13. Philosophicum Lech: 3. Tag - Birgit Schwarz - Part 9. I. Reichel
Ingrid Reichel
DAS SCHÖNE ALS ÜBERWÄLTIGUNGSSTRATEGIE
13. Philosophicum Lech
Vom Zauber des Schönen.
Reiz, Begehren und Zerstörung.
Neue Kirche, Lech am Arlberg, Vorarlberg
16. – 20.09.09
3. Tag – Part 9
19.09.09, 11.00 Uhr
Vortrag von Birgit Schwarz (Wien)
Das Schöne als Wille und Vorstellung: Bildende Kunst im Dritten Reich
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Birgit Schwarz wurde 1956 in Deutschland geboren. Sie lebt und arbeitet als freischaffende Kunsthistorikerin und Ausstellungskuratorin in Wien.
Einen völlig anderen und spannenden Einblick zum Schönen lieferte Birgit Schwarz. Anhand der Politik des Dritten Reiches erklärt sie das gefährliche Spiel mit dem Schönen als Machtdemonstration und als Vortäuschung einer Scheinwirklichkeit. Unmittelbar nach Thomas Küppers harmlosen Reizen des Kitsches ist hier eine aufregende Kontroverse zwischen den zwei Vorträgen gelungen.
Seit den 1980er Jahren arbeiteten Wissenschafter die Funktion der Kunst in nationalsozialistischen Systemen auf. Die zunächst nur als Machtdekoration interpretierte, instrumentalisierte, zeitgenössische und historische Kunst wurde erst in den Anfängen der 1990er Jahre in Bezug auf die Täuschung der Massen hin analysiert. In einem Zitat von Hitler wird zum ersten Mal das Schöne mit Gewalt verbunden: „[…] Das Schöne soll Gewalt haben über die Menschen; es will in seiner Macht bestehen bleiben.“
Die ästhetische Überwältigungsstrategie lasse sich auch am italienischen Faschismus, dem Stalinismus und dem amerikanischen Kapitalismus erkennen. Die spezifisch nationalsozialistische deutsche Kunst weiß man heute als internationalen Kunststil der Zeit zu bewerten. Eine weit verbreitete Auffassung sei, dass das Dritte Reich keine eigenständige Kunst hervorgebracht habe. Hierbei sei angebracht, dass Schwarz in ihrem kurzen Vortrag nicht weiter auf die Unmöglichkeit einer freien Kunstentwicklung in totalitären Regierungsformen einging.
Bisher weitgehend übersehen wurden die destruktiven Elemente, die das Begehren nach dem Schönen auslösen: „Das Dritte Reich war Kunst besessen; kein Staat habe mehr Geld für Kunst und Kultur ausgegeben als der Nazistaat, kann man immer wieder lesen.“ Ob der Superlativ stimmt, sei dahingestellt, feststehe der enorme Aufwand in so kurzer Zeit, fuhr Schwarz fort. „Der Aufwand, den ich dazu treiben werde, wird um ein Gewaltiges den Aufwand übertreffen, welchen wir zur Führung dieses Krieges nötig hatten.“ Zitiert Schwarz Hitler in seiner Rede zum Endsieg Oktober 1941. Hitler begann als Maler und endete als fanatischer Gemäldesammler. Seine Vision des Schönen konnte er inhaltlich vollbringen, zur Erbauung der dazu gehörigen Gebäude, der Museen reichte es nicht mehr. Der Wille und die Vorstellung einen wahrhaftigen deutschen Stil zu erschaffen,, schlug fehl.
Die Gegenüberstellung der Großen Deutschen Kunstausstellung und der Ausstellung Entarteter Kunst 1937 in München zeigte nicht nur die aggressive und gewaltbereite Kunstpolitik des NS-Regimes, sondern auch das Versagen der deutsch-arischen Künstler.
„Die Konfrontation war ursprünglich nicht vorgesehen“, berichtet Schwarz, da es bis 1937 keine klaren Richtlinien über deutsche Kunst und keine gelenkten Aktionen gegen die Avantgarde gegeben hatte. Dies führte zu massiven Richtungskämpfen zwischen der modernen, expressionistisch orientierten und der konservativen, völkischen Fraktion. Hitler, der sich selbst eine persönliche Endauswahl der beteiligten Gemälde zur Großen Deutschen Kunstausstellung vorbehielt, tobte angesichts der vielen entarteten Kunstwerke während des Rundgangs durch die Vorauswahl. Die Ausstellung drohte zu platzen. Die kunstpolitische Bankrotterklärung konnte gerade noch durch den Einsatz Hitlers Leibphotographen Heinrich Hoffmann abgewandt werden. Er reduzierte die 15.000 eingelangten auf 500 akzeptable Werke, sodass die Ausstellung stattfinden konnte. Dennoch wurde die Ausstellung Entarteter Kunst erfolgreicher besucht als die Große Deutsche Kunstausstellung,
„Weder die Erwartung einer automatischen Gesundung der Kunst unter dem Nationalsozialismus, noch die Hoffnung auf das nationalsozialistische Mal-Genie hatten sich erfüllt.“ berichtete Schwarz weiter. Enttäuscht führte Hitler neue Maßnahmen ein, um durch den Willen zum Schönen das Hässliche auszurotten. Seine Definition des Schönen lehnte sich an Immanuel Kants Kritik der Urteilskraft, in der der Philosoph „darauf bestand, dass nicht die Kunst sich selbst, sondern die Natur der Kunst die Regeln gibt“. Hitler selbst sah sich als ein Schüler Schopenhauers, der sich wiederum mit Kants Werk eingehend auseinandergesetzt hatte. Er galt als „Modephilosoph der Künstlerschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts“. Hitler, der ganze Passagen aus Schopenhauers Werk auswendig kannte, war jedoch nur subjektiv und selektiv, auf keinen Fall wissenschaftlich-kritisch mit der Lektüre Schopenhauers befasst, weiß Schwarz. Auch die rassistische und antisemitische Kulturgeschichte „Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts“ von Houston Stewart Chamberlain, ein Schwiegersohn Richard Wagners, beeinflusste Hitler früh in seiner Denkweise.
„Die Kunst des Lesens wie des Lernens ist auch hier: Wesentliches behalten, Unwesentliches vergessen.“ zitiert Schwarz aus mein „Mein Kampf“ und erläutert die folgenschweren kunstpolitischen Probleme, die Hitlers subjektive Rezeption mit sich brachte. Nach der Genielehre, sei das Genie angeboren. So brauche es, laut Hitler keine Erziehung zur Kunst, also keine Kunstakademien. Somit waren jedoch die Einflussmöglichkeiten des Regimes gering. Nach seiner Überzeugung konnte der Staat nur Voraussetzungen zur Entfaltung der Genies schaffen. Der Schock über das fehlende deutsche Malgenie ließ ihn die Schuld im Kulturbolschewismus suchen, durch den die deutschen Künstler die Orientierung auf das Schöne verloren hätten. Das gute Handwerk sollte nun als Grundlage zur Entfaltung des Genies herhalten und der jüdische Bolschewismus zur Optimierung ausgerottet werden.
Letztlich konzentriert sich Schwarz auf Hitlers Schönheitsempfinden, welches man am besten an seiner privaten Gemäldesammlung ablesen könne. Hitlers verrufener Kunstgeschmack sei nicht länger haltbar. Neu entdeckte Bildquellen der letzten Jahre bewiesen das Gegenteil. Drei Prachtphotoalben aus dem persönlichen Besitz des Diktators zeigten Gemälde des deutschen 19. Jahrhunderts (Band „Neue Meister“), europäische Malerei vor 1800 – italienische Renaissance und Barock - (Band „Alte Meister“) und ein weiteres Album, welches nun in der Library of Congress in Washington aufbewahrt wird, dokumentieren eine wesentlich qualifiziertere Kunstsammlung als man bis jetzt angenommen hatte.
Die Erkenntnis, dass es bis zum deutschen Genie noch lange dauern würde, ließ ihn von einer aktiven Kunstpolitik auf den Aufbau einer Kunstsammlung ausweichen. Kunstraub und Enteignung mit einem „Führervorbehalt“ für die Führerprivatsammlung (!) ab 1938 ermöglichten eine rasche Entwicklung der Sammlung für das geplante Führermuseum in Linz. Schwarz spricht von dem „Abgründigen des Begehrens nach dem Schönen!“. Das Großdeutsche Reich sollte mit Museen, Opernhäusern und Theaterbauten übersäht werden. Damit sollte nicht nur die arische Herrschaft sondern auch der Krieg legitimiert werden.
Für Hitler bestand im Kampf und im Widerstand die Entwicklung zur Stärke einer Persönlichkeit. Der Krieg und die Kunst waren in ihrer Symbiose die Genie erzeugende Kraft, mit der es galt das deutsche Volk „aufzutanken“. Mit dem Satz „Gerade weil Hitler der Kunst eine so grundlegende Funktion zuwies, musste sie vernichtet werden, damit sie nicht dem Feind nützlich sein könnte.“, schloss Schwarz ihren mit vielen neuen Aspekten versehenen Vortrag.
Buchtipp:
Birgit Schwarz: Hitlers Museum.
Die Fotoalben Gemäldegalerie Linz.
Dokumente zum „Führermuseum“.
Wien: Böhlau Verlag, 2004. 500 S.
ISBN-13 978-3-205-77054-1
NEU!
Birgit Schwarz: Geniewahn.
Hitler und die Kunst.
114 s-w Abbildungen.
Wien: Böhlau Verlag, 2009. 397 S.
ISBN 978-3-205-78307-7