14. Philosophicum - 1. Tag: Einführung - Konrad Paul Liessmann. Rez.: Ingrid Reichel

Ingrid Reichel
DARF’S A BISSERL MEHR ODER WENIGER SEIN? DER STAAT EIN PARADOXON?

 

DER STAAT. WIE VIEL HERRSCHAFT BRAUCHT DER MENSCH?
Einführung
Univ. Prof. Dr. Konrad Paul Liessman

Professor für Philosophie (Uni Wien) und wissenschaftlicher Leiter des Philosophicums Lech
23.09.2010, 17.30 Uhr
Neue Kirche, Lech am Arlberg

 

Wie der Titel bereits impliziert, erläutert Liessman die Unentschlossenheit in der sich der Bürger befindet, wenn es um die Quantität der Macht geht, die er zu ertragen hat oder nach der er sich sehnt. Der väterliche Staat, der sich fürsorglich um all unsere Defizite kümmert, der unser Altersvorsorge sichert, sich um unsere Gesundheit sorgt, uns eine Hygiene, eine gute Ausbildung und Bildung ermöglicht, uns Jobs garantiert, für die Gleichberechtigung kämpft, uns vor Feinden beschützt etc…, besitzt auch die elterliche Autorität gegenüber Unmündigen. Inwiefern uns der Staat also in unserer Entwicklung zu einem verantwortungsvollen Bürger hindert oder unserer Unfähigkeit wohlwollend korrigiert, bildet die Kernfrage dieses Philosophicums.

Viele dieser Aufgaben, die der Staat übernommen hat, wurden in den letzten Jahren theoretisch und praktisch in Frage gestellt, so Liessmann. Man spricht vom „schlanken Staat“, der auf wenige Kernkompetenzen reduziert, dennoch die gesellschaftlichen und ökonomischen Defizite auszugleichen vermag. Ein Staat also, der zu einem unpolitischen Körper, einem Dienstleistungsunternehmen mit wenig Ausdruck von Macht mutiert.

Liessmann verweist auf den Beginn des neuzeitlichen politischen Denkens, als den Staat in seiner Funktionsbeschreibung mit dem Ziel, die Sicherheit und den Frieden seiner Bürger zu garantieren hatte. Liessmann untermauert seinen Gedanke mit Thomas Hobbes’ Staatsphilosophie, die er in seinem berühmten wie auch berüchtigten Werk „Leviathan“ formuliert hatte. (Siehe Artikel: Vorabend – Das Heulen der Wölfe). Hobbes schrieb: „[…] es stimmt sowohl, dass der Mensch dem Menschen gottgleich ist, als auch dass der Mensch dem Menschen unverhüllt ein Wolf ist“. In diesem „Doppelsatz“ sieht Liessmann die Position Hobbes’ charakterisiert. In seinem Naturzustand sei der Mensch als Einzelgänger tatsächlich für seine Mitmenschen gefährlich (Wolf), erst das Bündnis (Staat) zu seinen Mitmenschen ermögliche ein geregeltes vernünftiges Zusammenleben, und mache ihn „für seinesgleichen zu einem Gott“. Der Einzelne habe im Naturzustand keine gravierenden Unterschiede, daher führe diese „ursprüngliche Gleichheit“ in Zeiten der Not zum Kampf ums Überleben. Das Streben von Selbsterhaltung, Macht und Anerkennung führe jedoch nicht zu einem permanenten Krieg, sondern bedeute eine fortwährende Kriegsbereitschaft, ein Leben in Misstrauen und Furcht. Diese Dauerbereitschaft beginne laut Hobbes dort, „wo der Bürger nachts seine Tür versperrt“ und daraus ist ersichtlich, dass wir den Naturzustand noch nicht überwunden haben.

Der Mensch jedoch strebe auch nach Sicherheit und aus der Furcht heraus nach einem Arrangement. Vernunftgründe und Selbsterhaltung, nicht Solidarität, Gewissen oder Nächstenliebe wären hier Motor zu Gesellschaftsverträgen. In Hobbes Theorie funktioniert dies nur unter einem höchsten Gewalt und Machtprinzip: Der Bürger delegiert somit seine eigenen Machtansprüche an eine höhere Instanz. Auf Hobbes Theorie geht jedes Kernstück moderner Staatsidee zurück. Die eingeschränkte Freiheit ist die Kehrseite der Medaille, führt Liessmann fort, der „Überwachungsstaat“ eine mögliche Gefahr. Die prinzipielle Kritik am Staat sei daher fast so alt wie die Theorie des modernen Staates. Anarchistische Konzepte und Philosophien, die von der romantischen Idee beseelt waren, die uneingeschränkte Freiheit zu realisieren, bildeten sich im 19. Jahrhundert, ob durch Abschaffung oder, so wie Marx und Engels es proklamierten, durch Aufheben und Absterben des Staates. Die marxistische Vorstellung erinnere Liessmann paradoxerweise an Adam Smith’ radikal-liberale Konzeptionen, die allerdings nur einen Ordnungsfaktor zuließen: den Markt. Smith war Begründer der klassischen Volkwirtschaftslehre und sah den gesellschaftlichen Wohlstand in einem System der natürlichen Freiheit. Der Markt sollte wie eine „unsichtbare Hand“ die Interessen der Allgemeinheit wahrnehmen und lösen.

Mit Hegel, der den Staat für „die Wirklichkeit der sittlichen Idee“ hielt, schließt Liessmann seine Erläuterung über die paradoxe Einstellung, die wir gegenüber dem Staat haben.

LitGes, September 2010

Mehr Kritiken aus der Kategorie: