Globe Wien, Die unglaubliche Tragödie von Richard III, Rez.: Ernst Punz

Ernst Punz
Triebwerk III

Globe Wien / Marx Halle,
„Die unglaubliche Tragödie von Richard III“ von Michael Niavarani
Premiere 02. 12. 2014

 

Ein alter Witz lautet: „Es gibt drei Arten von Witzen: Die erste Art, die man immer und überall erzählen kann, die zweite Art, die man nur in ausgewählten Runden erzählen kann und die dritte Art, die man nie und nimmer erzählen darf: Zum Beispiel: - - -„ Wer diesen Witz erzählt, tut dann so, als ob er nun einen dieser Verbotenen zum Besten geben will und schaut in die Runde, ob jemand die Pointe verstanden hat.

Die heutigen Comediens bezeichnen diese drei Witzarten als Triebwerke. Das dritte Triebwerk wird erst gezündet, wenn die Zuhörerschaft überhaupt nicht zum Lachen zu bringen ist. Es gibt Comediens, die auf diese Art von Witzen verzichten, sie auch nicht notwendig haben. Michael Niavarani lässt bei seinem ersten Auftritt nicht einmal eine Sekunde Zweifel, für welches Triebwerk er sich entschieden hat: „Hurensöhne, Arschgesichter!“ Im weiteren Verlauf der Handlung werden dann fast alle Schalter des dritten Triebwerks gedrückt. Warum Niavarani das tut, müsste man ihn fragen. Tausend Zuseher sind sicher nicht leicht von den Sitzen zu bekommen, aber ist das schon ein Grund?

In Interviews und im Programmheft erzählt Michael Niavarani reumütig, dass er Shakespeare verkannt habe. Erst durch einen eher unfreiwilligen Theaterbesuch, der nur unter dem Einfluss von Liebeshormonen zustande kam, sei er auf Umwegen auf den hohen Unterhaltungswert von Shakespeare aufmerksam geworden. Durch die neue zweisprachige Übersetzung von Frank Günther und die Buchreihe `No Fear – Shakespeare´, in der das alte Englisch ins heute gesprochene übersetzt wird, sei ihm das klar geworden. Offensichtlich wirkt die langjährige Fehleinschätzung des Barden noch nach. In seiner Rolle als William Forrest, einem Analphabeten, der mit Schläue Karriere macht, fragt er sich des Öfteren, wenn die blaublütige Oberschicht in nasalem Kauderwelsch parliert, was die da eigentlich reden. Sehr zum Gaudium des Publikums, das dem unverständlichen Gebrabbel offensichtlich auch nicht viel abgewinnen kann. Der große Nachteil: Nach Besuch des `Unglaublichen Geblödels´ wird kaum jemand verstanden haben, worum es bei Richard III wirklich geht. Aber allem Anschein nach ist das auch nicht die Absicht des freien Bearbeiters. Interessierten, die es trotzdem oder gerade deswegen wissen wollen, sei an dieser Stelle ebenfalls die Übersetzung von Frank Günther anempfohlen. Bei der Lektüre bleibt einem einige Male die Spucke weg und das Herz beginnt rascher zu klopfen, so treffsicher hat Shakespeare die Macht des Bösen durchschaut und dargestellt. Sollte es jemand ganz hart brauchen, empfiehlt sich die Filmadaptierung von Richard Loncrane, der die Handlung in die neunzehndreißiger Jahre versetzt hat. Da bleiben dann keine Zweifel mehr offen.

Bei Michael Niavaranis Richard laufen sicher auch vielen die Spucke im Mund zusammen und die Tränen über die Wangen. Nicht aus Begierde, nicht aus Rührung, nicht aus Zorn, sondern aus Spaß. Ein Fass Wein wird leergesoffen, in einer Schenke wird gespeist und der Versuch wird unternommen, mit aus wirtschaftlichen Gründen an Männern interessierten Frauen Kontakt aufzunehmen. Stuntmen kämpfen in mehreren Schlachten, einer fällt von der Balustrade, ein entkörperter Kopf wird auf eine Lanze aufgespießt, in einen Helm wird gespien und zu dem ganzen Getümmel spielt die Musik. Diese allerdings auf einem shakespearewürdigen Niveau in Form eines Originaltonensembles und das Ganze in einem stilgerechten Bühnennachbau des Londoner Globe Theaters.

In Shakespeares Zeiten waren bekannter Weise, die  Sitten nicht so fein, wie in den Theatern unserer Zeit. Die damaligen Zuseher sind sicher nicht so gesittet in den Rängen gesessen, wie sie das heute tun. Auch auf der Bühne hat das damals seinen Wiederklang gefunden, siehe zum Beispiel Falstaff. Aber Shakespeare ist es gelungen, den Zusehern vor Spannung den Atem stocken zu lassen, mit den unsterblich Verliebten mit zu fühlen, die dann doch sterben müssen, das Böse zu verabscheuen und mit den Wahnsinnigen Mitleid zu haben.

Michael Niavarani wurde heuer auf Grund seiner Verdienste mit dem Nestroy-Ring der Stadt Bad Ischl ausgezeichnet. Johann Nestroy hat eine eigene künstliche Bühnensprache entwickelt, die jedoch von allen verstanden wurde, ja sogar mit ihrer Konstruiertheit zusätzlichen Spaß erzeugte. Und das völlig ohne untergürtlerische Verbalinjurien, sprich Zoten. Nestroy hat das gemacht, um sich unter anderem von den damals grassierenden derben Hanswurstiaden abzugrenzen.

Im Film `Shakespeare in Love´, der die fiktive Enstehungsgeschichte von `Romeo und Julia´ zur Handlung hat, gelingt es den Drehbuchautoren Marc Norman und Tom Stoppard fast ohne Griff unter den Gürtel auszukommen. Ein `Warwickshire shit-house´ und ein `Inkpot´, in den der triebgesteuerte Schreiberling gefälligst seine Schreibfeder nicht zu stecken habe, reicht aus, um das fäkale und sexuelle Surrounding der damaligen Zeit spürbar werden zu lassen.

Die selten erreichte Tiefe der Charakterzeichnung eines William Shakespeare und den Sprachwitz des österreichischen Shakespeare – Karl Kraus hat Nestroy so bezeichnet – vereinen! Wem das gelingt, der würde vielleicht dem seit Jahrzehnten und Jahrhunderten andauernden Kulturtransfer von Westen nach Osten eine Gegenströmung hinzufügen können. Was weiß man, aber vielleicht spielt man eines Tages ein Stück von Niavarani im Londoner Globe Theater und der Autor erhält den Ehrentitel `Englischer Nestroy´.

@ Globe Wien

LitGes, im Dezember 2014

 

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