Mark Benecke: Spontane Selbstentzündung. Ingrid Reichel

 

 

 

 

Mark Benecke
SPONTANE SELBSTENTZÜNDUNG

 

Ingrid Reichel bemühte sich keine Spuren zu hinterlassen, als sie den deutschen Kriminalbiologen und Spezialisten für forensische Entomologie Mark Benecke im Rahmen der GWUP-Konferenz (Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften) 2009 in Hamburg interviewte. Der Begriff Entomologie kommt aus dem Griechischen und bedeutet Insektenkunde. Benecke konnte also anhand der Insektenbesiedlung auf einer Leiche so manchen Fall bearbeiten…

 

In Hamburg allerdings berichtete er über das Phänomen der Selbstentzündung, von Menschen also, die ohne Zutun sich in Flammen auflösen. In der Esoterik beteuert man immer wieder die innere Hitze als Beweis der menschlichen Energie. Ob es die Liebe oder gar der Hass ist, der uns so heiß macht, es wäre nicht verwunderlich, wenn Menschen, die zuviel Energie in sich haben und nicht wissen wohin mit ihrem Überschuss, sich einfach entflammen. Fiktive und phantasievolle Darstellung von Künstlern, davon gibt es ja genug. Und Menschen lieben die Mystik und das Unerklärliche. Wenn also ein Feuerwehrmann einen Leichnam findet, dessen Arme oder Beine beinahe unversehrt bleiben, hat er was zu rätseln. Und wenn er clever ist, benachrichtigt er z.B. Mark Benecke und erzählt ihm von seinem unglaublichen Fund.

 

Benecke zeigte anhand von Fotografien, wie sich ein Stück Fleisch, in seinem konkreten Experiment waren es Schweinebrustkörbe sowie ein ganzes Schwein, reagieren, wenn es bekleidet angezündet wird. Außerhalb verkohlt es, doch unterhalb der schwarzen und abbröckelnden Kruste bleiben noch klar erkennbare Substanzen übrig. Das heißt in dem Fall der spontanen Selbstverbrennung müsste das Fleisch von innen her verkohlen, tatsächlich ist es aber immer von außen her verkohlt. In dem einen konkreten Fall, wir nennen ihn nach dem Opfer den Fall der Adele, konnte Benecke nachweisen, dass die vermutete Selbstverbrennung über das Sammeln von Muscheln passierte. Muscheln, die mit Phosphorpartikeln aus Bomben aus dem zweiten Weltkrieg behaftet waren, entzündeten sich in der Jackentasche der Sammlerin, während sie im Auto neben der aufgedrehten Heizung saß. Frau Adele überlebte mit knapper Not, weil sie mit ihrer Familie unterwegs war, als der Vorfall passierte. Benecke recherchierte über einige Jahre, bis er den Fall vollständig klären konnte.

 

Ist der Beruf des Kriminalbiologen nicht noch eine Rarität?

 

Das kommt darauf an. Genetische Abdrücke machen viele. Es gibt in jedem Land ein örtliches oder bundesweites Kriminalamt …

 

Aber diese forensische Entomologie …

 

Ja, das ist eine besondere Spezialisierung. Ich bin zudem öffentlich bestellter und vereidigter beeideter freiberuflicher Sachverständiger; das ist gewiss ungewöhnlich.

 

Führt dich diese ungewöhnlich Kombination auch ins Ausland, z.B. nach Amerika?

 

Nicht bei echten Fällen, die können die KollegInnen auch alleine bearbeiten. Ich habe aber von 1997 bis 1999 in der Rechtsmedizin Manhattan als Kriminalbiologe gearbeitet und fahre immer noch zu den U.S.-Kongressen der Forensiker.

 

Speziell auf die Häufigkeit der Spontanverbrennungen, wie oft kommt das tatsächlich vor? In den Medien wird davon kaum berichtet.

 

Das hängt davon ab, ob es der Presse, dem Fernsehen oder einem Kollegen erzählt wird. Das kann ich nicht sagen, wie oft das vorkommt. Das weiß ich nicht. Wie oft jetzt diese spezielle Zusammenstellung stattfindet, die dann in dieser Erscheinung resultiert, dass hauptsächlich nur mehr Arme oder Beine übrig bleiben, das weiß kein Mensch. In Amerika und Europa guckt man da natürlich eher drauf, weil dort gründlicher dokumentiert wird. Aber was da in Asien passiert oder in anderen, kleineren Ländern… es ist halt eine Frage der Berichterstattung. Darüber kann man keine Statistik machen.

 

Du hast in deinem Vortrag erwähnt, dass du ausschließlich Kleidung aus Synthetik trägst. Gibt es dafür einen besonderen Grund?

 

Weil man die sehr gut waschen kann. Baumwollklamotten gehen beim häufigen Waschen sehr schnell kaputt oder färben aus oder beides.

 

Synthetik brennt doch aber leicht, ich denke an die Experimente, die du zur Veranschaulichung dieses Vortrags gefilmt hast.

 

Ich weiß gar nicht, ob die so leicht brennen. Ich trage so Outdoor-Equipment, das könnte auch irgendwie schwerer entflammbar sein.

 

Bezüglich des Outfits, warum bist du mit so vielen Karabinerhaken ausstaffiert?

 

Ich habe für meine Koffer, die ich immer im Zug schleppen muss, so ein Gestänge, da muss ich meine Taschen anklemmen. Meine Ausrüstung besteht aus einer Zusammenstellung verschiedener Taschen. Mit den Karabinern befestige ich sie über ihren Henkel an das Gestänge.

 

Wie genau kann man heute in so einem Kriminalfall den Todeszeitpunkt feststellen?

 

Das kommt auf die Umstände an. Wenn du die Temperatur gut kennst, ja vor allem die Temperatur, aber auch den Kaliumgehalt des Auges, die Erregbarkeit der Skelett-Muskulatur und so weiter, dann kann man den Zeitpunkt des Todes an einer Leiche ziemlich genau feststellen.

 

Im Krimigenre, ob Literatur oder Film, wird damit massenhaft Schindluder getrieben. Berätst du Autoren?

 

Ja klar. Wenn sie mich fragen. Die meisten Autoren lehnen aber eine Beratung ab, weil sie im Endeffekt ja was Verrücktes erfinden wollen. Sie wollen nur ein paar wissenschaftliche Worte hören, die sie einstreuen können. Aber in der Regel sind sie nicht daran interessiert, ihren Fall realistisch vorzuführen, weil sonst der ganz Plot kaputt geht. In 99 % der Fälle ist das nur ein Witz. Man streut ein bisschen Wissenschaft als Salzkörnchen rein. Aber das ist fast nie ernst gemeint.

 

Es boomt an forensischen Serien. Wie sehr liegen die daneben?

 

Das weiß ich nicht. Ich habe keinen Fernseher.

 

Kein CSI, keinem Täter auf der Spur?

 

Kein Fernseher.

 

Als freiberuflicher forensischer Entomologie, von wem wirst du beauftragt?

 

Wen es interessiert. Es können mich Angehörige anrufen, die Betroffenen selber, der Staatsanwalt, der Richter oder die Polizei. Das ist wie bei einem Kfz-Sachverständigen. Wir haben laufend mehrere Fälle zu bearbeiten. Es ist viel zu tun.

 

Und das sind ja ausnahmslos Kriminalfälle. Wie steht es mit den anderen Fällen, von denen du berichtet hast?

 

Ja, die nehmen wir auch auf. Das sind dann eher Anfragen, Presseanfragen. Da war was mit Geisterjägern in der Art, sie fragen mich dann: „Sag mal, verarschen uns die Leute jetzt? Es gibt doch keine Geister!“ und sie wollen wissen, wie man das prüft. Da kommt es dann darauf an, was diese Quelle behauptet genau gesehen zu haben. Hat die Person einen Schatten gesehen, eine Windböe, was hat sie gehört? So etwas nehmen wir auch als Fall auf, aber nur wenn es eine konkrete Fragestellung dazu gibt. Wenn die Leute fragen: „Gibt es Geister?“, dann kann ich nichts dazu sagen. Wir können nur konkrete Ereignisse prüfen, bei denen es etwas zu messen und anzusehen gibt.

 

Die Aufklärung des Falls der Adele, den du in deinem Vortrag als Fall der Selbstverbrennung gebracht hast, dauerte über Jahre. War Frau Adele dann zufrieden mit deiner Antwort?

 

Ich weiß gar nicht, ob sie über den letzten Stand der Dinge informiert worden ist, weil nicht sie, sondern National Geographic der Auftraggeber war. Wie weit sie von National Geographic informiert wurde, weiß ich nicht. Sie hat es aber hoffentlich im Fernsehen gesehen, das lief ja zigmal rauf und runter...

 

Glauben tatsächlich Menschen, dass sie von sich aus brennen können?

 

Ja, das glauben sehr viele Leute. Wenn du dir die Bücher anschaust, die gelesen werden, siehst du, dass viele Leute daran glauben. Es fängt mit Yoga als Energiequelle an und autogenem Training. Das geht dann stufenlos weiter über psychische Energien und Auren sowie mit dem Glauben, dass man mit gewissen Teilchen - noch nicht entdeckten Pyrotronen - was sprengen kann. Diese Energievorstellungen sind sehr weit verbreitet. Der Großteil der Menschheit glaubt an irgendwelche Energieströme. Dass man dabei selbst entflammt, ist nur eine Variante. Z.B. wie definierst du, dass beim autogenen Training deine rechte Hand warm wird? Die meisten Leute würden sagen, dass das durch Energieflüsse passiert. Dass die Blutgefäße arbeiten, würden ja nach Denkrichtung nur sehr wenige antworten.

 

Emotionale Reaktionen …

 

Genau. Aber der Sammelbegriff "Energie" stimmt ja immer.

 

Ich danke für das Gespräch und informiere noch unsere Leser und Leserinnen, dass Mark Benecke Autor von über 10 Büchern ist, die auch großteils ins Englische übersetzt wurden. Das letzte „Warum man Spaghetti nicht durch zwei teilen kann“ erschien beim Verlag Luebbe, 2009, in dem er wieder vom Spaß-Nobelpreis/ Ig Nobel Prizes berichtet. Die Rezension befindet sich im Rezensionsteil dieses etcetera.

 

Mark Benecke:

Geboren 1970 in Rosenheim/Bayern. Studium der Biologie, Zoologie und Psychologie an der Uni Köln. Polizeitechnische Ausbildungen im Bereich der Rechtsmedizin in den USA, darunter FBI-Academy. Unterrichtet an Polizeischulen und ist Gastdozent in den USA, Vietnam, Kolumbien und auf den Philippinen.

Publikation vieler populärwissenschaftlicher Bücher. Gastherausgeber der Forensic Science International und Mitglied der GWUP. Veröffentlichungen in deren Zeitschrift „Skeptiker“. Seit 1999 jeden Samstag Beiträge auf Radio Eins (Deutschland). 1989-2000 Schlager-Punk-Band „Die blonden Burschen“. Bekannt auch wegen seiner rechtsmedizinischen Beratung als Kriminalbiologe bei Sendungen wie „Niedrig und Kuhnt – Komissare ermitteln“, „Galileo Mistery“, „Medical Detectives“ und „Autopsie“. www.benecke.com mehr...

Mark Benecke: Spontane Selbstentzündung. Ingrid Reichel

Krista Federspiel: Kritisches Denken ... Ingrid Reichel

Krista Federspiel
KRITISCHES DENKEN, EIN STÜCK WEG VOM ABERGLAUBEN
Aktiv gegen „Alternativmedizin“, Esoterik und andere Unsinnigkeiten

 

 
Auf dem Treffen der GWUP (Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften) 2009 in Hamburg lernte Ingrid Reichel die renommierte Medizinjournalistin Krista Federspiel kennen. Im September 2009 trafen sie sich in Wien. Dies ist nur ein Ausschnitt eines langen und ergiebigen Gesprächs.

 

Du hast einen interessanten Beruf, du bist Medizinjournalistin. Wie kam es dazu?

 

Neugierde ist meine Obsession, deshalb war mein Berufsziel Journalismus. Ich habe allmählich angefangen mich einzuarbeiten. Bin dann bei einer Wochenzeitschrift gelandet und habe hauptsächlich Magazinarbeiten gemacht. Weil man länger daran sitzen bleiben konnte, ich eine große Familie habe und beides unter einen Hut bringen musste. Meine Spezialthemen waren Recht, Jugend, soziale Fragen, Feminismus und Arbeitspolitik. Das sind im Groben die „Gemüsebeete“, die ich beackert habe, dazu gehören auch Gesundheit und Medizin. Und dann bin ich eingeladen worden von jener bekannten Journalistengruppe, die das Buch „Bittere Pillen“ herausgegeben hat, welches sich kritisch mit Medikamenten befasst. Das Autorenkollektiv wollte mich in seinen Reihen haben, und ich habe zugesagt. Im Laufe der Zusammenarbeit spezialisierte ich mich auf medizinische Themen und habe – ergänzend zu den „Bittere Pillen“ – für den Verlag Kiepenheuer & Witsch an medizinischen Ratgebern und dem Klassiker „Kursbuch Gesundheit“ mitgearbeitet. Wir haben immer mit Experten zusammengearbeitet und Recherchen in der wissenschaftlichen Literatur durchgeführt, um auf dem neusten Stand des Wissens zu sein. So entstanden Patientenratgeber zu einzelnen weit verbreiteten Krankheiten, wie Kopfschmerzen, Bluthochdruck, Rückenschmerzen, Augen- und Zahnmedizin usw. Anspruch und Ziel waren dabei immer das Medizinerwissen in eine einfache, lesbare Sprache zu übersetzen - Ratgeber für ganz normale Leser eben.

 

Entstand in diesem Rahmen auch das damals als Skandal geltende Buch „Die andere Medizin“?

 

Ja, das ist in diesem Kreis entstanden. Die Stiftung Warentest plante eine Buchreihe zu Gesundheitsthemen, griff meinen Vorschlag, Naturheilverfahren zu analysieren, auf und gab mir den Auftrag, den ich gemeinsam mit Kollegin Vera Herbst in kurzer Zeit durchgeführt habe. Auffallend war, wie viele seltsame Therapiemethoden sich unter dem Etikett „Naturheilverfahren“ versammelten und wie wenig wissenschaftliche Dokumentation es hierzu gab.

Wir haben sehr viel Material zusammengetragen, um Analysen durchführen zu können und den eigenen Standpunkt zu festigen. Dies gelang mit Hilfe kritischer Forscher und Mediziner.

Die Reaktionen waren heftig, und der Verlag und wir wurden mit Klagedrohungen und Gerichtsverfahren zugedeckt: Anbieter, die keine Argumente haben, versuchen Kritiker auf diesem zeit- und kostenintensiven Weg mundtot zu machen. Je esoterischer die Methode, desto „klagfreudiger“ die Anbieter.

Das Buch ist fünf Mal überarbeitet erschienen: Auf dem alternativern Markt werden laufend neue Verfahren oder Kombinationen kreiert.

 

Beim alljährlichen GWUP-Treffen in Hamburg im Frühjahr 2009 konnte man wieder feststellen, dass Österreich eine Hochburg der Esoterik ist.

 

Meine persönliche Theorie dazu ist: Wir hatten 200 Jahre Absolutismus. In dieser Zeit hat man gelernt den Kopf zu neigen und andererseits zu Autoritäten aufzuschauen. Überdies haben wir  hunderte Jahre lang den wundergläubigen Katholizismus und eine sehr konservative, katholische Erziehung gehabt. Kritisches Denken war - und ist – da nicht gefragt.

 

Autoritätsgläubigkeit und Kritiklosigkeit.

 

Ja, und beides zusammen führt dazu, dass es hierzulande wenig Zivilcourage und wenig Widerstandspotenzial gegen politische Fehlentwicklungen gibt. Wir schauen neidisch nach Frankreich, wo es eine Selbstverständlichkeit und Tradition ist, dass Menschen für die eigenen Interessen kämpfen und auch ihre politische Meinung auf der Straße äußern. Bei uns ist es immer noch verpönt zu demonstrieren. Die Macht der Straße, so etwas tut man doch nicht!

 

Wo Dreck liegt, darf man nicht hinzeigen. Wir wollen nichts bereinigen, sondern den Dreck lieber unter den Teppich kehren. Wer Dinge beim Namen nennt, wird als Nestbeschmutzer betitelt.

Aber bezüglich kritischem Denken: Wie bist du zur GWUP gekommen?

 

Bei der Recherche zur „anderen Medizin“ habe ich die GWUP entdeckt: Ich hatte kritische Mediziner gesucht, die sich mit der Alternativmedizin auseinandersetzen, und bin auf diesem Weg zur GWUP gestoßen. Da ist es mir klar geworden, dass das die Gruppierung ist, nach der ich gesucht habe. Kritisch, klug und demokratisch. So verschieden da die Meinungen auch sind, der Kommunikationsstil entspricht meinem Anspruch an einen höflichen und humorvollen Umgang miteinander. Es gibt Respekt, man hört einander zu, niemand versucht den anderen zu konkurrenzieren. Das Klima und die Inhalte haben mir gut gefallen. Ich habe erst dort gelernt, in wie viele Fachbereiche Esoterik eingezogen ist, wie viel Pseudowissenschaft es gibt, und wie interessant es sein kann, aus verschiedensten Wissensbereichen und Branchen Informationen zu bekommen.

Das Erstaunliche war, dass ich auf den deutschen GWUP-Treffen Österreicher getroffen habe, die ich sonst nicht kennen gelernt hätte.

 

Warum gibt es keine eigene Skeptiker-Bewegung in Österreich? Sind wir zu klein?

 

Möglich. Immerhin gibt es heute zwei Regionaltruppen der deutschen GWUP in Österreich, eine in Innsbruck und eine in Wien. Diese nennt sich seit Juli 2008 aus juristischen Gründen „Gesellschaft für kritisches Denken“ (GkD). Ich habe sie mit einigen Aktivisten im September 2002 „zur Welt“ gebracht: Meine Rolle war die der Hebamme. Ich bin ja keine Wissenschafterin, ich bin Journalistin. Aber ein Sprachrohr für wissenschaftliche Erkenntnisse. Diese publik zu machen, das war viele Jahre meine Berufstätigkeit. Es freut mich sehr, dass sich nun die nächste Generation, Wissenschaftler wie Ulrich Berger und Erich Eder und viele Studenten, in der Wiener GWUP engagieren.

 

Welche Ziele verfolgt die GWUP bzw. GkD?

 

Sie wirbt für die Verbreitung von wissenschaftlichem Denken. Sie tritt gegen Parawissenschaften wie die Astrologie, Homöopathie, Geomantie und anderen esoterischen Unsinn, sowohl auf akademischem Boden als auch im Alltag, auf. Sie kämpft für Konsumentenschutz, um Verführbare, wie etwa chronisch Kranke oder Eltern „schwieriger“ Kinder, vor Schaden durch alternativmedizinischen Nonsens und Scharlatanerie zu bewahren.

 

Was mich doch erschüttert, ist die Feststellung, dass der Staat Förderungen für esoterische Methoden vergibt, wie z.B. das „Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst“ an Herrn Grander, der nie wissenschaftlich gearbeitet, sondern bloß Wunderwasser vermarktet hat.

 

Naja, das hat alles einen Hintergrund. Die verleihende, zuständige Ministerin war ja selbst esoterisch orientiert. Das war ein Großteil der Minister damals. Der Finanzminister hat einen Bleikristall an einem Kettchen getragen. Die Bildungsministerin hat einen Halbedelstein gegen Computerstrahlen neben ihrem PC liegen gehabt. Da darf man sich nicht wundern, dass jemand wie Grander eine Auszeichnung bekommt, die er nicht verdient. Wissenschaftsminister Hahn hat die Auszeichnung – obwohl dies in den Statuten vorgesehen ist – nicht aberkannt und diese Nichtentscheidung sehr fadenscheinig begründet.
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Krista Federspiel: Kritisches Denken ... Ingrid Reichel

Franz M. Wuketits: Schöpfungsmythen ... Franz Reichel

 

 

 

 

Franz M. Wuketits
SCHÖPFUNGSMYTHEN UND EVOLUTION – UNVEREINBARE PARADIGMEN

 
Foto: Andreas Trunschke, 2007  

In einem Café in Wien sprach Franz Reichel mit dem Evolutionsbiologen Franz Wuketits. 07.12.2009

 

 

Herr Prof. Wuketits, im etcetera „Aberglaube & Irrglaube“ interessiert besonders die Entwicklung menschlicher Mythen, Glaubenssysteme, Magie u.s.w. Wie erklärt sich diese Entwicklung im Rahmen der Evolutionstheorie?

 

Der Mensch scheint ein der Metaphysik bedürftiges Lebewesen zu sein, d.h. es genügt ihm nicht, die Welt einfach so hinzunehmen, wie sie ist oder wie sie sich ihm darbietet, sondern seit grauer Vorzeit schon, soweit wir entsprechende Belege auch dafür haben, hat der Mensch Ideen entwickelt, vor allem das Weiterleben nach dem Tode, Jenseitsideen. Im Zentrum dieses Problems steht das Todesbewusstsein. Wenn wir nicht wüssten, dass wir sterblich sind, wären Religionen erst gar nicht entstanden.

 

Die Erkenntnisse der modernen Naturwissenschaften lassen die entstandenen Mythen der Schöpfung und der Entstehung des Menschen als inkompatibel mit dem heutigen Wissensstand erscheinen. Dennoch hängen viele Menschen insbesondere in westlichen, aufgeklärten Ländern einem religiösen Glauben an?

 

Der Mensch hat sich durch die Wissenschaft, durch die Aufklärung, in seiner Psyche nicht verändert, er bleibt ja nach wie vo belastet von emotionalen Problemen. Der Philosoph Wittgenstein meinte einmal - ein schöner Spruch - wenn alle Probleme der Wissenschaft einmal gelöst sein sollten, werden die des Menschen noch gar nicht berührt sein. Was die heutige Zeit betrifft glaube ich, dass der Rückzug in Glauben, Aberglauben und metaphysische Denkweisen auch mit einer allgemein wachsenden Desorientierung, einer Ökonomisierung der Welt sowie verschlechterten Arbeitsbedingungen auf allen Ebenen zusammenhängt. Eine Orientierungslosigkeit, die daneben noch, so paradox das auch erscheinen mag, eine Flucht ins Irrationale fördert. Paradox deswegen: Wir haben auf der einen Seite die Wissenschaft, die rationalen Denkweisen, aber die scheinen vielen Menschen zu wenig. Je härter der Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt, je unfairer sich der einzelne Mensch behandelt fühlt und je unsicherer ihm seine Situation erscheint, umso stärker ist die Tendenz, sich zurückzuziehen in Irrationales.

 

Hängt das auch damit zusammen, dass die ursprüngliche Idee – der Mensch, die Krone der Schöpfung – aufgegeben werden musste. Wir haben mehrere Kränkungen erfahren. Aus kosmologischer Sicht sind wir bedeutungslos, aus evolutionstheoretischen Überlegungen sind wir auch nicht geplant. Es kümmert sich niemand um uns.

 

Die Evolution kümmert sich um gar nichts, sie hat keine Lieblingskinder, wir sind eine unter vielen Millionen von Arten. Unzählige Millionen von Arten sind ausgestorben. 500 Millkionen bis eine Milliarde von Arten haben auf diesem Planeten gelebt sind großteils wieder ausgestorben, d.h. es ist auch mit unserer Sonderstellung nicht weit her. Und wenn Freud hier von einer der Kränkungen des Menschen gesprochen hat, so ist das nicht ganz von der Hand zu weisen, denn vielen Menschen scheint es nach wie vor unerträglich zu sein, dass sie bloß eine Spezies unter vielen sind, nicht die Absicht irgendeines höheren Wesens, nicht das Resultat eines Plans, sondern Zufallsprodukt einer Evolution, die gewissermaßen blind vorgeht.

 

Damit geht natürlich für viele Menschen, die in Glaubenssystemen verhaftet sind, die Sinnhaftigkeit des Daseins, ihre Sinnfindung zu Bruch. Wie kann man in einer sinnlosen Welt Sinn finden?

 

Ja, das habe ich versucht in meinem letzten Buch mit dem Titel „Darwins Kosmos. Sinnvolles Leben in einer sinnlosen Welt“ darzulegen. Das heißt der Einzelne kann Sinn in sich selbst finden. Der Kosmos kümmert sich ja nicht um mich. Ich kann Sinn finden im privaten Bereich, ich kann Sinn finden auch außerhalb meiner eigenen, kleinen Existenz. Ich kann zur Bildung beitragen, ich kann mich für etwas einsetzen, ich kann etwas unterstützen, das über die Dauer meines Lebens hinausgeht. Das macht Sinn! Und dazu brauche ich keinen übergeordneten kosmischen Sinn.

 

Die Kritiker der Evolutionstheorie, bzw. ihrer eben geäußerten Ansichten, werden argumentieren: Das mag für einen im Wohlstand lebenden Intellektuellen, der leicht Sinn im Leben, seiner Tätigkeit und Familie findet, gelten. Was macht aber eine Person, z.B. in der dritten Welt, die in Armut unter der Existenzgrenze dahinvegetiert?

 

Da gebe ich Ihnen völlig Recht. Es klingt etwas zynisch wenn man sagt: „Ja ich habe diese und jene Möglichkeiten!“

Was sage ich einem hungernden Äthiopier – das ist schon klar. Aber ich glaube, dass der hungernde, ja verhungernde Mensch in erster Linie, um es im Klartext zu sagen, etwas zu „Fressen“ braucht und nicht Sinn. Ich glaube, dass die Zahl der Menschen, die an der Sinnlosigkeit des Universums zerbrochen sind, gegenüber der Zahl der verhungerten Menschen äußerst gering ist. In erster Linie wollen wird leben und überleben. Der hungernde Mensch braucht in erster Linie etwas Essbares und keinen Sinn.

 

Von kirchlicher Seite wird immer wieder darauf hingewiesen, dass Ethik und Moral nicht alleine auf Rationalität gründen können. Wie kann man das im Rahmen der Evolution erklären?

 

Ich würde sagen, wir sind auch mit der Anlage zum Mitleid ausgestattet. Da brauche ich keine Rationalität. Mitempfinden, Mitleid, Sympathie, Empathie – die Fähigkeit, mich in die Situation anderer Menschen hineinzuversetzen. Das muss ich nicht rational begründen. Das ist auch eine der positiven Seiten der Evolution, wir sind ja nicht nur die geborenen „Mörderaffen“, wie das gelegentlich bezeichnet wurde, wir sind nicht nur aggressiv gegen andere, wir haben auch eine Anlage zu Kooperation, zur gegenseitigen Hilfe. Das ist der positive Aspekt zur Evolution. Und es ginge darum, dass wir gesellschaftliche Rahmenbedingungen schaffen, die gerade diese Seite unserer Existenz fördern. Das Problem ist, dass der Arbeitsdruck und der Konkurrenzdruck weiter steigen.

 

Ein anderer Problemkreis. Es gibt etliche Naturwissenschaftler, die einerseits der naturwissenschaftlichen Methodik und deren Strenge das Wort reden, gleichzeitig aber einen religiösen Glauben als Angehörige einer Gemeinschaft vertreten. Ist das intellektuelle Unredlichkeit oder wie manche schärfer formulieren intellektuelle Schizophrenie. Wie ist ihre Position dazu?

 

Ich bin jedenfalls dagegen, dass man hier verschiedene Dinge vermengt im Sinne einer „Wiener Melange“ - Schöpfungsglaube und Evolutionstheorie sind zwei ganz verschiedene Paar Schuhe.

Sie sind inkompatibel und unvereinbar. Das muss man einmal zur Kenntnis nehmen. Was aber nicht heißt, dass ich meinerseits einen gläubigen Menschen in irgendeiner Form versuchen würde umzustimmen oder ihm seinen Glauben zu nehmen. Er muss nur einsehen, dass mit den naturwissenschaftlichen Konzepten der Evolution die Religion nichts zu tun hat. Für mich sind Evolution und Schöpfungsglaube unvereinbar und damit basta!

 

Sie haben Wiener Melange gesagt. Spielen Sie da möglicherweise auf das im März von der Akademie der Wissenschaften veranstaltete Symposium mit dem Titel „Schöpfung und Evolution - Zwei Paradigmen und ihre gegenseitiges Verhältnis“ an, bei dem auch Kardinal Schönborn zu einer „Wiener Vorlesung“ im Rathaus eingeladen war? Kardinal Schönborn versuchte hier über den Umweg „Intelligentes Design“ eine friedvolle Koexistenz zwischen Glaube und Naturwissenschaft zu etablieren.

 

Ja, was soll ein Kardinal der katholischen Kirche machen? Wenn er sagt, er nimmt die Evolution in aller Konsequenz ernst, muss er ja seinen Kardinalshut abgeben. Im Klartext gesagt: Schönborn hat natürlich seine Thesen aus dem N.Y. Times Artikel 2005 etwas relativiert und etwas zurückgenommen. Dazu aber eines: Bei einem Symposium an der theologischen Fakultät vor vier Jahren war ich amüsiert, dass ein Alttestamentler ausgesagt hat, Schönborn solle in der altorientalischen Kultur bleiben. Das heißt, wir haben mit dem Schöpfungsbericht der Bibel ein schönes Märchen vor uns, entstanden in einer Kultur, die von unserer völlig verschieden ist, ein literarisch vielleicht oder wahrscheinlich hoch stehendes Werk, das mit Evolution überhaupt nichts zu tun hat. Das können Theologen interpretieren, wie sie wollen, aber mit Evolutionstheorie und Naturwissenschaften hat das überhaupt nichts zu tun. Ich glaube auch, dass mehrere kritische Theologen kritisch genug sind, um das auch einzusehen. Das eine sind Metaphern, eine bilderreiche Sprache, die aber mit der Frage nach dem Ursprung des Lebens, der Evolution überhaupt nichts zu tun hat und diese Frage auch nicht beantworten kann. Diese Frage kann eben nur die moderne Evolutionstheorie beantworten.

 

Die Aufklärung scheint vorbei zu sein. Die Spiritualität – was immer das auch ist – Schamanismus, Sekten, spirituelle und konfessionelle Vereinigungen feiern ein „Come Back“. In ihrem Buch „Der Affe in uns“ schreiben sie (S. 170): „In der Evolutionsgeschichte der Hominiden sind wahrscheinlich nie so viele Individuen in so kurzer Zeit verblödet wie heute.“ Können sie das etwas näher ausführen?

 

Es hat noch nie in der Geschichte der Hominiden, der Menschenart, eine Situation gegeben, in der so viele Menschen so unmittelbaren Zugang auf solch gewaltige Informationsmengen hatten wie heute. Nur der Zugang zur Information, den unsere Vorfahren hatten, der war sehr direkt und konkret brauchbar. Die waren informiert. Und sie mussten z. B. über das Wetter informiert sein, über gefährliche Raubtiere usw.; das war nicht nur in der prähistorischen Zeit so. Ein Landwirt ist vom Wetter noch heute abhängig. Er muss brauchbare Informationen haben: Wie schaut das Wetter aus, wann kalbt eine Kuh, wann kriegt das Schwein Junge usw. Das heißt, in diesem kleinen, überschaubaren Kosmos hat er verwertbare, brauchbare Informationen. Mehr braucht er nicht zu wissen. Heute sind wir überflutet mit Millionen von Einzelheiten, schauen sie bei Google nach oder wo auch immer, und kein Mensch kann mehr sagen, was er mit dieser Information anfangen soll. Es fehlt uns im Gehirn ein Filter, der wertvolle von wertloser Information unterscheidet. Das wird immer schwieriger und insoweit meine ich, dass die Möglichkeit, in kurzer Zeit zu verblöden, heute, wie nie in der Geschichte zuvor, gegeben ist.

 

Das hängt auch mit den unglaublich vielen Fehlinformationen, die im Internet verbreitet werden zusammen. Ich denke dabei nur an die Verschwörungstheorien. Vielleicht noch eine weitere für unsere Leser interessante Frage:

Sie sind im wissenschaftlichen Rat der Giordano Bruno Stiftung. Ist es nicht an der Zeit, wenn in den Schulen die wissenschaftlichen Fakten nicht hinlänglich transportiert werden auch in der Öffentlichkeit gegen diesen Esoterikboom und gegen diese Spiritualitätswelle etwas lauter aufzutreten? Sich dagegen zu wehren, dass eine tolerante Koexistenz zwischen Naturwissenschaft und religiösem Glauben geheuchelt wird?

 

Die Giordano Bruno Stiftung, auf die sie anspielen, hat ja im letzten Profil der Stiftung auch ganz klar festgehalten, dass es nicht darum geht, Religionen zu bekämpfen oder neue „Grabenkämpfe“ zu beginnen, sondern in Aufklärungsmanier Menschen, die ihre Orientierung suchen – und zwar auf wissenschaftlicher Ebene – und sich von Esoterik und solchen Dingen verabschieden wollen, Haltegriffe zu liefern. Also es geht nicht darum, jemanden zu missionieren, das wäre ja nur ein Dogmatismus in anderer Form, sondern einfach nur um ein intellektuelles Angebot für diejenigen, die den ganzen Esoterikboom nicht mitmachen wollen.

 

Aldous Huxley hat in seinem bemerkenswerten Roman „Ape and Essence“ den Satz stehen:
“Ends are ape chosen, only the means are man´s“, den ich frei übersetzen würde – Der Mensch hat nur die Mittel geschaffen, um seine Ziele zu erreichen, die Ziele aber entsprechen seiner Primatennatur. Wenn das so ist, sehen sie da noch eine weitere Chance für die Existenz dieses Astes am Baum der Evolution oder ist der zum Aussterben verurteilt?

 

Alle Äste am Baum der Evolution sind früher oder später zum Aussterben verurteilt. Es gibt keine Art, die für alle Ewigkeit angelegt wäre. Wenn man nur an die enorme Zahl ausgestorbener Arten denkt, dann kann man sagen, das ist ein natürliches Phänomen. Das Aussterben gehört zur Evolution, wie die Entstehung neuer Arten. In diesem Sinn kann man sich gelassen zurücklehnen, und sagen: Wir sind jetzt da, freuen wir uns! Aber ewig werden wir nicht da sein.

 

Könnte es sein, dass sich am Baum der Evolution ein neuer Ast entwickelt? Neue Menschen in Kombination mit Siliziumchips oder gar „heruntergeladenen Intelligenzen auf Festplatten“?

 

In dem Sinn wären das keine Menschen mehr. Das wäre eine Entwicklung, wie ich sie mir nicht vorstellen kann, und ich glaube, die ist auch nicht sehr realistisch. Wir haben eigentlich als Spezies keine Möglichkeit mehr uns in Unterarten aufzuspalten. Wir haben die ganze Erde bereits bevölkert und sind in diesem Sinne gewissermaßen am Ende unserer Evolution angelangt. Was eine gewisse Hoffnung böte, ist  die kulturelle Evolution. Eine Verfeinerung unseres Geistes, wenn sie es so wollen, vermehrte Bildung. Aber als Spezies werden wir im Wesentlichen wohl bleiben, wie wir sind. So wie Nashörner Nashörner bleiben, wird Homo sapiens eben ein Affe bleiben, wenn auch ein Affe mit ganz besonderen Merkmalen –  aber alle Affen haben jeweils  besondere Merkmale.

 

Ich darf mich herzlich für das Gespräch bedanken

 

Prof. Dr. Franz M. Wuketits:

Evolutionstheoretiker, lehrt an der Universität Wien, ist Mitglied des Board of Directors KLI (Konrad Lorenz Institute), in mehreren wissenschaftlichen Beiräten u.a. auch der Giordano Bruno Stiftung, Autor von 34 Büchern und mehr als 400 Artikeln, Herausgeber und Mitherausgeber vieler wissenschaftlicher Sammelwerke. Seine letzten Veröffentlichungen: Darwins Kosmos. Sinnvolles Leben in einer sinnlosen Welt. Alibri 2009; Evolution, die Entwicklung des Lebens. C.H. Beck 2009; Der freie Wille. Die Evolution einer Illusion. Hirzel 2008; Evolution ohne Fortschritt. Aufstieg und Niedergang in Kultur und Gesellschaft. Alibri 2008; Bioethik. Eine kritische Einführung. C.H. Beck 2006. mehr...

Franz M. Wuketits: Schöpfungsmythen ... Franz Reichel