Jean-Christophe Ammann
L’AMOUREUX D’ART WAR IN WIEN
Der Westend Verlag gab das neueste Buch des legendären Schweizer Kunstkenners Jean-Christophe Ammann heraus.
„Bei näherer Betrachtung . Zeitgenössische Kunst verstehen und deuten.“ wurde am 21. November 2007 im MuMoK Wien präsentiert.
Jean-Christoph Ammann war von 1989-2002 Direktor des Museums für Moderne Kunst in Frankfurt/Main, welches vom Wiener Architekten Hans Hollein erbaut und im Jahr 1991 eröffnet wurde. Nach dem Podiumsgespräch mit Mumok-Direktor Engelbert Köb interviewte Ingrid Reichel den Autor.
Das Interview erschien im etcetera 31/ZUCKER.BROT/März 08.
Und weil gerade von der Liebe zur Kunst gesprochen wurde, ist Kunst Orgasmus im Kopf?
Ich denke nicht total. Aber ich würde sagen, Kunst ist eine Erleuchtung und die Erleuchtung kann durchaus als eine Art von Orgasmus bezeichnet werden.
Sie sind sehr leidenschaftlich. Sie waren auch ein sehr leidenschaftlicher Museumsdirektor, aber auch ein „eiliger“, weil Sie immer an der Front bei den Künstlern waren.
Ich habe einen Biorhythmus von 10 Jahren. Alle 10 Jahre muss etwas Neues passieren. Ich war neun Jahre in Luzern, 11 Jahre in der Kunsthalle Basel und wenn ich das Museum für Moderne Kunst nehme, die Aufbauarbeit abziehe, dann waren es auch 11 Jahre. Man muss sehr frühzeitig und initiativ aufbauen, sich auch durchsetzen und dann die Saat ernten.
Sind Sie froh, dass Sie den Museumsbetrieb hinter sich gelassen haben?
Ich will es so sagen: Ich habe den Museumsbetrieb quittiert, weil es mir wirklich zu einer großen Last wurde. Eine psychische Last, jedes Jahr selbst eine Million Mark zusammenzutragen. Das war auch mit einem großen Verantwortungsgefühl gegenüber meinen Mitarbeitern verbunden. Es ist wie ein Familienvater, und die Mitarbeiter gucken dich an und sagen: „Papa, wir haben Hunger.“ Da musst du Nahrung beschaffen. Irgendwann habe ich gedacht, ich muss das anders machen. Ich habe für meinen Nachfolger unendlich viel getan. Meinem Nachfolger Udo Kittelmann habe ich über drei Jahre jedes Jahr 1, 6 Millionen Mark im Voraus organisiert. Auf die konnte er zurückgreifen, weil ich wie ein Unternehmer gesagt habe, wenn jemand von Auswärts nach Frankfurt kommt, braucht er Zeit, um auch die Leute kennen zu lernen. Deshalb konnte er über Gelder verfügen, wie ich sie selbst nie gehabt habe.
Im MuMoK ist gerade die Ausstellung „China - Facing Reality“ (26.10.07 – 10.02.08) Die Öffnung des asiatischen Raums, China im Trend überhaupt, wie sehen Sie diese Entwicklung?
Das ist eine reine Exportgeschichte.
Das war es aber nicht von vornherein… Vielleicht von demjenigen, der der Spürhund war. Von den Künstlern ausgesehen nicht.
Von den Künstlern auf jedem Fall! Die wurden von ihrer Kultur komplett getrennt und haben Dinge gemacht, von denen sie annahmen, sie kämen im Westen an. Natürlich gibt es Ausnahmen.
In den 90er Jahren gab es ein gemeinsames Projekt der Stiftung für Kunst und Kultur e.V. und des Kunstmuseums Bonn: „China. Zeitgenössische Malerei.“ Die Wanderausstellung war unter anderem in Wien im Künstlerhaus 1997, vor genau 10 Jahren zu sehen. Damals hatte man nicht diesen Eindruck. Und die Künstler lebten damals noch in China.
Es gab einen Schweizer Botschafter, Uli Sigg, der hat eine gewagte Sammlung von chinesischer Kunst gemacht. Aber ich will es so sagen – das ist mein Motto: Schütte das Kind nie mit dem Bade aus. Ich habe Engelbert Köb gesagt, es gibt wunderbare Künstler in China und wir müssen sie ausfindig machen. Aber es gibt auch einen Export. Ganz gezielt werden in den Auktionshäusern heute unverschämte Preise erzielt. Das hat mit Markt zu tun und weniger mit Kunst.
Warum glauben Sie, dass die moderne chinesische Kunst in Europa so gefragt ist?
Keine Ahnung… Vielleicht, weil diejenigen, die die Kunst kaufen, im globalisierten Markt tätig sind und denken, dass China die Zukunft ist. Wenn China im Markt Zukunft ist, dann ist Chinas Kunst Teil der Zukunft. Ich glaube, dass es ein Fehlurteil ist…
Ist die asiatische Kunst nicht, wie wir sie hier erleben europäisiert?
Das sehe ich auch so. Ich kann mit denen, die hier sind, gar nichts anfangen.
Eine letzte Frage zum Abschluss. Was sagen Sie zur visuellen Sprache. Was können wir in der Gesellschaft ändern, damit Menschen von Grund auf – in ihrer Bildung ab dem Kindergarten - in dieser Weise orientiert gebildet werden?
Indem sie Kunst als Bildsprache erlernen. Kunst ist eine Bildsprache. Jeder Künstler entwickelt seine Bildsprache. Sie transportiert Inhalte, die anderwärtig nicht transportierbar sind. In der Schule muss man erkennen, dass das Erlernen der Bildsprache gleichbedeutend ist mit dem Erlernen einer Sprache.
Liegt es nicht in unserer kulturellen Auffassung, dass dies nicht wichtig ist? Sonst hätte sie schon längst eine größere Bedeutung…
Nein, die Schwierigkeit liegt darin, dass sie nicht messbar ist. Wir sind an einem Punkt angelangt, wo wir alles messen. Dinge, die nicht messbar sind, fallen in den Bereich der Intuition.
Ist der Künstler dementsprechend ein Gepeitschter?
Das hängt von ihm ab, ob er sich peitschen lässt. Generell lassen sich Künstler nicht peitschen.
Biografie: Jean-Christophe Ammann
Schweizer Kunsthistoriker und Kurator, geboren 1939 in Berlin.
1968-1977 Leiter des Kunstmuseums Luzern und 1971 Schweizer Kommissar für die Biennale Paris.
1978-1988 Leiter der Kunsthalle Basel.
1989–2002 Direktor des Museums für Moderne Kunst Frankfurt/Main.
1995 Kommissar des deutschen Pavillons auf der Biennale Venedig.
Seit 1992 Lehrbeauftragter der Universitäten Frankfurt am Main und Gießen, seit 1999 Professor an der Universität Frankfurt am Main.
Seit 1999 ist Jean-Christophe Ammann von der Deutschen Börse mit dem Aufbau einer Sammlung von künstlerischen Fotografien beauftragt.
U.a. Kurator der Ausstellungen: „Crossart. Van Gogh bis Beuys”, Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 2005. „Im Anfang war das Wort… - Über die Sprache in der zeitgenössischen Kunst”, Haus der Kunst, München (mit Corinna Thierolf), 2006.
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