Franz M. Wuketits
SCHÖPFUNGSMYTHEN UND EVOLUTION – UNVEREINBARE PARADIGMEN
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Foto: Andreas Trunschke, 2007 |
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In einem Café in Wien sprach Franz Reichel mit dem Evolutionsbiologen Franz Wuketits. 07.12.2009
Herr Prof. Wuketits, im etcetera „Aberglaube & Irrglaube“ interessiert besonders die Entwicklung menschlicher Mythen, Glaubenssysteme, Magie u.s.w. Wie erklärt sich diese Entwicklung im Rahmen der Evolutionstheorie?
Der Mensch scheint ein der Metaphysik bedürftiges Lebewesen zu sein, d.h. es genügt ihm nicht, die Welt einfach so hinzunehmen, wie sie ist oder wie sie sich ihm darbietet, sondern seit grauer Vorzeit schon, soweit wir entsprechende Belege auch dafür haben, hat der Mensch Ideen entwickelt, vor allem das Weiterleben nach dem Tode, Jenseitsideen. Im Zentrum dieses Problems steht das Todesbewusstsein. Wenn wir nicht wüssten, dass wir sterblich sind, wären Religionen erst gar nicht entstanden.
Die Erkenntnisse der modernen Naturwissenschaften lassen die entstandenen Mythen der Schöpfung und der Entstehung des Menschen als inkompatibel mit dem heutigen Wissensstand erscheinen. Dennoch hängen viele Menschen insbesondere in westlichen, aufgeklärten Ländern einem religiösen Glauben an?
Der Mensch hat sich durch die Wissenschaft, durch die Aufklärung, in seiner Psyche nicht verändert, er bleibt ja nach wie vo belastet von emotionalen Problemen. Der Philosoph Wittgenstein meinte einmal - ein schöner Spruch - wenn alle Probleme der Wissenschaft einmal gelöst sein sollten, werden die des Menschen noch gar nicht berührt sein. Was die heutige Zeit betrifft glaube ich, dass der Rückzug in Glauben, Aberglauben und metaphysische Denkweisen auch mit einer allgemein wachsenden Desorientierung, einer Ökonomisierung der Welt sowie verschlechterten Arbeitsbedingungen auf allen Ebenen zusammenhängt. Eine Orientierungslosigkeit, die daneben noch, so paradox das auch erscheinen mag, eine Flucht ins Irrationale fördert. Paradox deswegen: Wir haben auf der einen Seite die Wissenschaft, die rationalen Denkweisen, aber die scheinen vielen Menschen zu wenig. Je härter der Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt, je unfairer sich der einzelne Mensch behandelt fühlt und je unsicherer ihm seine Situation erscheint, umso stärker ist die Tendenz, sich zurückzuziehen in Irrationales.
Hängt das auch damit zusammen, dass die ursprüngliche Idee – der Mensch, die Krone der Schöpfung – aufgegeben werden musste. Wir haben mehrere Kränkungen erfahren. Aus kosmologischer Sicht sind wir bedeutungslos, aus evolutionstheoretischen Überlegungen sind wir auch nicht geplant. Es kümmert sich niemand um uns.
Die Evolution kümmert sich um gar nichts, sie hat keine Lieblingskinder, wir sind eine unter vielen Millionen von Arten. Unzählige Millionen von Arten sind ausgestorben. 500 Millkionen bis eine Milliarde von Arten haben auf diesem Planeten gelebt sind großteils wieder ausgestorben, d.h. es ist auch mit unserer Sonderstellung nicht weit her. Und wenn Freud hier von einer der Kränkungen des Menschen gesprochen hat, so ist das nicht ganz von der Hand zu weisen, denn vielen Menschen scheint es nach wie vor unerträglich zu sein, dass sie bloß eine Spezies unter vielen sind, nicht die Absicht irgendeines höheren Wesens, nicht das Resultat eines Plans, sondern Zufallsprodukt einer Evolution, die gewissermaßen blind vorgeht.
Damit geht natürlich für viele Menschen, die in Glaubenssystemen verhaftet sind, die Sinnhaftigkeit des Daseins, ihre Sinnfindung zu Bruch. Wie kann man in einer sinnlosen Welt Sinn finden?
Ja, das habe ich versucht in meinem letzten Buch mit dem Titel „Darwins Kosmos. Sinnvolles Leben in einer sinnlosen Welt“ darzulegen. Das heißt der Einzelne kann Sinn in sich selbst finden. Der Kosmos kümmert sich ja nicht um mich. Ich kann Sinn finden im privaten Bereich, ich kann Sinn finden auch außerhalb meiner eigenen, kleinen Existenz. Ich kann zur Bildung beitragen, ich kann mich für etwas einsetzen, ich kann etwas unterstützen, das über die Dauer meines Lebens hinausgeht. Das macht Sinn! Und dazu brauche ich keinen übergeordneten kosmischen Sinn.
Die Kritiker der Evolutionstheorie, bzw. ihrer eben geäußerten Ansichten, werden argumentieren: Das mag für einen im Wohlstand lebenden Intellektuellen, der leicht Sinn im Leben, seiner Tätigkeit und Familie findet, gelten. Was macht aber eine Person, z.B. in der dritten Welt, die in Armut unter der Existenzgrenze dahinvegetiert?
Da gebe ich Ihnen völlig Recht. Es klingt etwas zynisch wenn man sagt: „Ja ich habe diese und jene Möglichkeiten!“
Was sage ich einem hungernden Äthiopier – das ist schon klar. Aber ich glaube, dass der hungernde, ja verhungernde Mensch in erster Linie, um es im Klartext zu sagen, etwas zu „Fressen“ braucht und nicht Sinn. Ich glaube, dass die Zahl der Menschen, die an der Sinnlosigkeit des Universums zerbrochen sind, gegenüber der Zahl der verhungerten Menschen äußerst gering ist. In erster Linie wollen wird leben und überleben. Der hungernde Mensch braucht in erster Linie etwas Essbares und keinen Sinn.
Von kirchlicher Seite wird immer wieder darauf hingewiesen, dass Ethik und Moral nicht alleine auf Rationalität gründen können. Wie kann man das im Rahmen der Evolution erklären?
Ich würde sagen, wir sind auch mit der Anlage zum Mitleid ausgestattet. Da brauche ich keine Rationalität. Mitempfinden, Mitleid, Sympathie, Empathie – die Fähigkeit, mich in die Situation anderer Menschen hineinzuversetzen. Das muss ich nicht rational begründen. Das ist auch eine der positiven Seiten der Evolution, wir sind ja nicht nur die geborenen „Mörderaffen“, wie das gelegentlich bezeichnet wurde, wir sind nicht nur aggressiv gegen andere, wir haben auch eine Anlage zu Kooperation, zur gegenseitigen Hilfe. Das ist der positive Aspekt zur Evolution. Und es ginge darum, dass wir gesellschaftliche Rahmenbedingungen schaffen, die gerade diese Seite unserer Existenz fördern. Das Problem ist, dass der Arbeitsdruck und der Konkurrenzdruck weiter steigen.
Ein anderer Problemkreis. Es gibt etliche Naturwissenschaftler, die einerseits der naturwissenschaftlichen Methodik und deren Strenge das Wort reden, gleichzeitig aber einen religiösen Glauben als Angehörige einer Gemeinschaft vertreten. Ist das intellektuelle Unredlichkeit oder wie manche schärfer formulieren intellektuelle Schizophrenie. Wie ist ihre Position dazu?
Ich bin jedenfalls dagegen, dass man hier verschiedene Dinge vermengt im Sinne einer „Wiener Melange“ - Schöpfungsglaube und Evolutionstheorie sind zwei ganz verschiedene Paar Schuhe.
Sie sind inkompatibel und unvereinbar. Das muss man einmal zur Kenntnis nehmen. Was aber nicht heißt, dass ich meinerseits einen gläubigen Menschen in irgendeiner Form versuchen würde umzustimmen oder ihm seinen Glauben zu nehmen. Er muss nur einsehen, dass mit den naturwissenschaftlichen Konzepten der Evolution die Religion nichts zu tun hat. Für mich sind Evolution und Schöpfungsglaube unvereinbar und damit basta!
Sie haben Wiener Melange gesagt. Spielen Sie da möglicherweise auf das im März von der Akademie der Wissenschaften veranstaltete Symposium mit dem Titel „Schöpfung und Evolution - Zwei Paradigmen und ihre gegenseitiges Verhältnis“ an, bei dem auch Kardinal Schönborn zu einer „Wiener Vorlesung“ im Rathaus eingeladen war? Kardinal Schönborn versuchte hier über den Umweg „Intelligentes Design“ eine friedvolle Koexistenz zwischen Glaube und Naturwissenschaft zu etablieren.
Ja, was soll ein Kardinal der katholischen Kirche machen? Wenn er sagt, er nimmt die Evolution in aller Konsequenz ernst, muss er ja seinen Kardinalshut abgeben. Im Klartext gesagt: Schönborn hat natürlich seine Thesen aus dem N.Y. Times Artikel 2005 etwas relativiert und etwas zurückgenommen. Dazu aber eines: Bei einem Symposium an der theologischen Fakultät vor vier Jahren war ich amüsiert, dass ein Alttestamentler ausgesagt hat, Schönborn solle in der altorientalischen Kultur bleiben. Das heißt, wir haben mit dem Schöpfungsbericht der Bibel ein schönes Märchen vor uns, entstanden in einer Kultur, die von unserer völlig verschieden ist, ein literarisch vielleicht oder wahrscheinlich hoch stehendes Werk, das mit Evolution überhaupt nichts zu tun hat. Das können Theologen interpretieren, wie sie wollen, aber mit Evolutionstheorie und Naturwissenschaften hat das überhaupt nichts zu tun. Ich glaube auch, dass mehrere kritische Theologen kritisch genug sind, um das auch einzusehen. Das eine sind Metaphern, eine bilderreiche Sprache, die aber mit der Frage nach dem Ursprung des Lebens, der Evolution überhaupt nichts zu tun hat und diese Frage auch nicht beantworten kann. Diese Frage kann eben nur die moderne Evolutionstheorie beantworten.
Die Aufklärung scheint vorbei zu sein. Die Spiritualität – was immer das auch ist – Schamanismus, Sekten, spirituelle und konfessionelle Vereinigungen feiern ein „Come Back“. In ihrem Buch „Der Affe in uns“ schreiben sie (S. 170): „In der Evolutionsgeschichte der Hominiden sind wahrscheinlich nie so viele Individuen in so kurzer Zeit verblödet wie heute.“ Können sie das etwas näher ausführen?
Es hat noch nie in der Geschichte der Hominiden, der Menschenart, eine Situation gegeben, in der so viele Menschen so unmittelbaren Zugang auf solch gewaltige Informationsmengen hatten wie heute. Nur der Zugang zur Information, den unsere Vorfahren hatten, der war sehr direkt und konkret brauchbar. Die waren informiert. Und sie mussten z. B. über das Wetter informiert sein, über gefährliche Raubtiere usw.; das war nicht nur in der prähistorischen Zeit so. Ein Landwirt ist vom Wetter noch heute abhängig. Er muss brauchbare Informationen haben: Wie schaut das Wetter aus, wann kalbt eine Kuh, wann kriegt das Schwein Junge usw. Das heißt, in diesem kleinen, überschaubaren Kosmos hat er verwertbare, brauchbare Informationen. Mehr braucht er nicht zu wissen. Heute sind wir überflutet mit Millionen von Einzelheiten, schauen sie bei Google nach oder wo auch immer, und kein Mensch kann mehr sagen, was er mit dieser Information anfangen soll. Es fehlt uns im Gehirn ein Filter, der wertvolle von wertloser Information unterscheidet. Das wird immer schwieriger und insoweit meine ich, dass die Möglichkeit, in kurzer Zeit zu verblöden, heute, wie nie in der Geschichte zuvor, gegeben ist.
Das hängt auch mit den unglaublich vielen Fehlinformationen, die im Internet verbreitet werden zusammen. Ich denke dabei nur an die Verschwörungstheorien. Vielleicht noch eine weitere für unsere Leser interessante Frage:
Sie sind im wissenschaftlichen Rat der Giordano Bruno Stiftung. Ist es nicht an der Zeit, wenn in den Schulen die wissenschaftlichen Fakten nicht hinlänglich transportiert werden auch in der Öffentlichkeit gegen diesen Esoterikboom und gegen diese Spiritualitätswelle etwas lauter aufzutreten? Sich dagegen zu wehren, dass eine tolerante Koexistenz zwischen Naturwissenschaft und religiösem Glauben geheuchelt wird?
Die Giordano Bruno Stiftung, auf die sie anspielen, hat ja im letzten Profil der Stiftung auch ganz klar festgehalten, dass es nicht darum geht, Religionen zu bekämpfen oder neue „Grabenkämpfe“ zu beginnen, sondern in Aufklärungsmanier Menschen, die ihre Orientierung suchen – und zwar auf wissenschaftlicher Ebene – und sich von Esoterik und solchen Dingen verabschieden wollen, Haltegriffe zu liefern. Also es geht nicht darum, jemanden zu missionieren, das wäre ja nur ein Dogmatismus in anderer Form, sondern einfach nur um ein intellektuelles Angebot für diejenigen, die den ganzen Esoterikboom nicht mitmachen wollen.
Aldous Huxley hat in seinem bemerkenswerten Roman „Ape and Essence“ den Satz stehen:
“Ends are ape chosen, only the means are man´s“, den ich frei übersetzen würde – Der Mensch hat nur die Mittel geschaffen, um seine Ziele zu erreichen, die Ziele aber entsprechen seiner Primatennatur. Wenn das so ist, sehen sie da noch eine weitere Chance für die Existenz dieses Astes am Baum der Evolution oder ist der zum Aussterben verurteilt?
Alle Äste am Baum der Evolution sind früher oder später zum Aussterben verurteilt. Es gibt keine Art, die für alle Ewigkeit angelegt wäre. Wenn man nur an die enorme Zahl ausgestorbener Arten denkt, dann kann man sagen, das ist ein natürliches Phänomen. Das Aussterben gehört zur Evolution, wie die Entstehung neuer Arten. In diesem Sinn kann man sich gelassen zurücklehnen, und sagen: Wir sind jetzt da, freuen wir uns! Aber ewig werden wir nicht da sein.
Könnte es sein, dass sich am Baum der Evolution ein neuer Ast entwickelt? Neue Menschen in Kombination mit Siliziumchips oder gar „heruntergeladenen Intelligenzen auf Festplatten“?
In dem Sinn wären das keine Menschen mehr. Das wäre eine Entwicklung, wie ich sie mir nicht vorstellen kann, und ich glaube, die ist auch nicht sehr realistisch. Wir haben eigentlich als Spezies keine Möglichkeit mehr uns in Unterarten aufzuspalten. Wir haben die ganze Erde bereits bevölkert und sind in diesem Sinne gewissermaßen am Ende unserer Evolution angelangt. Was eine gewisse Hoffnung böte, ist die kulturelle Evolution. Eine Verfeinerung unseres Geistes, wenn sie es so wollen, vermehrte Bildung. Aber als Spezies werden wir im Wesentlichen wohl bleiben, wie wir sind. So wie Nashörner Nashörner bleiben, wird Homo sapiens eben ein Affe bleiben, wenn auch ein Affe mit ganz besonderen Merkmalen – aber alle Affen haben jeweils besondere Merkmale.
Ich darf mich herzlich für das Gespräch bedanken
Prof. Dr. Franz M. Wuketits:
Evolutionstheoretiker, lehrt an der Universität Wien, ist Mitglied des Board of Directors KLI (Konrad Lorenz Institute), in mehreren wissenschaftlichen Beiräten u.a. auch der Giordano Bruno Stiftung, Autor von 34 Büchern und mehr als 400 Artikeln, Herausgeber und Mitherausgeber vieler wissenschaftlicher Sammelwerke. Seine letzten Veröffentlichungen: Darwins Kosmos. Sinnvolles Leben in einer sinnlosen Welt. Alibri 2009; Evolution, die Entwicklung des Lebens. C.H. Beck 2009; Der freie Wille. Die Evolution einer Illusion. Hirzel 2008; Evolution ohne Fortschritt. Aufstieg und Niedergang in Kultur und Gesellschaft. Alibri 2008; Bioethik. Eine kritische Einführung. C.H. Beck 2006. mehr...