11. Philosophicum Lech: 4. Tag, Gabriele Sorgo - Part 14
4. Tag
Gabriele Sorgo
Gleich anschließend an die Sonntagsmesse hält Gabriele Sorgo den vorletzten Vortrag zum
11. Philosophicum in der neuen Kirche in Lech: „Kult, Konsum und Konvivialität: Einkaufen als Gottesdienst?“
Wie sie zu Beginn ihrer Rede feststellt, wäre es vor wenigen Jahren noch kaum vorstellbar gewesen, am Sonntagmorgen in einer Kirche einen Vortrag zu halten, schon gar nicht als Frau und dann von der Kanzel und noch dazu über Shopping, gelte es doch als Häresie der Vernunftreligion.
In ihrem Beitrag will Sorgo das Gegenteil beweisen.
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1. Konsumkritik
Das heutige Konsumverhalten schneide mit schlechten Noten in den Kulturwissenschaften ab. Der 2002 verstorbene Theologe Ivan Illich verstand unter Konvivialität, eine Lebensform, die nicht nur materiellen, sondern auch sozialen und kulturellen Bestand hat.
Somit hieße konvivial nicht nur laut Duden: heiter oder gesellig, sondern „für ein gutes Zusammenleben geeignet“.
Waren und Religionen, die zu einer Abhängigkeit führen, bezeichnet Sorgo als nicht konvivial, da sie laut Illich die Eigenmächtigkeit und Kreativität untergrabe. Diese Abhängigkeit wird von Konsumkritikern mit religiösen Begriffen, wie Markenkult, Starkult, Konsumtempel und Freizeitparadies umschrieben, die damit eine doppelte Entwertungsstrategie verfolgen, im Sinne der Lächerlich-Machung des Konsumenten, sowie der Negativierung des Wortes Kult. Lebensbewältigung bedeute tägliche Wiederherstellung der eigenen körperlichen und psychischen Identität. Sorgo ordnet dem Einkaufen eine große Rolle zu, da der Konsum seit den 1960er Jahren im Zentrum der Gesellschaft steht und sie scheinbar zusammenhält, er erweise sich somit als Äquivalent zur verloren gegangenen Macht der Religion, als Mahlgemeinschaft.
2. Ursprung von Ritualen und Kulten
Sorgo holt geschichtlich aus. Bei Ritualen handle es sich um kulturell stilisierte Reaktionen auf die Umwelt, sie sicherten Ordnungsstrukturen und schafften Geborgenheit. „Einer der häufigsten ritualisierten Verhaltensweisen, die über viele Jahrtausende das Überleben sicherte, war die Nahrungsteilung: die Mahlgemeinschaft.“ Die Mahlgemeinschaft selbst war wieder entscheidend für die Evolution des Menschen, sowie Gruppenbildung Vorraussetzung für die Menschwerdung war. Die grundlegenden Fragen des Überlebens wie Essen und die daraus resultierenden Beziehungen und starken Gefühle hätten somit laut Religionsphilosophen etwas Heiliges. Doch Essen stehe auch für ein Fest, da es Glück, Freude und den Triumph des Überlebens liefere.
Heiliges entstand, wie Sprachwissenschaftler vermuten, mit dem Bewusstsein vom Wert dieser Grenzziehungen.
Da die menschliche Gemeinschaft und damit die Kultur mit großer Wahrscheinlichkeit bei der Nahrungsteilung begonnen haben, ist es nicht abwegig Kult und Konsum zu verbinden.
3. Eine Interpretation des Einkaufens als Kultur schaffende und religiöse Tätigkeit
Leider, fährt Sorgo fort, würden Konsum und Kultur heute defizitär praktiziert.
Der Alltag richte sich nach Anforderungen der Arbeit – Produktion und Ökonomie - und “Irrationales Verhalten, Formen der Verschwendung, Verehrung […], Massenverzückung haben ihren Platz auf Seiten des Konsums.“ Im Gegensatz zur heiligen Arbeit gelten diese als unheilige Verausgabung und Freizeitbeschäftigung.
Sorgo bringt Beispiele: die Veränderung des Sonntags, vom einst geheiligten Tag des Herren, zu einem Tag der Freizeitbeschäftigung und des Konsums; die Ersatzsuche einer romantischen Liebe im unbefriedigenden Suchtkaufverhalten von Luxusgütern. Die Frage nach dem Sein sei schließlich die Frage nach der Praxis: „Wie leben wir?“
“ Wie früher die Gläubigen zu den Wallfahrtskirchen, so würden heute die Konsumenten zu IKEA pilgern.“ Es sei ein zutiefst menschliches Bedürfnis abstrakten Verhältnissen eine konkrete sinnliche Gestalt zu geben. Durch die Körperfeindlichkeit in den Religionen und in den Geisteswissenschaften ist das Einkaufen zum Ersatzgottesdienst geworden. Doch in den Konsumsphären liege nicht Sinn und Identität als Ware, dies geschehe erst durch das menschliche Zutun. Die Kaufentscheidung hänge vom Weltbild ab und stellte somit eine Verbindung zur Transzendenz her. Daher sei Einkaufen oft ritualisiert. Konsumangebote versuchten die Verbindung dieser Transzendenz zu den einzelnen Personen, zur Familie, zur Gemeinschaft anzubieten. Sorgo bezeichnet sie als Bastelreligionen, die flexibel, änderungsfähig und tolerant sind, wie man es von den Individuen in der Moderne erwartet. Aus dem reichen Angebot jedoch das richtige auszuwählen, bezeichnet Sorgo als wichtige und schwere Kulturarbeit.
Der Kapitalismus jedoch ziele darauf ab, das reale Leben in Warenwerte zu verwandeln. Dies hätte eine vollkommene Entäußerung, Quantifizierung und Entwurzelung von Orten und Traditionen zufolge. Daher wäre der Kapitalismus (nach Benjamin) „der erste Fall eines nicht entsühnenden, sondern verschuldenden Kultus […], der keine soziale, kulturelle oder materielle Erneuerungsmöglichkeiten in Betracht zieht.“
Der Konsument bastelt sich also einen sinnvollen Zusammenhang. „Dafür kauft er Waren. Und er kauft umso mehr, je weniger es im gelingt.“