15. Philosophicum Lech - 2. Tag - Karlheinz Ruckriegel. Rez.: Ingrid Reichel

Ingrid Reichel
POLITIKER IM DORNRÖSCHENSCHLAF

 

15. Philosophicum Lech
GLÜCKSFORSCHUNG – WORAUF ES WIRKLICH IM LEBEN ANKOMMT
Karlheinz Ruckriegel

Freitag, 23.09.2011, 15.30 Uhr
Neue Kirche Lech am Arlberg

Univ. Prof. Dr. Karlheinz Ruckriegel (geboren 1957) ist Professor für Makroökonomie, insbesondere für Geld- und Währungspolitik, Psychologische Ökonomie und Glücksforschung an der Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg.

Der im Titel erwähnte Begriff der Glücksforschung lässt einen zunächst schmunzeln. Doch Ruckriegel schafft es in seinem eloquenten Vortrag mit übersichtlicher Power-Point-Präsentation der Definition die Lächerlichkeit zu nehmen. Am Ende erfasst einen sogar eine gewisse Traurigkeit, die sich zum Zorn auf die Politik steigert, wenn man bedenkt, dass laut Ruckriegel die Erkenntnisse zu einem besseren und glücklichen Leben global bereits aus den 1960er Jahren stammen. Glücksforschung ist also nur ein modernisierter Begriff von dem, was wir schon lange wussten. Nun sollen nach einer UN-Resolution vom Juli 2011 und einem Beschluss der EU-Staats und Regierungschefs, nämlich der EU-Nachhaltigkeitsstrategie aus dem Jahr 2006, diese Erkenntnisse endlich umgesetzt werden. Hat die OECD die letzten 50 Jahre die Politik im Sinne des Wirtschaftswachstums beraten, so unterstützt sie nun den gesellschaftlichen Fortschritt zu einem besseren Leben, erklärt Ruckriegel.

Letztendlich geht es darum, das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um die sozialen und ökologischen Indikatoren zu ergänzen. „Diese Wende im Denken kommt einer Epochenwende gleich: Weg vom Wirtschaftswachstum hin zur Lebensqualität (well-being). Dieses neue Denken war aber für die Väter der Sozialen Marktwirtschaft bereits vor mehr als 50 Jahren zentraler Angelpunkt ihres Denkens.“, denn der Mensch ist das Maß der Dinge, aber dafür müssten wir erstmals lernen Menschen zu werden. Und das ist durch Forschung möglich, zumindest versetzt uns Ruckriegel in diese Hoffnung, der unter anderem den Hirnforscher Manfred Spitzer zitiert, der behauptet, je mehr wir über das Glück wissen, umso mehr könnten wir es auch trainieren.

Die Glücksforschung ist die wissenschaftliche Disziplin, die sich seit mehr als 20 Jahren mit der Frage beschäftigt, was uns glücklicher bzw. zufriedener macht. Sie ist interdisziplinär ausgerichtet, wobei insbesondere Erkenntnisse aus der Psychologie, der Soziologie, der Ökonomie und der Neurobiologie Eingang finden, erklärt Ruckriegel, der seinen Vortrag in drei Teile gliederte:

1. Was ist Glück, bzw. Zufriedenheit?
2. Wie ist der Zusammenhang zwischen Glück/ Zufriedenheit und Wirtschaftswachstum?
3. Welche Schlüsse sind aus den Ergebnissen der Glücksforschung für Politik, Unternehmen und für jeden Einzelnen zu ziehen?

Ruckriegel scheidet das subjektive Wohlbefinden in emotionales (positive und negative Gefühle im Verhältnis eines Tagesdurchschnitts 3:1) und kognitives (Verhältnis: Erwartung und Tatsache) Empfinden.
So sind persönliches Wachstum, zwischenmenschliche Beziehungen, Gesundheit, psychologische Grundbedürfnisse nach Autonomie, Kompetenz und Zugehörigkeit die wahren Glücksfaktoren statt der herkömmlich angestrebten Bedürfnisse wie Geld, Schönheit und Popularität.

Das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) ist die häufig verwendete Messform mit einer Skala von 0-10. Die Umfragen werden am Einzelnen durchgeführt. Auch werden Selbst- und Fremdeinschätzung verglichen. Die bereits von Bruno Bettelheim und Erich Fromm geäußerten Feststellungen in den 60er Jahren, dass trotz erstandener Freiheit und erfolgreicher Ökonomie ein Verlust von Inhalt, Zielen und Sinn zu beklagen sei, haben sich bewahrheitet. Im gezeigten Ländervergleich kann man beobachten, dass in Deutschland trotz Senkung der Steuern (1995 bis 2009 ist die Steuer- und Abgabenquote von rund 48 % auf gut 42% gesunken) die Zufriedenheitswerte gefallen sind.

Im Vergleich zu Deutschland sind aber die Dänen, Schweden und Finnen, trotz höherer Steuer- und Abgabenquoten, deutlich zufriedener mit ihrem Leben. Grund hierfür liegt in einem höheren Vertrauen zu ihrer Gesellschaft, einer geringen Einkommensungleichheit und einer positiveren Einstellung zum täglichen Leben. Laut dem Gallup-Well-Being-Index für Deutschland vom September 2011 sind nur 34,3 Prozent der Bundesbürger mit ihrem eigenen Leben sehr zufrieden und schauen optimistisch in die Zukunft. (Ruckriegel Zitat: „Reich, aber unzufrieden“, Der Spiegel, Nr. 38, S. 83.)

Man spricht vom Easterlin-Paradoxon. Der Ökonom Easterlin stellte bereits 1974 fest, dass ab einem gewissen Einkommensniveau (BIP pro Kopf) ein Wirtschaftswachstum zu keiner oder kaum einer Zunahme der Lebenszufriedenheit führt. Die Gründe hierfür sind einerseits Gewöhnung und andererseits Vergleich. Mit Gewöhnung ist gemeint, dass Ziele sich der Entwicklung anpassen und eine „hedonistische Tretmühle“ auslösen: steigendes Einkommen steigert die Ansprüche. Bei gesicherter materieller Existenz ist dann im Vergleich das relative und nicht das absolute Einkommen entscheidend. Das bedeutet, dass, sobald die Grundbedürfnisse (Essen, Wohnen, Kleidung, Sicherheit) gewährleistet sind, die Korrelation fehlt. Bei einem Einkommen über 20.000 US-$ im Jahr würde dies laut Statistik bereits stattfinden, analysiert Ruckriegel.

Das wahre Problem liegt nun darin, dass weder Gewöhnung noch Vergleich in der traditionellen ökonomischen Mainstream-Theorie vorkommen. Dies führe zu einem Erklärungsdefizit.
Es gilt daher die richtigen Indikatoren zu finden. In Bhutan ist z.B. das Brutto-National-Glück übergeordnetes Konzept. Das bedeutet, dass in Bhutan die ökonomische Entwicklung nur mehr ein Mittel zum Zweck zur Erreichung des Glücks ist. Nach dem Vorschlag der Stieglitz-Kommission vom September 2009 kann sich eine Ausrichtung nicht mehr am Wachstum des BIP festhalten, sondern müsse sich an der objektiven Lebensqualität (Gesundheitsstatus, Bildungsniveau, Umweltzustand, …) und dem subjektiven Wohlbefinden der gegenwärtigen Generation sowie an der (ökologischen) Nachhaltigkeit für zukünftige Generationen orientieren. Das Indikatorenset der OECD schließt sich dem im generellen an.

Für die Unternehmen ist daher eine positive Unternehmenskultur unerlässlich. Das Geheimnis guter Führung liegt im Aufbau guter sozialer Beziehungen zu seinen Mitarbeitern. Dies bedeutet Interesse am Wohlergehen, Förderung zur Weiterbildung, Vorbildfunktion, Entscheidungsfreiheit im Aufgabenbereich, Förderung von Teamwork & Arbeitsklima, Fairness (gerechtes Vergütungssystem) und vor allem Anerkennung.

Schließlich zitiert Ruckriegel noch die Psychologin Sonja Lyubomirsky mit ihrer Anleitung Glücklich sein (2008): Wer aktiv etwas zum Glücklichsein tut, fühlt sich subjektiv besser, hat mehr Energie, ist kreativer, stärkt sein Immunsystem, festigt seine Beziehung, arbeitet produktiver, erhöht seine Lebenserwartungen.

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