Eine Schwalbe falten: Margret Kreidl. Rez.: Klaus Ebner
Klaus Ebner
POETISCHE PROSA
EINE SCHWALBE FALTEN
Margret Kreidl
Prosa
Wien: Edition Korrespondenzen, 2009. 105 S.
ISBN 978-3-902113-64-1
Margret Kreidls Prosabuch erschien bei Edition Korrespondenzen wie schon andere Bücher der in Salzburg geborenen und in Wien lebenden Autorin. Eine Schwalbe falten erzählt die Geschichte zweier Zwillingsschwestern, die gleichzeitig eine Krankengeschichte und daher in einem Spital angesiedelt ist. Nebensächlich allerdings der Ort der Handlung, denn die Autorin erzählt keine alltägliche Geschichte; das Buch knüpft keine herkömmlichen Handlungsstränge, sondern präsentiert in erster Linie Gedanken und Sprüche, die sich nahtlos aneinanderfügen. In die Spitalswelt eingebettete Szenerien, Dialoge und Monologe. Mal spricht Edith, die eine der Schwestern, mal die andere, Judith. In den Dialogen geben die Mädchen einem Besucher oder dem Arzt Antworten, die jedoch zu verraten scheinen, dass die beiden in ihrer Gedanken- und Traumwelt quasi gefangen sind.
Die ersten Zeilen legen die Ausgangsposition fest: »Immer wenn sie mich besuchen kommt, erzählt sie eine Geschichte. Das ist die Geschichte eines Vogels. Der Vogel. Aber es ist auch die Geschichte von zwei Vögeln.« Es ist eine Geschichte, eine erzählte Geschichte. Wer auf Besuch kommt, wird nicht weiter erläutert. Es spielt auch keine Rolle, denn von Bedeutung sind lediglich die Sätze, die dem Leser in der Folge entgegentreten. Und ein paar Zeilen weiter, nach ein paar kindlich-verspielten Vogellauten – »U ru ku. Hu ru u hu ru u. Ku kuu ru ku ku. (...)« – heißt es: »Ich bin eine Frau. Ich weiß, dass ich eine Frau bin. Das ist die Geschichte einer Frau.«
Um keinen falschen Eindruck zu erwecken: Eine Schwalbe falten ist kein einfaches Buch. Mehr ein Prosafluss, der stellenweise von lyrischen Passagen ohne Satzzeichen abgelöst wird, ein steter Strom von Gedanken, kindlichen Gedanken, die sich einerseits Kinderreimen nähern und andererseits geradezu unbekümmert Sätze fallen lassen, die unter die Haut gehen: »Die Schwester nimmt dich an der Hand, und du weißt, dass du nicht ertrinken wirst. Das Wasser ist dunkel und warm. Das ist der Irrsee, sagt die Schwester.« Doppelbödige Wörter, mitschwingende Mehrfachbedeutungen. Ebenso beeindruckend an einer anderen Stelle: »Sie wollen dich retten. Aber du willst nicht gerettet werden. Es ist zu früh. Das ist kein Spiel. Du bleibst zuhause. Du stehst jeden Morgen auf und sagst: Heute komme ich dran.« Diese Worte regen zum Nachdenken an. Sie verblüffen, machen betroffen und verwirren.
Kinderreime und Lautmalerisches durchbrechen die Geschichte an vielen Stellen, lenken vom soeben Erzählten ab oder illustrieren Geräusche und Stimmungen. Ein Beispiel aus dem Vogelbad: »Huit hi lih tu i tli e ih tieht tieht (…) Lieblicher Lori. Lori von den blauen Bergen. Bergzierlori. Schmucklori. (...)« Oder nach dem Stichwort des Schmerzes in lyrischer Notation: »au au au au kau ka ka kiau/kjau kiak kja kaahk kaka ria/krah kraah kraah kuh ruh a/rarre arr arr rock ronk ronk/(...)«
Was der Herr Doktor sagt, hinterlässt im kindlichen Gemüt der Zwillingsschwestern seinen Eindruck. So werden die Aussagen des Arztes häufig zitiert, und seine Worte gerinnen zu Sentenzen, die sich den Kindern einprägen: »Der Herr Doktor sagt, eine hohe Tür geht leicht auf. Der Herr Doktor sagt, wer die Tür aufmacht, muss als erster hinaus. Der Herr Doktor sagt, viele Türen zerreißen das Haus.« Solchen Passagen folgen oft Kinderspiele, Auszählreime oder Gedichte.
Manche von Margret Kreidls Texten wurden als Lautpoesie bezeichnet. Diese Art und Weise, mit Sprache umzugehen, zeichnet auch das vorliegende Buch aus. Man wäre schlecht beraten, wollte man Eine Schwalbe falten rasch durchlesen, sozusagen hinunterschlingen. Dieses Buch verlangt, langsam gelesen zu werden – die Worte wollen auf der Zunge zergehen, um ihren vollen Geschmack zu entfalten. Nur so ist die Sprachästhetik zu erspüren, die der Prosa der Autorin zugrunde liegt, und nur so wird die Lektüre zum literarischen Genuss.
etcetera 39/ Aberglaube & Irrglaube/ März 2010