum ich nicht auf Lunge atme. Ich schüttle nur den Kopf. Unsere Fingerspitzen berühren sich kurz, als er mir
mein Handy zurückgibt, „du schreibst gut“.
Wir schieben weiter Sätze zwischen uns, als wäre es ein Spiel. Laufen um Worte herum, vor denen wir Angst haben, dass sie wehtun. So oft umsonst gelächelt, doch der kurze Serotoninstoß ist es mir wert.
Wir drehen uns wie zwei Planeten, wir können nur einsam leuchten. Ich verstecke meine Wörter zwischen Sternenwolken; manchmal, wenn ich will, lasse ich sie alle lesen.
Wir geben uns kalte Wärme, die wir beide brauchen, nur kurz.
Er versteht meine Gedichte nicht, wie soll er mich verstehen. Teil doch deine Zeit mit mir, will ich sagen, doch der Satz hängt zwischen uns. Ich will nicht die Erste sein, die sich fallen lässt.


03. sei herz mit mir

Mein Herz ist über die Jahre das gleiche geblieben, manchmal ist ein Stück dazugekommen, an guten Tagen spüre ich es wachsen.
Es schlägt mit der Dankbarkeit, mit der ich mein Leben betrachten will, aber nicht immer kann.
Das Schlagen ist jeden Tag ein anderes.
Entwaffnend, in manchen Momenten. Als er meinen Text las und ich die Luft anhielt.
Ein leises Staccato in meiner Brust, kurz bevor sich zwei Blicke treffen. Wie vor einem Sprung.
Flattern. Wenn ich vor Kunst stehe, die auf mein Augennetz trifft, die mich inspiriert.
Fest und bestimmt. So klopft es, wenn ich renne. Pumpt Blut durch meinen Körper und zeigt mir, dass ich noch lebe.
Schlägt wie auf Butter, weich und satt, wenn ich unter Sternen sitze und Lippenabdrücke auf Glasränder schimmern.
Unter meinen Nägeln schmilzt das Glück.
Und dann kommen Tage, an denen es meinen Körper kaputtschlagen will. Wie ein Hammer auf einem Ziegel knackt es in mir drinnen und ich kann es nicht ausschalten. Mir bleibt nur dem Brechen zu lauschen.
Ab und zu ist ein Stück vom Herz weggebrochen. War ihm zu fest, manches, nicht alles hält es aus.
Die Lieder, die ich bei meinem 1. heartbreak gehört habe, singe ich heute lauter als damals. Wenn ich sie summe ist es, als hätte ich warme Bienen im Mund. Der Schmerz von damals schmeckt jetzt nach Gelerntem, an schlechten Tagen nach Reue.


04. wirbel und stürme

Es gab eine Zeit, da war ich weich. In der Zeit schaute ich die Welt an, als wäre sie aus Watte, sich fallen zu lassen war einfacher.
Wie viele meiner Mundwinkel sind für Nichts nach oben gezuckt.
Mein Lachen bleibt mir im Knie stecken, es scheppert, wenn ich gehe. Ich denke, dass nur ich es höre. Irgendwann höre ich auf zu gehen, ich kann es nicht mehr hören. Das Ziel habe ich nie gekannt.
Atlas ist meine Grundlage, auf der ich stehe. Erde zu Erde, ich weiß, irgendwann wird das alles hier aufhören. Unter meinen Füßen bricht der Staub.
Auf der Achse drehen sich meine Worte. Bin manchmal stimmlos, nie wortlos, doch nicht immer finden alle Worte ihren Weg aus meinem Hals. Trotzdem teile ich meine Worte mit Menschen, die ich nicht kenne.
Leise Nächte sind die längsten.
Die Lieder, die ich höre, sind lauter geworden, weil sie schreien können, wenn ich es nicht kann. So laut in meinem Kopf, wie ein Zug, der auf Gleisen zittert. Ich warte, bis meine Ohren knallen.
Es gibt Tage, da macht mich das Leben glatt. Keine Rillen, an denen ich mich verletze; ich weiß, es kann auch anders sein.
Ich rutsche auf Worten, die nicht mir gehören. Bleibe an der Vergangenheit kleben und reiße an Nähten alter Wunden, als läge die Antwort auf alles unter meinen Krusten.
Ziehe meinen Rücken auf, um mich daran zu erinnern, dass nicht alles schief steht. Ich richte mich auf, sonst knicke ich zusammen. Fühle mich wie ein Strohhalm, undurchsichtig fallen meine Gefühle auf und ab. Ich kenne die Lunge und den Atem nicht, die mich hin und her reißen. Ich glaube, das nennt man Leben.

 

Bernadette Sarman
Geb. 2001 in Wien, in Niederösterreich aufgewachsen. Maturajahrgang 2019 im Gymnasium Sacré Coeur Wien, derzeit Studentin der Germanistik an der Universität Wien. Veröffentlichungen in Anthologien und Zeitschriften, sowie Teilnahme an Schreibwerkstätten und Wettbewerben. Zahlreiche Lesungen, unter anderem im BMI und im Rahmen der Gedenkveranstaltung 2018 in der Wiener Hofburg. In ihrer Freizeit liest sie (nichts Unirelevantes) und reist gerne. Mailadresse: berni.sarman@hotmail.com