14. Philosophicum Lech - 3. Tag: Wolfgang Fach. Rez.: Ingrid Reichel
Ingrid Reichel
MENSCH UND STAAT: EINE PERMANENTE WECHSELSEITIGKEIT
WIE VIEL MENSCH BRAUCHT DER STAAT?
Univ. Prof. Dr. Wolfgang Fach
Professor für Politische Theorie und Ideengeschichte (Universität Leipzig)
25.09.2010, 09.30 Uhr
Neue Kirche, Lech am Arlberg
Von der ursprünglichen Frage des Philosophicums „Wie viel Staat braucht der Mensch“ wagt Wolfgang Fach die Umkehrfrage - „Wie viel Mensch braucht der Staat“ – um daran zu erinnern, dass auch diese Medaille zwei Seiten hat. Zwei konkurrierende Antworten stellt Fach zur Diskussion auf die Frage „Warum beide – Staat und Mensch – doch meistens auf ihre Kosten kommen?“
- Der Staat müsse über hinreichende Macht verfügen, um den Eigensinn und (un)Willen des Menschen zu brechen.
- Oder alternativ, müsse es dem Staat gelingen, den Menschen (seinen Kontrahenten!) gewaltfrei so zu normieren, dass dieser willentlich tut, was er tun sollte.
- Fach schlägt noch eine weitere Antwort vor: Staat und Mensch stellen sich - bewusst oder unbewusst – in Form eines Tauschs unter genannten Bedingungen wechselseitig aufeinander ein.
Diese Theorie erläutert Fach humorvoll-makaber anhand Schillers „Kabale und Liebe“ als während des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges auf der Seite der Engländer „Leasing-Truppen“ (vor allem hessische) kämpften.
Der Tausch funktioniere demnach so: „Mensch und Staat verlangen voneinander nicht viel und geben einander wenig.“ Doch woher kommen die Gleichgewichtspunkte und wo liegen sie? Es liege wohl an einem gemeinsamen Erwartungshorizont oder Bezugsrahmen (frame of reference) analysiert Fach, welches das Wissen voneinander zu einem berechenbarem Miteinander führe. Ansonsten käme es zu einem Kommunikationsabbruch und einer gegenseitigen Blockade. Das Problem der „doppelten Kontingenz“ müsse also gelöst werden. Opportunitäts- und Organisationsstrukturen wären hierfür Voraussetzung.
Fach erläutert dies an weiteren „alltagstauglichen Beispielen“ in der Literatur: „The organiziation man, the political man oder the common man, den seine Verteidiger auch als the forgotten man nennen, sind feste Begriffe, die für konsolidierte Verhaltensmuster stehen und gleichgewichtige Lösungen anzeigen.“
Während der Organisationsmensch dem Berufsbeamten ähnle und laut Ansicht des deutschen Soziologen Niklas Luhmann (1927-1998) einer „bezahlten Indifferenz“ gleichkäme, spüre man beim politischen Menschen eine Politik-Verdrossenheit. Fach zitiert hierbei mehrfach den deutschen Philosophen G.W.F Hegel (1770-1831), denn von einem allgemeinen Wahl-Drang, dem engagierten Zugriff auf das erkämpfte oder eingeräumte Recht auf politische Mitbestimmung, war Hegels Beobachtung nach nichts zu spüren. Fach verweist auf die niederen Wahlbeteiligungen von „60, 50 oder auch mal, wie in Amerika, magere 20 Prozent“. Hierbei ließ Fach den US-Soziologen Seymour M. Lipset (1922-2006) nicht unerwähnt, der sich von der Wahlabstinenz seiner Landsleute nicht beunruhigt zeigte: „ Was Besseres, fragt er, als ein Haufen apathischer (Nicht-)Wähler kann der Demokratie eigentlich passieren?“ Eine Denkrichtung argumentiert, dass ein Zeichen der allgemeinen Zufriedenheit eine geringe Wahlbeteiligung sei. „Hohe Wahlbeteiligung wäre demnach das Symptom für einen decline of consensus.“ Feststehe, so Fach, dass vom political man in funktionierenden Demokratien keine Wunderdinge erwartet werden. Die Vermutung, dass wenn mehr als 90 Prozent zur Wahl gingen, dort der unmittelbare gesellschaftliche Zerfall drohe, sei allerdings umstritten. Dies führe zum dritten Typus, dem common man, auch forgotten man genannt. Nach dem US-Soziologen William Graham Sumner (1840-1919), wären dies jene Bürger, die brav ihre Schulden und Steuern bezahlten und von dem man außerhalb seiner kleinen Welt nichts höre. Die kurzum in einer Politik, die Schweigen nicht honoriert, vergessen werden. Da laut Michael Mann (*1942), einem englischen Soziologen, sich der Sinn des Lebens im Alltag entfalte, sieht Fach auch keine Gefahr, dass die „ominösen Lichter“ ohne politischen Konsens ausgingen. Die Sicherheit bestehe vielmehr in der Schulden- und Steuerzahlung, erst wenn dieser Zahlungsprozess nicht mehr organisiert werden könne, dann wäre der Zusammenhalt gefährdet, das sehe man anhand der Krisenzeiten. Normalität sei eben nicht kostenlos!
LitGes, September 2010