Zementfasern: Mario Desiati. Rez.: Roman Schweidlenka

Roman Schweidlenka
„Unsere literarische Neuentdeckung aus Italien!“

 

Zementfasern
Mario Desiati

Roman
A. d. Ital.: A. Kopetzki
Berlin: Verlag Klaus Wagenbach, 2012. 288 S.
ISBN 978-3-8031-3244-4

„Unsere literarische Neuentdeckung aus Italien!“ jubelte der unkonventionelle Wagenbach-Verlag in seiner Werbebroschüre „Zwiebel“. Mag dieser Ausspruch auch nicht frei von werbetaktischen Motiven sein, so darf der Leser / die Leserin sich dennoch über diese Neuentdeckung freuen. Denn Desiati ist lesenswert. Das Buch, sein erster auf Deutsch erschienener Roman, behandelt drei thematische Stränge, die miteinander verwoben werden. Zum einen ist es politisch. Es beschreibt in eindringlicher Weise das Schicksal der aus Süditalien ausgewanderten Arbeiter in Schweizer Zement- und Asbestfabriken, die alle schmerzvoll an dort aufgenommenen Vergiftungen der Lunge und Atemwege gestorben sind. Es handelt sich dabei, wie der Autor bemerkt, „um die größte stumme Tragödie der italienischen Arbeitsmigration“.
Die zweite und dritte Generation steigt dann auf die Barrikaden und wir landen direkt in den süditalienischen Arbeitskämpfen des frühen 21. Jahrhunderts, von denen Mitteleuropäer vermutlich herzlich wenig wissen.
Die zweite Ebene des Romans handelt von den oft verworrenen Beziehungsgeflechten, wie sie sich vor allem rund um die eigenwillige und emanzipierte Hauptperson des Buchs, kurz „Mimi“ genannt, entfalten und die sich mit poetischen Bildern in die süditalienische Landschaft eingraben.
Und dann ist da noch jenes oft besungene und literarisch dargestellte süditalienische archaische Erbe, jener Heiligen- und Geisterglauben, dem auch die eigenwillige Hauptperson der Handlung huldigt.
Am Ende beschert der Roman eine Happy-End-Episode, die in höchst eigenwilliger und erfreulicherweise nicht kitschiger Art besagte Mimi und ihre erste Liebe wieder mit aller gebotenen Dramatik vereint.

Erschienen im etcetera Nr. 52/ Körper/ Mai 2013