Männer, die auf Ziegen starren. Rez.: I. Reichel

 

 

 

 

Ingrid Reichel
AUSGEMECKERT

Buch

 
 
 

MÄNNER, DIE AUF ZIEGEN STARREN
Jon Ronson
München: Heyne Verlag, 2010.
Paperback, 270 S., € 8,20 [A]
ISBN 978-3-453-43483-7

 

 

DURCH DIE WAND
Die US-Armee, absurde Experimente und der Krieg gegen den Terror.
Jon Ronson
Original: The men who stare at goats
Aus dem Englischen: Martin Jaeggi
Zürich: Salis Verlag, 2008.
Gebunden, 240 S., € 16,90
ISBN 978-3-905801-16-3

 

Film
MÄNNER, DIE AUF ZIEGEN STARREN

Nation: USA, 2009
Österreich Start: 04.03.2010
Laufzeit: 93 Min.
Regie: Grant Heslov
Darsteller: George Clooney, Ewan McGregor, Jeff Bridges, Kevin Spacey, Stephen Lang …

 

Manchmal passiert es, dass aus einem Sachbuch eine Komödie wird. Dann nämlich, wenn der Inhalt dermaßen absurd ist, dass man ihn zunächst nicht glauben kann. Wenn also ein Journalist ein Buch über die absurden Experimente gegen den Terror der US-Armee verfasst, weil er ein Monat nach dem Terroranschlag des 11. Septembers 2001 durch Zufall auf abstruse Informationen bezüglich der US-Armee stößt. Nach dem Desaster von Vietnam wird hier die sonderbare Geschichte der US-Army enthüllt. Dass sich die Nachforschungen im Endeffekt als überhaupt nicht komisch herausstellen, sondern als erschreckende Tatsachen erweisen, darüber berichtet der 1967 geborene, britische Journalist Jon Ronson in seinem 2004 erschienenen Sachbuch „The men who stare at goats“ (London: Picador). 2008 wurde es erstmals in Deutsch im Salis Verlag unter dem Titel „Durch die Wand“ und 2010 im Heyne Verlag „Männer, die auf Ziegen starren“ veröffentlicht. Es ist sein zweites Buch nach „Radikal. Abenteuer mit Extremisten.“ (Salis Verlag, 2007), beide wurden zu Bestsellern. Jon Ronson lebt und arbeitet in London. Er schreibt für den Guardian und moderiert und produziert Sendungen und Fernsehdokumentationen u. a. für BBC Radio 4 und Channel Four.

2009 hielt der Inhalt des Buches weitgehend für die Motive der gleichnamigen Komödien-Verfilmung des US-amerikanischen Regisseurs, Produzenten und Schauspielers Grant Heslov her, einer gemeinsamen Produktion mit George Clooney, der hier auch als Hauptdarsteller fungiert. Im Übrigen ist es nicht die einzige gemeinsame Produktion. Die Kinoverfilmung der McCarthy-Ära mit David Strathairn und Robert Downey Jr. 2005 geht ebenfalls auf ihr Konto.

Der Film bringt zwar im Groben einigermaßen den Verlauf der Recherche wieder, bleibt jedoch intellektuell weit hinter dem Buch, banalisiert sogar seinen Inhalt.

 

Doch zunächst zum Buch:

 

Nach dem Vietnamkrieg in den 1970er Jahren war die gesamte US-Armee frustriert und litt unter Minderwertigkeitskomplexen. Die Soldaten waren traumatisiert. Ronson bringt auf Seite 39 eine interessante Aussage des Oberstleutnants i. R. Jim Channon, der selbst schwer depressiv vom Vietnamkrieg zurückkehrte:

 

„(Was Jim gesehen hatte, deckt sich mit den Studien, die der Militärhistoriker General S. L. A. Marshall nach dem Zweiten Weltkrieg durchgeführt hatte. Er interviewte Tausende von amerikanischen Infanteristen und stellte fest, dass nur 15 bis zwanzig Prozent geschossen hatten, um tatsächlich zu töten. Der Rest hatte in die Luft oder gar nicht geschossen und sich mit anderen Dingen beschäftigt.

Und achtundneunzig Prozent, der Soldaten, die tatsächlich schossen, um zu töten, waren später schwer traumatisiert von ihren Taten. Bei den anderen zwei Prozent wurde eine >>aggressive psychopathische Persönlichkeit<< diagnostiziert, Menschen, denen es unter welchen Umständen auch immer, zu Hause oder weit weg, nichts ausmachte, andere Menschen zu töten.

Die Schlussfolgerung war – mit den Worten von Oberstleutnant Grossmann von der Forschungsgruppe -, dass >>es etwas in andauernden, unausweichlichen Gefechten gibt, das achtundneunzig Prozent aller Menschen in den Wahnsinn treibt, und die restlichen zwei Prozent waren schon vorher wahnsinnig.<<)“

 

Der Gedanke die ganze Armee zu revolutionieren, um den mit der Gewalt im Krieg entstehenden schweren Traumata ein Ende zu setzen und nur mehr durch friedliche Interaktionen den Weltfrieden herbeizuführen, setzte sich bei Channon fest.

 

Erfolgreich vermarktete er der Armee sein Handbuch des Ersten Erdbataillons (First Earth Bataillon). Seiner Meinung nach bestand „Amerikas Rolle, darin die Welt ins Paradies zu führen“. (S. 47) und dies durch nicht tödliche Waffen, so genannten psychoelektronische Waffen. Trainingsforts wurden gegründet, streng geheim versteht sich, eines war das Meditationscenter in Fort Bragg in North Carolina, welches heute noch als Zentrum für die militärische Terrorismusbekämpfung gilt. Im Meditationscenter machte man Tierversuche, vorzugsweise an Ziegen. Ziegen deshalb, weil Menschen zu Ziegen schwerer einen persönlichen Bezug aufbauen, wie beispielsweise zu Hunden. Zuerst wurden den Ziegen die Stimmbänder durchgeschnitten, damit ihr Gemeckere keine unwillkommenen Gäste, möglicherweise verirrte Tierschützer, anlockte. Dann verletzte man einzelne Tiere indem man ihnen z.B. ins Bein schoss, um sie anschließend wieder zu heilen. Sinn dahinter war, Soldaten zur medizinischen Selbstversorgung auszubilden. Weiters arbeitete man an der Fähigkeit durch Anstarren, den Angestarrten außer Gefecht zu setzen. Übungsobjekt waren die Ziegen. Highlight war, dass EINMAL eine Ziege tot umfiel!

Und dann wollte man durch reine Konzentration es schließlich schaffen, durch Wände hindurchzugehen. Aber dies war dann schon die bis dato unerreichte dritte Ebene der auserwählten Jedi-Ritter!

 

Generalmajor Albert Stubblebine III, Geheimdienstchef der Armee (ab 1981) – INSCOM (Geheimdienst- und Sicherheitskommando der US-Army)-, war von diesen Ideen fasziniert. Sie finden das lächerlich? Warten Sie es ab. Auf Seite 79 erfahren Sie den Ursprung des wahren Desasters des Geheimdienstes. Erst in den späten 1950ern war man sich im Klaren, dass der militärische Geheimdienst ausgebaut gehöre. Ein Oberst, drei Majore und 15 Leutnants sollten dafür reichen und hiefür unverzüglich abkommandiert werden. „Und was macht man, wenn man so einen Anruf erhält? Man denkt: >Ha! Denen geben wir alle unsere Nieten und Versager.< Und das tat man auch. Und so lief das mit dem militärischen Geheimdienst mehr oder weniger auf der ganzen Welt.“ (Richard Koster, 470. Spionagekorps in Panama). Die Gründung der INSCOM Ende der 1970er sollte das Chaos beheben. Vergessen wir nicht: Noch befinden wir uns im Kalten Krieg! Während also das Wettrüsten und der Wettbewerb um das Weltall auf Hochtouren liefen, stürzte man sich aus lauter Verzweiflung in die Erforschung des Paranormalen. In sieben Tagen sollten Soldaten mit besonderen Fähigkeiten zu Zenmeistern und Jedi-Rittern ausgebildet werden.

 

Zu all dem Drumherum gehörten auch Erfindungen wie die eines Klebschaums, ähnlich wie beim „Unglaublichen Hulk“. Tatsächlich eingesetzt wurde er in Somalia, man glaubte damit die UN-Truppen vor dem Pöbel zu bewahren. Die Klebschaummauer hielt gerade mal fünf Minuten. Und dann wollte man mit dem in Flaschen abgefüllten Kleber die Massenvernichtungswaffen im Irak vernichten. Doch die Waffenvernichtungswaffen fand man nicht. Zuletzt wollte man gefährliche Gefangene von Ort A nach Ort B sicher transportieren, indem man sie mit dem Kleber einschäumte. Aber auch hier erwies sich der Kleber als nicht brauchbar, denn man hatte Probleme die Inhaftierten vom Kleber wieder zu befreien. Natürlich wurde auch fleißig mit Drogen, vorzugsweise LSD, experimentiert. Im übrigen starb der Entdecker des LSD Albert Hofmann, ein Schweizer Chemiker, erst 2008 im Alter von 102 Jahren.

Weiters wurden eine Reihe von akustischen Waffen entwickelt: den Sprengwellenprojektor, die Blutgerinnungsmaschine und den Niederfrequenz-Ultraschall (S. 62). Mit Kopfschmerzen und Durchfall wollte man effizient und quasi ohne Gewalt den Feind zur Strecke bringen. Allerdings sei hier erwähnt, dass akustische Beeinflussungen des Feindes bereits im I. Weltkrieg eingesetzt wurden.

 

Auch im Fall Noriega setzte man schon auf telepathische Fähigkeiten (S. 90). Der Mann in Panama, der wegen seiner Drogengeschäfte mit dem Medellin-Kartell, gleichzeitig mit der CIA in Waffenschiebereien verwickelt war und der seit den 1970ern unter CIA-Chef George Bush auf dessen Gehaltsliste stand, geriet außer Kontrolle. Als die Amis entdeckten, dass Noriega die Gelegenheit nützte das Kokain mit denselben Flugzeugen, wie die Waffen nach Panama kamen, nach Amerika zu transportieren, entstand eine angespannte Situation voller paranoider Verhaltensmuster, der Kampf der beiden Generäle – Noriega und Stubblebine – verschob sich ins Übernatürliche (S. 83) und die folgenden Seiten des Buches werden mit feinsten Geschichten des Aberglaubens gefüllt. Zuletzt rief man die PSI-Agenten zur Hilfe, um den mittlerweile untergetauchten Noriega dingfest zu machen.

 

„Für Alltagagnostiker ist es nicht einfach, die Idee zu akzeptieren, dass unsere Führer ebenso wie die Führer unserer Feinde manchmal zu glauben scheinen, die Weltpolitik solle sowohl auf herkömmlichen als auch auf übernatürlichen Ebenen betrieben werden.“ (Zitat Ronson S. 91)

Joan Quigley, eine Astrologin in San Francisco, bestimmte z.B. den genauen Zeitpunkt der Unterzeichnung für einen Nuklearwaffenvertrag, verrät Donald Regan, der einstige Stabchef während Ronald Reagans Amtszeit, in seinen Memoiren (S. 88 f). Wichtige Regierungsschritte und Entscheidungen wurden zuerst mit ihr abgeklärt.

 

 

 

Doch mentales Training und Telepathie alleine reichten nicht aus, um einen Soldaten mit besonderen Fähigkeiten zum Jedi-Ritter zu schlagen. Besondere Kampfsporttechniken, meist aus dem asiatischen Raum entliehen, gehörten wie das Yin und Yang zur Ausbildung. Unter anderem war von einem ominösen Todesstoß, dem berühmten Dim Mak, auch als „Zitterndes Handgelenk“ bekannt, die Rede (S. 97).

 

Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Ausbildner Inhaber diverser Sportcenter waren oder ehemalige PSI-Agenten mit so einem Center oder als Stressmanager sich in den Ruhestand begaben. Hunderte solcher Gurus verbreiten auch heute noch Jim Channons Prophezeiung eines neuen nationalen Wertesystems über die westliche Welt. Dass sich muslimische Fundamentalisten diese Fähigkeiten auch aneignen wollen, liegt klar auf der Hand. Und so belegt Jon Ronson in seinem Buch, wie nachweislich zwei der 9/11 Attentäter sich mentales und körperliches Training bei einem dieser Gurus aneigneten (S. 93 ff).

In der Ausbildung zum Jedi-Ritter ging es auch um den Einsatz von visueller Ästhetik, die den Gegner kampfunfähig machte (S. 146). Bereits 1992 ließ sich Dr. Oliver Lowery seine Erfindung eines „geräuschlosen, unterschwelligen Präsentationssystems“, das Gemütszustände - positive wie auch negative Gefühle wie Liebe und Hass - herbeiführt, patentieren (S. 188). 1996 erschien auf Lowerys Homepage die Nachricht, dass das System erfolgreich in der Operation „Desert Storm“ (Golfkrieg 1991) eingesetzt wurde.

1993 führte die US-Behörde BATF (Bureau of Alcohol, Tobacco and Firearms) wegen Verdacht des sexuellen Kindesmissbrauchs und illegalen Waffenbesitzes eine Razzia in der Ranch der Sekte Branch Davidians bei Waco in Texas durch. Sie gipfelte schließlich in eine Belagerung von 51 Tagen wobei sie psychologische Waffen einsetzten. Die Sache endete schließlich in einem Feuerinferno, dessen Ursache bis heute ungeklärt ist. 76 Davidianer starben. Neun Überlebende gab es. Mit einem von ihnen sprach Ronson.

 

General John Adams Wickham, Vorgesetzter Offizier von Stubblebine und Stabschef der Armee, war jedoch kein Freund des Paranormalen. Er war vielmehr ein gottesfürchtiger Mann, der Stubbelbines Demonstration einer verbogenen Gabel anlässlich einer hochrangigen Party als Teufelswerk deutete. Unter George W. Bushs Präsidentschaft erntete Wickham steigenden Respekt. Der damalige Außenminister und ehemalige General Colin Powell bezeichnete ihn in seiner Biographie als seinen Mentor und 2002 erhielt Wickham von George W. Bush den „Amerikanischen Inspirationspreis“ für seine Arbeit im Gebetsteam des Präsidenten (S. 87) Interessant ist, dass es die Homepage: www.presidentialprayerteam.org noch immer gibt und völlig aktuelle Einträge hat, somit die Gebete nicht George W. Bush, sondern tatsächlich dem jeweils amtierenden Präsidenten gelten!

 

„Im Januar 2004 enthüllte die einflussreiche Lobby und Ideenschmiede-Gruppe „Global Security“, dass George W. Bushs Regierung mehr Geld in ihre Schwarze Kasse geschleust habe als irgendeine Administration zuvor.“ (S. 182) Wir sprechen von 30 Milliarden Dollar, die in die Schwarze Kassen für Schwarze Operationen – heikle Projekte in geheimster Mission, wie Mordkommandos – flossen.

 

Währenddessen setzte sich in manchem frustrierten PSI-Agenten die Idee fest, dass sie möglicherweise nur als Sündenbock existierten, dafür eine zweite paranormale Gruppe existieren könnte, die noch viel geheimer wäre und mit größeren finanziellen Mitteln unterstützt wird. Doch die Vision des mittlerweile aus Unfähigkeit zurückgetretenen General Stubblebines und des sich schon in Ruhestand befindenden Channon wurden bereits in den US-Gefangenenlagern Abu Ghraib und Guantánamo mit dem Verhörlabor „Brauner Block“ umgesetzt. Die psychospirituelle Dimension bekam Gestalt durch gezielte Foltermethoden. In Stahlcontainern mitten in der Wüstenhitze waren die Gefangenen 24 Stunden non stopp Kinderliedern - wie Barney, der Dinosaurier, das Ich mag dich-Lied singt - ausgesetzt (S. 132). Auch die Akte um die sexuellen Demütigungen der Gefangenen in Abu Ghraib erspart Ronson den Lesern nicht.

 

Ronson baut das Buch chronologisch nach seiner Recherche auf. Spannend und irritierend schlittert der Leser zunehmend in die abgrundtiefen Machenschaften der US-Armee.

 

„Das ganze scheint im Rückblick allzu vertraut. In Waco wie in Abu Ghraib verhielt sich die amerikanische Regierung wie eine groteske Karikatur ihrer selbst.“ und „Alles klingt lustig bis es ausprobiert wird.“ (Zitat Ronson S. 196 und S. 214)).

 

Zum Film:

 

Der Film erweist sich, trotz schauspielerischer Höchstleistung allen voran der frisch mit dem Oscar ausgezeichnete Jeff Bridges als Bill Django, Stephen Lang als Brigade General Dean Hopgood, Kevin Spacey als Larry Hopper, Ewan McGregor nach „Ghostwriter“ als Journalist Bob Wilton und George Clooney als Lyn Cassidy, als typischer Hollywoodfilm der seichten Sorte. Vielleicht misst man dem Massenpublikum auch nicht mehr Intellekt zu.
Im Gegensatz zum Buch gilt hier: Alles klingt lustig und bleibt auch lustig.

Die Personen im Buch wurden völlig verändert. Die Rolle des Bill Django mochte am ehesten der Person Jim Channon nahe kommen. Während General Hopgood höchstwahrscheinlich General Stubblebine und der Journalist den Autor Jon Ronson selbst darstellen sollten, dürften Lyn Cassidy und Larry Hopper eine Mischung aus vielen im Buch erwähnten Personen ergeben.

Trotz Amüsement bleibt der Inhalt leider an der Oberfläche. Besser wäre es gewesen aus diesem Buch einen Dokumentarfilm im Sinne von „Zeitgeist“ oder „Religulous“ zu drehen. Oder wenn schon Hollywood, dann eher wie eine Grisham Verfilmung, ähnlich „Die Akte“ oder „Die Firma“ auf Enthüllungsjournalismus gedrillt.

Wie auch immer man empfindet, wenn man das Buch gelesen hat, unterhaltsam ist der Film allemal!

 

LitGes, März 2010