Der Wettbewerb

69/LitArenaVIII/Siegertext 1. Platz: Zarah Weiss : Spot On A Long Road

Niemand ist auf der breiten, erdigen Straße, die Wiesen neben uns verdorrt und gelb, nur einzelne Vorgärten gepflegt; ein Surren liegt in der Luft.

Ich habe Gänsehaut an den nackten Beinen, die Klimaanlage des Campervans läuft auf Hochtouren; ich ziehe die Beine an und schlinge meine Arme um sie, blicke aus dem Fenster, „So verrückt, dass Du hier schon mal warst, vor acht Jahren“, sage ich noch einmal zu Alex, weiß nicht, wie oft ich es schon zu ihm gesagt habe, seitdem wir in den kleinen australischen Ort eingefahren sind; dieser Ort inmitten der Steppe. Einmal ganz herumgefahren sind wir in Schrittgeschwindigkeit, am Ortsausgang markiert ein Schild die nächste Stadt: noch 70 km.

Wenn wir später weiterfahren, wird da erst einmal 70 km nur Steppe sein, immer tiefer ins Land hinein, so kommt es mir vor, dabei ist es nur ein winziges Stück. Alice Springs ist immer noch eine Tagesreise vom Ayers Rock entfernt, hat Alex erzählt, und diese unendliche Weite, die sich da auftut, lässt mich ganz erhaben fühlen; wir fahren und fahren und sehen niemanden, nur Weite. Dafür bin ich doch hergekommen, für diese Erfahrung, nicht für die Städte, sondern, um die Größe und Weite zu spüren.

Im Radio laufen irgendwelche Dance-Charts, Alex hat sein Handy angeschlossen und ich habe nicht protestiert; ich kurbele das Fenster etwas herunter, es ist mir doch zu kalt. Langsam strecke ich einzelne Finger aus dem Fenster, dann schließlich die ganze Hand, den ganzen Arm. Alex schaltet die Klimaanlage aus und starrt geradeaus, sieht nicht auf die Häuser, die langsam an uns vorbeiziehen, die leere Straße.

„Wovor hast Du am meisten Angst?“, fragt er mich.

Ich drehe ruckartig den Kopf herum, starre ihn an, er wirft mir nur einen flüchtigen Blick zu, fährt weiter, ganz langsam. Noch nicht einmal aus dem Fenster schauen die Leute, um zu sehen, wer hier so elendig langsam durch ihren Ort fährt.

Wovor habe ich am meisten Angst? Davor, allein zu sein im Leben vielleicht? Davor, eine wichtige Person zu verlieren? Vor Kriegen, Hass, dem Wandel der Welt? Davor, eigentlich nicht gut in dem zu sein, was ich liebe, wodurch ich mich definiere, eigentlich gar nicht zu meinem eigenen Lebensplan zu passen? Davor, unglücklich zu sein, für immer, passiv, im Stillstand? Ich ringe nach Worten, um das ihm zu erklären und eigentlich denke ich, ist es wieder nur eins von seinen Spielen, seine Art, die eigene beste Freundin näher kennenzulernen.

„Ja, ich weiß nicht“, sage ich leise. Wir fahren an einem Springbrunnen vorbei. Eine grüne Rasenfläche, die einzige, die nicht vertrocknet scheint.

Vielleicht eine Minute, ist es mehr, ist es weniger, sagen wir nichts, biegen wir in eine neue Straße ein; schon längst geht es nicht mehr um den Weg zur Touristeninformation, der Handybildschirm mit dem Navi in meiner Hand ist schwarz geworden. Ohne Ziel fahren wir durch die Straßen, als könnten wir den Ort vom Auto aus ganz erkunden, ganz in uns aufnehmen, als müsste Alex sich vom Auto aus überzeugen, dass er genau hier vor acht Jahren schon einmal war, an der Grenze zwischen den Blue Mountains und dem Outback, eine gute Tagesreise von Sydney entfernt. Eine Fliege kommt laut surrend hereingeflogen, schwirrt ums Lenkrad, knallt immer wieder gegen die Frontscheibe. Ich versuche sie mit der Hand hinauszuscheuchen.„Ich hab am meisten Angst davor, nichts zu hinterlassen“, sagt Alex plötzlich in die Stille. Die Fliege setzt sich auf das Armaturenbrett, ich fixiere sie mit meinen Augen, atme schwer. Ich sollte jetzt das Fenster schließen wieder, sollte einen geschützten Raum schaffen für dieses kommende ernste Gespräch – hier geht es überhaupt nicht darum, spielerisch mehr von mir zu erfahren, sondern um etwas Grundsätzliches, das ihm auf dem Herzen liegt – aber ich lasse es offen, lege die Hand auf das heiße Blech der Türe.

„Weißt Du“, fängt er jetzt plötzlich ganz schnell an zu reden und irgendwie nervt mich plötzlich die Art, wie er das sagt, ich weiß auch nicht, warum, mir wird warm, „weißt Du, ich will nicht vergessen werden. Ich hab Angst, dass ich nur mein Leben lebe und dann ist alles vorbei und ein paar erinnern sich vielleicht noch, aber die werden auch irgendwann sterben und dann bleibt nichts mehr von mir übrig. Ich möchte etwas beitragen zu dieser Welt, ich möchte etwas schaffen. Ich möchte sie vorwärts bringen, so richtig weit! Eigentlich –“, er blickt mich an – „eigentlich möchte ich berühmt sein!“

Ha, will ich machen, will lachen, kann es gerade noch herunterschlucken.

„Ja!“, er schaut wieder nach vorne, „Ich will berühmt sein, weil ich etwas geleistet habe; naja, halt auf jeden Fall nicht vergessen werde! Hast Du Dir mal überlegt, wie viele mehr tote als lebendige Menschen es gibt?“

Ich überlege ernsthaft. Wie lange gibt es die Menschheit schon, wie viele sind seitdem gestorben, wie viele mehr Menschen liegen unter der Erde als auf ihr zu laufen? Meine Finger krallen sich um das Handy.

„Aber“, sage ich, „ist es nicht schön, wenn Deine Familie und Freunde sich an Dich erinnern, wenn Du ihr Leben bereicherst, wenn sie sich ihr Leben ohne Dich nicht vorstellen können – Hey, Du bist doch wichtig für mich!“ Ich streichle einmal fest, beinahe scherzhaft über seinen Arm. „Reicht es Dir nicht, für diese Leute was zu bedeuten?“

„Ja ja. Aber ich will für alle was bedeuten“, knurrt er und drückt aufs Gas, fährt mit Vollkaracho auf einen ungeteerten Parkplatz an einem Teich. „Hier dran erinnere ich mich noch!“, ruft er. „Lass uns hier mal aussteigen und rumlaufen!“ – und er hat sich schon abgeschnallt, die Türe schon aufgerissen. Er dreht sich noch einmal um: „Im Grunde habe ich Angst vor Bedeutungslosigkeit. Jaja.“ Er nickt, zufrieden mit der eigenen Antwort, die er für sich gefunden hat. „Angst vor einem bedeutungslosen Leben.“ Und raus springt er, weg ist er, läuft auf den Teich zu. Ich schnalle mich langsam ab.

Später, wir haben in einer kleinen Seitenstraße heimlich geparkt, sparen uns die Kosten für einen Campingplatz. Überall zirpen Grillen und es ist stockdunkel. Wir liegen sporadisch zugedeckt unter den Schlafsäcken, es ist zum Glück etwas abgekühlt. Ich sehe nicht einmal die eigene Hand vor Augen, hoffe, dass ich in der Nacht nicht aufs Klo muss.

Aufgeregt und entspannt zugleich, was für ein Erlebnis, hier zu liegen, am anderen Ende der Welt. Ich lüfte ein bisschen den Vorhang neben mir. Durch das Moskitonetz: der australische Himmel noch voll von den Sternen, die wir vorhin bestaunt haben. Alex raschelt in seinem Schlafsack. „Ich glaube, Noa, ich hab echt einfach richtig Angst vor dem Tod“, sagt er plötzlich.

Ich öffne den Mund, weiß nicht, was sagen. „Aber... das brauchst Du doch nicht“, sage ich ganz platt und dumm. „Ist aber so. Ich wünschte, es wär nicht so.“

Unser Atmen, ganz leise; Stille, Dunkelheit. „Darf ich Dich küssen?“, fragt er plötzlich. Und er weiß schon, ich sage nein, „Nein“, sage ich. Gegenseitiges Grenzen austesten. Es ist nicht einmal aufregend. Es ist ganz selbstverständlich. Aber wir geben einander so viel preis. Ich ringe immer noch nach Worten, die ihm deutlich machen, dass ich das ernst nehme, was er sagt. Vielleicht müssten es mehr Fragen sein. Aber da streichelt er mir schon einmal kurz übers Haar, gähnt tief und dreht sich dann um, mit dem Rücken zu mir: „Morgen musst Du mal sagen, wovor Du Angst hast.“ „Ja“, nicke ich eifrig. Und ganz leise: „Danke.“

Eine Minute später ist er eingeschlafen.

 

 

Zarah Weiss

Geb. 1992 in Düsseldorf; 2004 Preisträgerin Nachwuchspreis Grüner Lorbeer®, seit 2015 zertifizierte Schreibtrainerin. 2011-2015 Doppelbachelor Sozialwissenschaften, Philosophie und Kulturwissenschaften, Universität Leipzig. 2014-2015 Auslandssemester University of Copenhagen, Filmwissenschaften. Seit WS 2015 Masterstudium Vergleichende Literaturwissenschaft, Universität Wien; wiss. Mitarbeiterin im FWF-Projekt „Ludwig Tiecks Bibliothek. Mitglied des Autorenteams August Autoren.

LitArena IX - Literaturwettbewerb 2019

Aufruf an alle Jungliteraten unter 27!
Nehmt Eure verborgenen/unveröffentlichten Manuskripte (nur 4 Seiten!) und sendet sie für den nächsten Literaturwettbewerb ein!

Alle zwei Jahre stattfindender deutschsprachiger Literaturwettbewerb der LitGes St. Pölten für AutorInnen bis 27 Jahre. 

1. Preis: Euro 500,-
2. Preis: Euro 300,-
3. Preis: Euro 200,-

Der Literaturpreis wird vom Land NÖ (Abteilung Kultur und Wissenschaft) gefördert.

Einreichbedingungen:
max. Alter: 27 Jahre. Prosa & Lyrik

Einsendeschluß: 15. Juni 2019
Redaktion: Cornelia Stahl

LitArena VIII Wettbewerbsbericht 2017

LitArena-der alle zwei Jahre stattfindende deutschsprachige Literaturwettbewerb der LitGes.St.Pölten. Initiatorin des Wettbewerbes ist Dr. Kloimstein.

Cornelia Stahl ist 2017 zum zweiten Mal als Schriftführerin die Jurorin und Schriftführerin der  LitArena, dem Wettbewerbes für Jung-Autoren/Autorinnen unter 27 Jahren. Einsendungen erfolgten anonym.

Auseinandergesetzt mit den Prosatexten haben sich in diesem Jahr die Autorin Elisabeth Steinkellner sowie die stellvertretende Chefredakteurin der Zeitschrift „Buchkultur“ Jana Volkmann. Zu meinem Erstaunen fanden die Themen Flucht und Migration keinen Eingang in die literarischen Arbeiten. Sie skizzierten Übergangssituationen, von der Jugend bis zum Erwachsenenalter, Beziehungs- und Existenzfragen, überzeugten künstlerisch wie literarisch.

Überragend in seiner Qualität überzeugte der Text „Spot on a long Road“ von Zarah Weiss (1.Platz), eine Erzählung, die in Australien spielt. Orte, die der Protagonist vor vielen Jahren bereiste, sucht er nun erneut auf, diesmal in Begleitung seiner Freundin. Ein ganz normaler Urlaub in Australien sollte es werden. Die Urlaubsstimmung gerät aus den Fugen, als bei Alex plötzlich Fragen auftauchen, existenzielle Fragen: die Angst vor Krieg, Hass, vor dem Alleinsein, vor dem Bedeutungsverlust der eigenen Person. In einem Interview mit Radio Orange erzählt Zarah Weiss, dass sie schon als Kind begann, Geschichten zu erzählen und diese aufzuschreiben. Eine Lehrerin erkannte ihr Talent und empfahl sie weiter.

Nachzuhören ist das Interview auf: https://cba.fro.at/35270.

Auf Platz 2 erzählt die gebürtige Salzburgerin Katharina J. Ferner in „Neulich im Cafe“ über eine Beziehungsgeschichte, eine scheinbar belanglose Begegnung im Cafe. Die Protagonistin reflektiert ihre Rolle in der Zweierbeziehung Mann und Frau, geht auf Vorlieben des Mannes ein, die sie genau kennt. Eine Geschichte über Macht und Ohnmacht, subtil und eindringlich erzählt. Am Ende  zeigt die Protagonistin Widerstand und Aufbegehren: „Ich gehe keinen unserer Wege. Ich stehe auf und gehe einfach irgendwo anders hin“. Sie bricht aus  gewohnten Verhaltsmustern aus, entzieht sich der Opferrolle und Ohnmacht. Es ist die Geschichte der Selbstermächtigung einer jungen Frau, die ihr Leben in die Hand nimmt und sich aus (emotionalen) Abhängigkeitsverhältnissen befreit.

Der 3.Platz geht an die Schweizerin Anna Stern (Anna Bischofberger). Ihr Text „Karte und Gebiet“ erinnert zunächst an den Autor Hollebeque. Schon der Einstieg macht neugierig: „Sie kartiert das Land ihrer Träume“. Der Leser wird sofort in den Text hineingezogen, will wissen, welche Träume das sind. Er schafft eine Identifikation mit der Protagonistin. Unweigerlich erinnert man sich an eigene Vorstellungen, Visionen, Träume. „Sie zeichnet Linien zwischen drei Punkten, zwischen V. und P. und B. Ein Dreieck, Descartes Dreieck. Anna Stern entwirft Bilder, die sogleich vor unserem Auge entstehen. Alle Texte sind Skizzen/ Minilandkarten zu Befindlichkeiten einer heranwachsenden Generation.

Cornelia Stahl 

Cornelia Stahl ist seit 2015 Redakteurin der Sendung „Literaturfenster Österreich“ bei Radio Orange, schreibt für Medien wie Die Alternative, Augustin, etcetera, fembooks und ist Regionalleiterin für Bibliotheken in Niederösterreich. 2016 debütierte sie mit „Anfangen. Jetzt. Mittendrin“. sowie „Neue Perspektiven zoomen“.  2017 erschienen ihre Texte in der Anthologie Freudenalphabet (Hg.: Marion Steinfellner/ Herbert J.Wimmer- Edition Art Science).

www.literaturfenster.at