Generator of the heart: A. M. Rossell. Rez.: Ingrid Reichel

Ingrid Reichel
DIE PSYCHOANALYSE IN DER KUNST

 
GENERATOR OF THE HEART - EIN MÄRCHEN
Andrew Mark Rossell
Ausstellungsbrücke, Regierungsviertel NÖ, Haus 1/ 3. Stock
Eröffnung: 03.11.2010, 18.00 Uhr
Ausstellung: 03.11. - 25.11.2010

Nach der großen Einzelausstellung „Zwischenreich“ im September 2007 und der Beteiligung an der Gruppenausstellung „GOD : The Fossil Record“ im Februar 2009 zum 200. Geburtstag von Charles Darwin im Stadtmuseum St. Pölten sowie der Beteiligung an der Ausstellung „EVO EVO! 200 Jahre Charles Darwin. 150 Jahre Evolutionstheorie“ im Künstlerhaus Wien im September 2009 sind nun die neuesten Werke Andrew Mark Rossells in der Ausstellungsbrücke in St. Pölten bis Ende November zu sehen. Die vorhergehenden Ausstellungen sind bezüglich der Weiterentwicklung des in Neuseeland geborenen und bei St. Pölten lebenden Skulpteurs von großer Bedeutung. Rossell, der stetig an der spirituellen Verbindung zwischen Leben und Tod arbeitet, präsentiert uns nun eine neue Betrachtungsweise der christlichen Mystik. Rossell, der auf unbestimmte Weise mit Rudolf Steiners Anthroposophie liebäugelt, entwickelt eine persönliche künstlerische Metaphysik. Ein Erlebnis in Lourdes während einer bereits 2002 stattgefundenen Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela ließ Rossell nicht mehr in Ruhe. Es war der Kitsch in den Verkaufsständen am Weg zur Grotte, die ihn dazu bewegten, sich „mit dieser Blasphemie und der ausgetrockneten Glaubenspraxis“ auseinanderzusetzen. Besonders das marktschreierische Angebot einer Madonna als Plastikflasche dürfte der Auslöser zu einer radikalen Veränderung des Zugangs zur christlichen Mystik herbeigeführt haben. Vordergründiges Ziel war eine „physische Madonna zu schaffen, an die er glauben konnte“. Doch Rossell geht in seiner Werkbeschreibung noch viel weiter. Er spricht von dem Wunsch „trotz seines pubertären Bedürfnisses die Madonna zu beschmutzen“, dass sie „ruhig und souverän“ bleibe.

Die Ausstellung eröffnet uns somit den persönlichen Weg des Künstlers, wie er der Madonna begegnet. Ein UFO-artiges Gebilde mit einem an einen Fötus erinnernden Passagier schwebt entlang der Wand der Erde zu, es ist ein „Geburtsshuttle“ mit gigeresken Zügen. Wände mit Augen sind Zeugen dieser Niederkunft, begleiten den Suchenden und sprechen zu ihm aus einer anderen Welt. Diese Augen bezeichnet Rossell als „Augenschwellenschilder“. Sie sind in verschiedenen Größen und Farben aus Polyester, Epoxy und Silikon hergestellt. Hände und Füße in grünen Silikonblocks zieren den Weg zur Jungfrau. Interessant hierbei ist die Geschichte dieser Hand- und Fußabgüsse. Eine der Hände ist zum Beispiel, erzählt der Künstler einem Betrachter während der Ausstellungseröffnung, die einer alten Frau. Sie war einst Nationalsozialistin. Nun verwebt sich ihre Hand schützend mit der eines anderen Menschen. So leicht kann Versöhnung in der Kunst geschehen. An Händen kann man keine politische Gesinnung sehen, dennoch möchte man ihnen charakterliche Eigenschaften attestieren. Gibt es so etwas wie ehrliche Hände? Auch wenn man diese Geschichte nicht kennt, haben diese verschiedenen Hände, die Rossell miteinander kommunizieren lässt, etwas Rührendes. Der Weg zum Glauben wird begleitet mit einem pulsierenden Ton aus der Ferne. Ein Rhythmus wie ein Herzschlag ist zu spüren. Es folgt eine Landschaft mit anmutenden sich links und rechts kreuzenden Ästen, die man leider aus Rücksicht auf die Kunst nicht durchschreiten kann. Dennoch schafft es Rossell uns den Eindruck eines Dickichts zu vermitteln. Am Boden sind anthropomorphe Gestalten in verschiedenen Größen. Ob es nun Geister sind, die einem den Weg versperren, oder Steine, die einem den Weg weisen, bleibt der Phantasie des Betrachters überlassen. Die Landschaft passt sich an die individuelle Vorstellung an. Schließlich gelangt man zu einem großen Schwellenbildschirm, er ist an der einen Seite an der Wand befestigt und geht quer in dem Raum und scheint auf den Boden zu tropfen, durch den Schmelzvorgang hat sich eine Säule auf der anderen Seite des Bildschirms gebildet und wird sich auf den Boden verteilen. Natürlich nur in der Imagination des Betrachters, denn der Bildschirm, der an einen überdimensionalen angefrorenen Pkw-Außenspiegel erinnert, ist erstarrt. Schräg vis-à-vis sind an der Wand zwei Denkpolster montiert. Hier wird mir rotem Wein und (weißer) Milch der Kreislauf des Menschen simuliert. Stetig tropft es aus den Schläuchen, in denen von den herzförmigen Polstern die Flüssigkeit durch eine Umlaufpumpe in Bewegung gesetzt wird. Die Installation mit dem Wein trägt die Schrift „Forsake me“ (Verlass mich), die mit der Milch „Heimkehr“ (Return home). Sobald die Pumpe in Aktion tritt, soll auch ein leichter Seufzer aus den beiden dunklen und hellen Weichgummipolstern zu hören sein. Dazu bedarf es allerdings einer gewissen Konzentration und eines sehr guten Gehörs, denn ein Meter weiter steht der „Herzgestaltkorb“, der Verursacher des (lauten) hämmernden Pochens in der Ausstellungsbrücke ist. Vielleicht ist auch damit der Titel „The generator of the heart“ gemeint. Der etwas klinisch wirkende Teil der Ausstellung versetzt uns in die Stimmung, einen OP-Saal zu betreten. In diesem „Korb“ - einem großen Holzkonstrukt – liegt aufgebart wie in einer Krippe ein überproportional großes, aufgeschnittenes Herz. Das Herz selbst bewegt sich allerdings nicht.

Lebensgroß steht „Fegefeuer Ramses“ dem Korb mit dem Rücken zugewandt in einer

 
   
 
   
 
   
 
leichten Schieflage nach vorne. Er hält seine Beine fest aneinander gepresst, die Arme halten sich schnurgerade und streng an den Körper gepresst, die Schultern wirken nach vorne beinahe ausgekegelt, so steht er mit steifem Genick und einem ohrenlosen und kahlen Kopf, mit gesenkten Lidern und einem Grinsen im Gesicht vor der Madonna. Es ist der Künstler selbst. Nackt und geschlechtslos präsentiert er sich, stellt er sich der Madonna als Ramses vor. Für Rossell ist die Geschichte des Alten Ägyptens mit seinem Volk, das daran glaubte, mit dem eigenen Körper und den irdischen Werten ein Leben im Jenseits beginnen zu können, Thema in seinem gesamten Œuvre. So ähnelt Ramses einerseits einer Mumie, andererseits einer verkohlten Leiche, die durch das Fegefeuer gegangen ist. Die gleichgroße Madonna in ihrem hellblauem Kleid mit weißem Oberteil scheint jedoch durch den Fegefeuermann durchzublicken. Sie hält ihre rechte Hand schützend vor ihre Brust, ihre linke vor ihrem Bauch. Die Madonna ist hochschwanger. Wie ein Brautschleier ist eine dicke transparente mit Löchern perforierte Gummifolie über sie gestülpt. Es ist, als hätte Rossell dieser Madonna ein ausgeleiertes Präservativ über den Kopf gezogen. Trotz Schutzschicht sind Eindringungslöcher von oben bis unten rund um das Kondom festzustellen. Trotz pubertierendem Bedürfnis das Reine, das Unantastbare, das Heilige zu beschmutzen – wir erinnern uns – bleibt diese Madonna erhaben, ruhig und souverän, wie Rossell es sich vorgestellt hat. Sie richtet ihren Blick durch ihn hindurch auf die Zwischenwand, die einen Durchblick zum nächsten Raum ermöglicht, wo in Augenhöhe auf der Durchreiche 20 rosa-rote „Madonnaspuckeflaschen“ gestellt sind. Bereits in der Gruppenausstellung „God : The fossil record“ hatte Rossell eine Serie von „Urspucke“ als Standpunkt zur Evolutionslehre gezeigt. Liegt es hier nicht klar auf der Hand, dass Rossell auf Körpersekrete wie Sperma und Menstruationsblut hinweist, die mit Fruchtbarkeit und Lebensspendung zusammenhängen?

Rossell bricht mit dieser Ausstellung sämtliche Tabus. Manch konservative Seele wird hier Blasphemie wittern. Weder die Kunsthistorikerin Alexandra Schantl noch der in Vertretung des Landeshauptmanns Erwin Pröll erschienene Landesrat Johann Heuras sprachen das Thema während ihrer Reden an. Hat man es nicht gesehen, will man es negieren? Während der Eröffnung der Schau ist eine direkt peinlich wirkende oberflächliche Betrachtung der Kunst Mark Rossells geschehen.

Dabei ist klar und eindeutig festzustellen, dass Rossells „Märchen“ vom „Generator of the heart“, wie er die Schau unter anderem betitelt, keine Provokation beinhaltet. Die Gesamtinstallation, wie ich sie nennen möchte, ist in der Tat die ernsthafte Suche Rossells nach der verloren gegangenen Reinheit des Glaubens. Mit der Leugnung des immer wiederkehrenden Phänomens der menschlichen Sekrete im Zusammenhang von Glauben und Evolution im Werk des Künstlers macht man seine Kunst mundtot. Dabei wäre hier gerade der Ansatz eines offenen Gesprächs ermöglicht worden, eine Brücke gebaut worden zwischen den erstarrten Regeln des Strukturkonservativismus und der tatsächlichen menschlichen Sehnsucht nach Mystik!

Die beweglichen Seitenwände zur Aufhängung von Bildträgern wurden zum ersten Mal während einer Ausstellung so eingesetzt, wie es der Architekt ursprünglich konzipierte. Es liegt wohl an der Überzeugung und Beharrlichkeit des Künstlers und letztendlich an der Zustimmung der Leiterin der Ausstellungsbrücke Ingrid Loibl, dass diese Wände endlich den langen Schlauch dieser Galerie durchbrechen konnten. Alles an dieser Ausstellung schreit förmlich nach Aufbruch verhärteter Richtlinien.

Schade, dass man hier versucht wegzusehen, sich nicht die Mühe gemacht hat, kunsthistorisch zumindest, während der Eröffnung das zahlreich erschienene Publikum darauf hinzuweisen, was uns diese Schau wirklich zeigt. Der Nebentitel „Ein Märchen“ bekommt so gesehen eine ganz andere Bedeutung.

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