16. Philosophicum Lech - 2. Tag: Markus Wild. Rez.: Ingrid Reichel

Ingrid Reichel
Spieglein, Spieglein an der Wand…

 

16. Philosophicum Lech
Der Mensch und andere Tiere -
Überlegungen zu einer umstrittenen Redeweise
Markus Wild

Freitag, 21.09.2012, 9.30 Uhr
Neue Kirche Lech am Arlberg

Prof. Dr. Markus Wild (geboren 1971) ist seit 2012 SNF-Förderprofessor an der Universität Freiburg/ Schweiz. Von 2003-12 war er wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl Theoretische Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Markus Wilds Recherchen betreffen unter anderem die Tierphilosophie und den Naturalismus. Für ihn steht fest, dass der Mensch ein Tier ist! Mit diesem Vortrag verhalf er den Zuhörern - mit schock-therapeutischen Maßnahmen -, diese Erkenntnis nachzuvollziehen.

Wild beruft sich auf die Aussage des Paleoanthropologen Steve Mithen: "Der Mensch ist ein Tier." (Buch Mithen: "The prehistory of the mind. A search for the origins of art, religion and science." 1998). Auch nichtmenschliche Tiere hätten geistige Fähigkeiten und diese seien durch die Evolution zu verstehen. Wild erläuterte, was diese Redewendung nun impliziere, warum wir diese These brauchen und worin ihr Widerspruch liege.

Zur Differenzierung zwischen Mensch und Tier wird erforscht, ob Tiere Kultur haben. Laut Definition des niederländischen Zoologen und Verhaltensforschers Frans de Waal ist Kultur eine Übertragung von Gewohnheiten und Wissen durch soziales Lernen (Interview 2002. Buch de Waal: "Der Affe und der Sushimeister. Das kulturelle Leben der Tiere." 2001).

Zunächst unterscheidet Wild zwischen tierischem und menschlichem Geist und die vielfachen Nuancierungen der Intelligenz - der technischen (Werkzeugherstellung), sprachlichen und sozialen (Absichten mitteilen und anderen zuschreiben), naturkundlichen (Wissen über andere Arten) und instrumentellen (Mittel zum Zweck) Intelligenz.
Anhand des Ausschließungsverfahrens wird klar, dass nur eine der zwei Aussagen: A Der Mensch ist ein Tier und B Der Mensch ist kein Tier, richtig sein kann.
Der Begriff "Mensch" wird einerseits als taxonomischer Begriff (Klassifikationsschema), andererseits als Kontrastbegriff verwendet. Es gilt zu klären, welcher Kontrast gemeint ist, ob beide Begriffe nicht ko-extensional (miteinander ausdehnbar) sind und ob sich der Kontrast nicht im taxonomischen Begriff erläutern ließe, fuhr Wild in seinen Erklärungen fort.

Nach der Philosophischen Anthropologie von Max Scheler (Die Stellung des Menschen im Kosmos, 1928) gibt es keine einheitliche Idee des Menschen, daher wäre die Sonderstellung des Menschen generell in Frage gestellt. Besteht der Mensch-Tier-Kontrast überhaupt zu recht? Und ist überhaupt der Mensch-Tier-Vergleich adäquat?, fragt Wild. Zwischen der Philosophie und der Biologie habe sich ein Zuständigkeitsproblem entwickelt, analysierte Wild, und obwohl der Mensch ein anderes Tier sei, gebe es nicht nur die eine unüberwindliche Differenz zwischen den beiden Spezies.

Überdenkt man Wilds Vortrag, muss man gestehen, dass der Mensch, der die Kirche im Dorf gelassen hat, der sich also als Teil des Tierreichs erkannt hat, sich dennoch als Tier plus X sieht.
Wenn Sie sich in den Spiegel schauen, und dies ist wohl der entscheidende Test, den Wild in diesem Philosophicum an das Lecher Publikum richtete, was sehen Sie dann? Sehen Sie einen Menschen, ein Tier, ein Tier plus X?
"Der Mensch ist ein Tier in dem Sinne, das jeder Mensch ein Lebewesen ist und Menschen eine biologische Art bilden.". Daher ist Wilds Konklusion: "Jeder Mensch ist mit je einem Tier numerisch identisch."

Haben Sie die These des Animalismus verstanden?
Es ist im Prinzip ganz einfach: Wenn Sie in den Spiegel schauen, sehen Sie ein Tier! Kein Tier plus X! Sie sehen das menschliche Tier, das denkt und spricht. Sie sind dieses denkende und redende Tier … finden Sie sich damit ab, es wird Ihnen kein Stein aus der Krone der Schöpfung fallen!

LitGes, Oktober 2012

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