16. Philosophicum Lech - 1. Tag - Impulsforum. Rez.: Ingrid Reichel

Ingrid Reichel
Von der Pferdestärke zum Streichelzoo

 

16. Philosophicum Lech
Tiere. Der Mensch und seine Natur.
Impulsreferat und -forum: Der Gebrauch der Tiere

20.09.2012, 15 Uhr, Lech Neue Kirche

Das Thema "Tiere" versprach ein brisantes Philosophicum, zumal der Beisatz "Der Mensch und seine Natur" schon die Ambivalenz aufzeigt, in der sich der Mensch befindet. Einerseits ging es darum, die areligiöse aber wissenschaftliche Aussage "Der Mensch ist ein Tier" in den Köpfen zu vertiefen, zum anderen um das nicht gerade löbliche Verhalten des Menschen gegenüber seinen Artgenossen, den Tieren, in all ihrer Vielfalt zu beleuchten.

Günther Apfalter, Präsident des Magna-Konzerns (der Konzern ist seit Anbeginn Hauptsponsor des Philosophicum Lech), begann die Aufwärmrunde mit seinem traditionellen Impulsreferat zum Thema Der Gebrauch von Tieren. "Was kann ein Automobilzulieferer vom Pferd erzählen?", dachte Apfalter, fragt das Publikum, und versuchte das alte Dogma Natur versus Technik zu widerlegen: Die Technik lernt nach wie vor von der Natur, die Bionik dient hierfür als gutes Beispiel, beschäftigt sie sich doch mit der wissenschaftlich interdisziplinären Entschlüsselung der belebten Natur und ihrer Umsetzung in der Technik (Bsp. vom Flugsaurier zum Flugzeugmodell). So sieht Apfalter zunächst das Tier als Erweiterung des menschlichen Körpers. Tiere wurden nicht nur gebraucht sondern genutzt (Bemerkung Rezensentin: vielleicht aber auch benutzt?), um effizienter von A nach B zu gelangen (Bsp. Pferd) und erleichterten somit wesentlich unseren Alltag (durch Schnelligkeit und Lasterleichterung). Das Auto mit seinen Pferdestärken erwies sich nicht nur als leistungsfähiger sondern auch als umweltfreundlicher. Noch vor 150 Jahren hatte eine auf Pferdefuhrwerke angewiesene Stadt ein abfall-logistisches Problem, denn ein Pferd produziert 50 kg Pferdeäpfel am Tag, erzählte Apfalter. Als das Pferd als Nutztier vom Auto abgelöst wurde, konnte es durch Zucht kulturell im Sport und Lifestyle gebraucht werden. Dies wiederum schuf "Raum für Emotionen" (Haus- und Kuscheltier). In der Gegenwart sieht Apfalter eine "neue Sachlichkeit" erreicht. Der Gebrauch von Tier und Maschine driftet immer mehr in rationelle Überlegungen, doch Apfalter scheute das Wort "Produktivität". Dennoch scheinen für ihn die Forderungen informierter Verbraucher von hoher Relevanz. Zum Abschluss erinnerte Apfalter, dass der Mensch nicht über der Natur steht, auch wenn er Tiere gebraucht.

 

Die Wahl der geladenen Gäste zum anschließenden Impulsforum verhielt sich wie bei einem Doppel im Tennis: Karnivore gegen Veganer. Zu den Karnivoren zählten der Wildökologe und Jäger Hubert Schatz und der Vorstandsvorsitzende der Familien-Metzgerei-Unternehmensgruppe-Tönnies Clemens Tönnies. Auf der anderen Seite saßen am Podium Umwelt- und Tierschutzaktivist Martin Balluch und die Autorin und Tierfreundin Karen Duve. Sie schrieb zuletzt das Buch „Anständig essen. Ein Selbstversuch“ (Berlin: Galiani, 2010). Martin Balluch geriet als Obmann des Vereins gegen Tierfabriken 2008 mit der Justiz in Konflikt. Hierbei ging es darum, dass der österreichische Staat die aktiven Mitglieder der Tierschutzorganisation als potentielle Attentäter verklagen wollte. Nach langer Untersuchungshaft wurden er und seine Kollegen am 02. Mai 2011 nach erwiesener Unschuld freigesprochen. Am 30. Jänner 2012 erhielt er für seine Tierschutzarbeit und in Anerkennung seiner Rolle im Tierschutzprozess den renommierten und hochdotierten Myschkin-Ethikpreis. Zwischen den zwei Parteien saß Uwe Justus Wenzel (Journalist der NZZ), der als sympathischer und neutraler Moderator fungierte.

Ohne Zweifel braucht der Mensch das Tier, doch WOZU? So leitete Wenzel die Diskussion ein. Die Teilnehmer sind sich einig, dass wir Menschen von Tieren viel lernen können, nicht zuletzt unser eigenes Verhalten. Auch dass Tiere ihre eigenen Charaktere, Persönlichkeiten aber auch eigenen Wünsche haben und somit dem Menschen sehr ähnlich sind.

Doch worum geht es? In erster Linie geht es darum, seinen eigenen Standpunkt verlassen zu lernen, meint Balluch. Unser Horizont beruht nur auf unserer eigenen und daher sehr engen Sichtweise. Es ist schwer sich von anerzogenen Verhalten, wie Fleischessen, zu distanzieren, denn "wir sind alle als Fleischesser sozialisiert" (Zitat: Balluch).

Kurz gestreift wurden Themen wie Tier- und Weidgerechte-Haltung, der Verhaltenskodex der Jäger, veränderte Haltungsformen der Nutztiere nach dem 2. Weltkrieg sowie ökologische Wertschätzung. Unklarheit zwischen den Diskussionsteilnehmern herrschte über den Begriff der Massentierhaltung. Laut Tönnies gibt es keine Agrarfabriken in Deutschland, sondern nur familienorientierte Landwirte mit kleinbäuerlicher Struktur, die mit nur 500 Schweinen ihr Auslangen finden. Balluch berichtet von der Kastentierhaltung, die in der Schweiz bereits erfolgreich verboten wird, jedoch in Österreich trotz Gesetzesabschluss erst in 21 Jahren in Kraft treten wird und auch in Deutschland (noch?) praktiziert wird.

Es ist eine Frage der Moral, denn die Fleischproduktion ist sowieso zu teuer, der Aufwand ineffizient (Verhältnis Anbau von Tiernahrung im Vergleich zur Hungersnot), meint Duve. Für Tönnies jedenfalls stellt sich die Frage nicht, ob der Beruf des Fleischers ein unmoralischer sei. Er selbst bemühe sich die Tiere gut zu behandeln, die Achtung vor dem Nutztier (im Vergleich zum allgeschätzten Haustier) zu sensibilisieren sowie eine transparente Produktion zu ermöglichen. Es wäre schließlich eine gemeinsame Entscheidung, die wir zu tragen hätten, ob wir nun Fleisch essen, oder nicht. Letztendlich entscheide der Konsument.

Wichtiger Aspekt in der Podiumsdiskussion war die Achtung der Tiere und unsere Empathie ihnen gegenüber. Dass Mitgefühl auch zu Irrationalität führen kann, bewies Duve, die auch Mitleid mit einer lästigen Fliege, die um ihr Leben kämpft, empfinden kann. Schatz machte auf den natürlichen Kreislauf des Lebens aufmerksam: fressen, um zu überleben – fressen, um gefressen zu werden. Den irrationellen Konflikt erklärte Schatz am Bsp. der Fliege im Spinnennetz: Rettete man die Fliege im Spinnennetz, würde sich die Überlebenschance der Spinne verringern. Ist Albert Schweitzers Zitat Leben lebt von Leben eine negative Romantik?, fragt Wenzel. Duve erwidert, dies wäre eine Tragik, deren Grenze nun gezogen werden müsse. Vielleicht bedürfe es einer neuen Moral? (Wenzel). Sicher sind persönliche Verzichte und Toleranz angesagt und kluge Konsumenten, die sich nicht so leicht hinters Licht führen lassen.

LitGes, September 2012

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