China Now. Rez.: I. Reichel
Ingrid Reichel
SPANNENDE KULTURENTWICKLUNG
oder das Geschäft mit der chinesischen Avantgarde
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CHINA NOW
Sammlung Essl Kunst der Gegenwart, Klosterneuburg
Eröffnung: Donnerstag, 14.09.06
Austtellung: 15.09.06 – 28.01.07
Feng Boyi
1996 wanderte die Ausstellung „China – Zeitgenössische Malerei“ von Bonn, nach Wien (1997), Singapur, Kopenhagen, Berlin (1998) und Warschau. Im Künstlerhaus Wien konnte man damals diese herausragende Ausstellung besichtigen, in der Künstler aus China die erste kulturelle Öffnung ihres Landes nutzten und sich im Ausland, vorwiegend in Europa präsentierten.
Kaum jemanden von der allgemeinen Bevölkerung schien es zu interessieren, dass das Land der Mitte - das Land der nie untergehenden Sonne – im Aufbruch war. Zwischen Avantgarde und Tradition, zwischen Vernichtung und Erneuerung zeigten chinesische Künstler mit viel Selbsthumor was sich noch im Untergrund während der Diktatur aufgestaut hatte.
In Wien jedenfalls war diese Ausstellung ein Flop. Die Besucherzahlen blieben damals aus.
Heute, zehn Jahre danach, ist es Agnes und Karlheinz Essl, dank ihrer Sammlerleidenschaft und ihrem Gespür für Gegenwartskunst, gelungen, uns in Österreich einen neuen und umfangreichen Einblick in die zeitgenössische chinesische Bildende zu ermöglichen.
Von den 52 ausstellenden Künstlern sind sechs Namen vertraut: Fang Lijun, Wang Guangyi, Yue Minjun, Zeng Fanzhi, Zhang Xiaogang, und vielleicht Liu Wie - geb. 1972, der möglicherweise nur eine Namensgleichheit mit einem ebenfalls aus Peking stammenden Künstler - geb. 1965 - hat. Sie waren 1996 bereits in der oben genannten Wanderausstellung präsent. Interessant ist, dass nur Zeng Fanzhi die erste Auslandsausstellung in seiner Biographie im Essl-Katalog erwähnt.
Weiters zu beachten ist, dass alle beteiligten Künstler mittlerweile eine ergiebige Auslandserfahrung aufweisen, der älteste Teilnehmer nur 54 Jahre alt ist und vergleichsweise zur Ausstellung 1996, in der keine Künstlerin vertreten war, immerhin sechs Frauen an der Ausstellung partizipieren.
Zu sehen sind Malerei, ein Video, Fotos und Installationen sowie Objektkunst.
Die Exposition ist in sieben Themen räumlich unterteilt:
Rebellischer Spott; Gebrochene Leidenschaft; Individuelle und Kollektive Erfahrung und Erinnerung; Der Widerhall der Stadt; Ein prachtvolles Chaos; Der dritte Raum; Selbstverwirklichung und Selbstbestimmung.
Die chinesische Zeitgenössische ist nach wie vor geprägt vom Realismus. Zu politisch brisant und gesellschaftskritisch sind ihre Inhalte, als dass die Notwendigkeit der Abstraktion Sinn ergeben würde.
Verständlich wird der Aktionismus als künstlerische Ausdrucksform am Beispiel der Fotoarbeiten von Rong Rong. Offensichtlich kommt keine Nation, die es ernst mit der Verarbeitung der unmittelbaren Vergangenheit meint, am Aufzeigen der Selbstverstümmelung vorbei. Bemerkenswert sind die Fotos, auf denen Individuen Tonmasken tragen und ihre Körper in die Erde eingegraben sind. Sie erinnern an die tönernen Krieger im Grabpalast des I. Kaisers von China - Qin Shi Huangdi, jenem Weltkulturerbe, welches bis heute nur zu einem Bruchteil ausgegraben worden ist und an seinen Wunsch der Unsterblichkeit.
Quer durch die Ausstellung wird auf die chinesische Tradition angespielt, teilweise melancholisch, teilweise mit Selbstironie. Chinesischer „Tourismus-Schund“ wird kurzerhand zur Objektkunst verwandelt. Hierbei sind die Koffer „Portable Citys“ von Yin Xiuzhen hervorzuheben. Sie vernäht auf einem Koffer alte Kleidungsstücke von Menschen aus jenen Städten, die sie weltweit besuchte, zu Gebäuden, die sich touristischer Attraktion erfreuen. Durch eine eingenähte Lupe kann man einen Ausschnitt des unterhalb liegenden Stadtplans betrachten. Der Besucher muss sich zu den am Boden platzierten Koffern bücken, dabei hört er aus den tragbaren Städten typische Geräusche der Stadt.
Auch Xu Bing, der in den Staaten lebt, spielt auf den großen Unterhaltungswert der chinesischen Kalligraphie im Westen an. Bereits 1994 begann er mit den Arbeiten „A New English Calligraphy“. Wenn sie Freunde in China haben, können sie damit rechnen ihren Namen in abgewandelter chinesischer Kalligraphie auf einem A4 Blatt Papier handgemalt und eingeschweißt als freundliches Mitbringsel zu erhalten. Großer Beliebtheit erfreute sich schon während der Eröffnung ein Computer samt Drucker, der bereit steht, um den in lateinischer Schrift eingegebenen Namen, mit dem kalligraphischen Ergebnis auszudrucken.
Werke von Hong Hao (Fotos) und Liz Jianhua (Porzellanabgüsse) zeigen mit Alltagsgegenstände den schnellen Entwicklungsprozess der Konsumkultur, die Fülle und den Überfluss im bescheidenen Wohlstand Chinas.
CHINA NOW dokumentiert weiters politische Statements, diverse Perspektiven und das Verschwinden von Mao Zedong. Alleine Zeng Fanzhi erinnert an ihn mit einer Arbeit, die auf einem vom Großen Führer 1936 selbst verfassten Gedicht beruht, anbei das Portrait Maos - verschwommen und zerkratzt.
Letztendlich ist in den sieben Themen das Auflehnen des Individuums gegen die Anonymität der Masse noch immer deutlich spürbar.
In Erinnerung bleiben die fortwährend lachenden Chinesen von Yue Minju, denn im Frühjahr 2006 erzielten Werke chinesischer Künstler bei Sotheby´s Verkaufspreise bis knapp einer Million Dollar. So findet man mittlerweile auch wieder lachende Europäer am Kunstmarkt, die nämlich 1999 auf der Biennale in Venezia - nach der „angeblichen Negierung“ der 1. Ausstellung - ein gutes Geschäft machten. Der im Jahr 2005 verstorbene deutsche Kunsthistoriker und Ausstellungsgestalter Harald Szeemann vermittelte damals die Konnektion.
Gleichzeitig kann man im Museum Essl die bis 05.11.06 verlängerte Ausstellung ZOOM von Jürgen Messensee sehen.
Der 1936 in Wien geborene vielmals mit Preisen dotierte Maler bildet wohl im Parterre eingebettet zwischen Anfang und Ende der Ausstellung CHINA NOW den absoluten Kontrapunkt. – Wovon? – Es ist weniger das klischeebehaftete Gefälle zwischen Ost und West als vielmehr der Bruch zwischen Intellekt und Triebkraft, Verstand und Intuition, Mitteilung und Verdrängen, möglicherweise sogar zwischen Inhalt und Leere, welches die kulturelle Ohrfeige bietet.
Zur Ausstellung erschien ein zweisprachiger Katalog in Deutsch-Englisch
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CHINA NOW
Edition Sammlung Essl,
Klosterneuburg, 2006. 327 S.
ISBN-10: 3-902001-32-1