Inglourious Basterds. Rez.: I. Reichel
Ingrid Reichel
VON BASTARDS ZU BASTERDS und aus Schluss BASTA!
Oder wie Hitler dreifach starb, denn aller guten Dinge sind drei.
INGLOURIOUS BASTERDS
Action/ Kriegsfilm
Nation: USA, Deutschland, Frankreich 2009
Laufzeit: 154 Min.
Regie: Quentin Tarantino
Schauspieler: Brad Pitt, Mélanie Laurent, Christoph Waltz, Eli Roth, Till Schweiger, Martin Wuttke …
Drehbuch: Quentin Tarantino
Produktion: Quentin Tarantino, Lawrence Bender
Start: 20.08.09
„Es war einmal… im vom Nazi besetzten Frankreich“ so lautet die erste der fünf Episoden des Films. Während 1941 SS-Standartenführer Hans Landa mit seinen Nazi-Schergen in die ländliche Einschicht fährt, um die letzten versteckten Juden in Frankreich zu finden, ertönen Beethovens Klänge „Für Elise“ in der legendären Westernversion des Filmmusikmeisters Ennio Morricone aus dem Italo-Kultwestern „Es war einmal im Westen“ von Sergio Leone (1968), vor allem bekannt wegen der musikalischen Aufforderung: „Spiel mir das Lied vom Tod.“ Und der Tod lässt nicht lange auf sich warten. Doch zuvor trinkt der Todesengel, wie schon der Killer „Léon, der Profi“ (Jean Reno), ein Glas Milch. Er trinkt die Unschuld, er trinkt die Reinheit, die Ästhetik in der Gnade der Unbarmherzigkeit. Wie Charles Bronson und Henry Fonda stehen sich nun der Judenjäger, in der Gestalt von Christoph Waltz, und der Milchbauer Perrier LaPadite, gespielt von Denis Menochet, in seiner bescheidenen Hütte gegenüber. Unter den Fußbodendielen hält sich die jüdische Familie Dreyfus versteckt. Dreyfus? Welcher französische Milchbauer heißt Dreyfus und ist Jude? Wenn da nicht auf die Dreyfus-Affäre aus dem Jahre 1894 assoziiert wird: Eine Agentengeschichte zwischen Deutschen und Franzosen, bei der, man erinnert sich, der junge elsässische Artilleriehauptmann Alfred Dreyfus des Staatsverrats beschuldigt und verurteilt wurde. Obwohl seine Schuld nie bewiesen wurde, war er wegen seiner deutschjüdischen Abstammung als Verräter prädestiniert. Alleine mit der Erwähnung des Namens Dreyfus sind die antisemitischen Tendenzen in der französischen Bevölkerung in diesem Film klargestellt. „Ich liebe Gerüchte. Gerüchte sind so erhellend, während Fakten oft so verwirrend sind.“ (Zitat: Landa). Landa ist ein gebildeter kultivierter Mann und ist somit der Vorzeige-Nazi schlechthin. Intelligent, überzeugt von der Sache und gebildet, das war die Nazi-Elite. Trittbrettfahrer waren nicht erwünscht. Nur die Elite konnte die gemeine Bevölkerung mitreißen. Einzige Überlebende der Dreyfus-Familie nach Landas Besuch auf dem Bauernhof ist die Tochter Shosanna, gespielt von der jungen französischen Schauspielerin Mélanie Laurent.
„Die Nazis kennen keine Menschlichkeit und gehören deshalb ausgerottet.“ verkündet Brat Pitt in der Rolle des Leutnants Aldo Rain, Anführer der Inglourious Basterds (IB). Es ist nicht von ungefähr, dass gerade ein Halbblut diese Nazijagd erledigen soll, wurden doch die Indianer von den Amerikanern, wie auch die Juden von den Deutschen ausgerottet. Tarantino lüftet die Groteske der amerikanischen Geschichte, die mit der unsäglich menschlichen Dummheit unter dem Deckmäntelchen der Menschlichkeit ein besonderes Paradoxon ergeben: einerseits die Amerikaner als Retter der Juden und andererseits selbst Initiatoren des Pogroms gegenüber den Ureinwohnern Amerikas, den Indianern. Tarantino erinnert uns unbewusst an viele bis zur Gegenwart reichende Fehler der Amerikaner: Vietnam, Afghanistan, Irak … immer unter der Mission anderen die ersehnte Freiheit und Gerechtigkeit zu bringen.
Acht überlebende deutsche und österreichische Juden werden als amerikanische Soldaten rekrutiert und bilden die Basis der Sondereinheit IB. Ihr Schlachtplan lehnt sich an die einstige Widerstandstrategie der Apachen. Jeder einzelne Soldat schuldet Raine das Soll von 100 Naziskalps.
Mittlerweile gelangen Gerüchte bis zu Hitler, Gerüchte von einem „Bärenjuden“, der auf bestialische Weise Nazis tötet. Hitler tobt, wie eben nur ein Martin Wuttke als Führer des Totalen Kriegs toben kann. Der mit einem eingeritzten Hakenkreuz auf der Stirn verunstaltete Gefreite Butz (Sönke Möhring), der einzige Überlebende eines Angriffs der IB, bestätigt jedoch das Gerücht über die amerikanische Killertruppe.
Wenn du noch einmal ein Sauerkrautsandwich essen willst, nimmst du jetzt deinen schönen Wiener-Schnitzelfinger und zeigst mir auf der Landkarte, wo die Bockwurstparty steigt und was die Krautpatrouille zum Spielen mitbringt. So in etwa lautet die verkürzt gefilterte sensationelle Drohung des Lt. Raine bevor er den Gefreiten zurichtet. Die Jäger sind nun die Gejagten. Und Hitler tobt noch viel mehr.
1944: Unter dem Decknamen Emmanuelle Mimieux betreibt Soshanna ein Kino in Paris, welches sie von ihrer Tante geerbt haben soll. Der zum Helden avancierte Scharfschütze Frederick Zoll (Daniel Brühl) verschaut sich in die attraktive Blondine. Um bei ihr zu landen, setzt er alles in Bewegung. Der neueste Hitler-Propagandafilm „Stolz der Nation“, wo er selbst als Held die Hauptrolle spielt, soll in Emmanuelles Kino uraufgeführt werden. Zur Premiere werden die obersten Nazibonzen erwartet, sogar Goebbels und Hitler sollen kommen. Soshanna beschließt mit ihrem Freund Marcel (Jacky Ido) den feierlichen Tag zu ihrem persönlichen Rachetag zu machen, in dem sie das Celluloidfilmarchiv des Kinos in Brand setzen.
Die deutsche Schauspielerin Bridget von Hammersmark (Diane Kruger) arbeitet für die westlichen Alliierten als Agentin. Während die Operation Overlord, die mit dem D-Day am 06.06.44 begann, bereits voll im Gang ist, sehen die Alliierten in der „Operation Kino“ die Möglichkeit ein Attentat an Hitler zu verüben.
Mit seinem unfehlbaren Instinkt entlarvt Landa jedoch die Operation, vereitelt sie aber nicht. Für ihn ist mit der Landung der Alliierten in der Normandie der Krieg für die Deutschen verloren. Mit dem Attentat sieht er nun ganz andere Möglichkeiten für seine Zukunft.
Und so kommt es, dass drei verschiedene Attentate am selben Ort, zur selben Uhrzeit durchgeführt werden. Aller guten Dinge sind drei … Hitlers hämisch eruptive Lache löst sich während des deutschen Heldenfilms explosiv in Flammen auf. Im Übrigen hat Eli Roth nicht nur als Schauspieler – er spielte Sergeant Donny Donowitz – den Bärenjuden – mitgewirkt, sondern auch als Regisseur des Films im Film („Stolz der Nation“).
Viel ist über Tarantino und seinen Film bereits gesprochen und berichtet worden: von seinen Intentionen bis über die schauspielerische Leistung der gesamten Besetzung, und vor allem über die veränderte Geschichtsschreibung.
Doch wenig wurde über den orthographisch unkorrekten und somit nicht übersetzbaren Titel reflektiert: „Inglourious Basterds“. Der Regisseur, Autor, Schauspieler, Autodidakt, das Multitalent Tarantino ist ein Liebhaber des Low-Budget-Films und somit der B-Movies. Es war der Italo-Trash-Kriegsfilm „Inglorious Bastards“ (Ein Haufen verwegener Hunde) aus dem Jahr 1978, des Regisseurs Enzo G. Castellari, der Tarantino beflügelte. Im Film gleiches Szenario: 2. WK, Frankreich 1944. Unterschied: Bei Castellari will ein deutscher Wehrmachtssoldat zu den Briten überlaufen, bei Tarantino ein SS-Standartenführer zu den Amis. Quentins Rezept: Man verzichte auf ein „U“ und tausche ein „A“ mit einem „E“, engagiert den Hauptdarsteller Bo Svenson für eine Nebenrolle und kurbelt die Werbetrommel für Castellaris längst in Versenkung gelandeten Films. Seit 31.08.09 gibt es den Film auf DVD: „Inglorious Bastards – Das Original“. Koch Media.
Aber natürlich handelt es sich bei Tarantinos Film nicht um ein Remake.
Etwa 10 Jahre lang schrieb Tarantino vereinzelte Szenen, las sie Freunden vor, ließ sich applaudieren, verwarf sie wieder, war sich nicht schlüssig ob er eine TV-Miniserie oder nur einen Roman aus seinem Thema machen sollte. Erst Juli 2008 schloss er sein Drehbuch ab.
Die wichtigste und komplexeste Rolle in diesem Film, auch wenn alle Rollen ausgezeichnet gespielt wurden, ist die Rolle des SS-Standartenführers Landa. Ohne Christoph Waltz hätte es den Film nicht gegeben. Bis zwei Tage vor dem Aus hatte Tarantino noch immer keine Besetzung für den Judenjäger. Dann kam Christoph Waltz … und ein Jahr später erschien der Film im Kino. Unglaublich!
„Jedes Kapitel im Film hat einen leicht anderen LOOK und setzt auf eine andere Gefühlslage. Der Erzählton ist in allen Kapiteln unterschiedlich. Der Beginn ist wie in einem Spaghetti-Western, aber mit Ikonographie des 2. Weltkriegs.“ (Tarantino) Im Endeffekt ist „Inglourious Basterds“ eine gelungene Mischung von Trash und Propaganda. Er ist nicht wirklich einem Genre unterzuordnen. Er ist weder ein Spionagefilm, noch ist er ein Kriegsfilm, oder Antikriegsfilm, weder Actionfilm, noch Persiflage. Am ehesten ist er noch Trash, und zwar kritischer Polit-Trash.
Es ist eher selten, dass sich alle so einig sind über die hohe Qualität eines Filmes. Nur woran liegt es?
Es ist die Verbindung der Geschichte zur Politik der Gegenwart, aus alten Filmdetails etwas völlig Neues zu machen, die Mischung aus amerikanischem Film Know-how mit europäischen Intellekt, die subtil gewählte und hochkarätige internationale Besetzung, das großartige Drehbuch mit seinen 5 Kapiteln und der gut dosierte Trashanteil voll Witz und Brutalität, was diesen Film nicht nur genial, sondern zu einem einzigartiger Kunstgenuss macht.
Man kann schon gespannt auf die Oscarnominierungen 2010 blicken.
LitGes, September 2009