Landestheater NÖ, Traummaschine. Freud-Projekt, Rez.: Ernst Punz
Ernst Punz
Schaubude, Spiegelkabinett, Projektionslabor
Premiere von „Traummaschine. Freud-Projekt“ von Bernd Liepold-Mosser
in der Werkstatt des Landestheaters Niederösterreich am 17.01.2015.
„Treten sie näher, kommen sie ran. Hier sehen sie die außergewöhnlichsten Abnormitäten der menschlichen Psyche. Staunen sie, lachen sie, grauen sie sich und seien sie froh, dass nicht sie es sind. Oder vielleicht doch?“
Leonardo da Vinci, der große Künstler und Erfinder, schlicht das große Universalgenie der Renaissancezeit, hat sich unter anderem auch für das Innenleben des Menschen interessiert. Nein, nicht für die Psyche, für den Körper. Dabei musste er mit großen Schwierigkeiten kämpfen. Das Sezieren eines menschlichen Körpers war grundsätzlich verboten und nur mit Genehmigung von höchster politischer Instanz erlaubt. Trotz ausnahmsweiser Erlaubnis gab´s nur streng rationierte Pathologiehäppchen. Eine weitere Schwierigkeit mit der da Vinci fertig werden musste, waren die damals fehlenden Kühl- und Konservierungsmethoden, die Haltbarmachung der Leichen und Körperteile war folglich nicht ganz einfach. Bis ein Auge die notwendige Festigkeit erhielt, um es sezieren zu können, brauchte es zahlreiche Versuche. Die Lösung bestand im Kochen in Eiklar, aber darauf musste man erst einmal kommen.
Sigmund Freud hatte es auch nicht ganz leicht. Wie seziert man eine Psyche? Wie kommt man hinein in dieses körperlich nicht fassbare Gebilde, dieses flüchtige Gespinst. Nach Versuchen mit Hypnose und Drogen, Stichwort Kokain, fand er schließlich mit der Traumdeutung die via regia, den Königsweg, ins hinterste Kämmerlein, zum menschlichen Spiegelorgan, zur Psyche. Und daraus entwickelte er schließlich die Psychoanalyse. Was er in der Psyche fand, war nicht unbedingt angenehm und leicht auszuhalten. Vielleicht ist es Freud und da Vinci ähnlich ergangen, vielleicht graute Ihnen vor ihren Werkstücken. Doch die Neugier, der Wissensdurst und der Wille, Ursachen und Heilung für Krankheiten zu finden, waren stärker.
Vor hundert Jahren noch gab es Schaubuden, in denen körperliche Abnormitäten und Besonderheiten ausgestellt wurden und gegen Bezahlung besichtigt werden konnten: Die bärtige Jungfrau, der größte Mensch, der kleinste Mensch, der in Spiritus eingelegte Fötus mit zwei Köpfen, das Glied eines Wals. Es brauchte einige Zeit, bis die Sensationslust der Zuschauer befriedigt war und bis moderne Sichtweisen klarmachten, dass es sich hier um empfindende Wesen handelt und die Schaugier erniedrigend wirken kann. Außer vielleicht beim Wal, den kratzt das nicht mehr.
Auch mit Freuds Entdeckungen wurde viel Schindluder getrieben. Begriffe, die im Rahmen der Psychoanalyse und Psychotherapie ihre guten Dienste leisten, wurden auf den Markt geschmissen und werden seitdem oftmals falsch, zweckentfremdet und sinnentstellt verwendet. So als ob man eine Apotheke plündert und die Pillen wie Zuckerln unter die Leute schmeißt. Halbgebildete werfen mit psychiatrische Diagnosen um sich und Mütter halten Freud gar für den Gott-sei-bei-uns, weil er ihnen angeblich die Generalschuld für alles unterschoben hat: „Die Mutter ist an allem schuld!“. Einige werden sagen, selber schuld, hätte er nicht so viele Bücher geschrieben und veröffentlicht. Gegenfrage: „Was wüssten wir über uns ohne sein weit verbreitetes Wissen?“
Seit 17. Jänner 2015 werden in der Werkstatt des Landestheaters Niederösterreich psychische Abnormitäten und Besonderheiten ausgestellt und können gegen Bezahlung besichtigt werden: Neurosen, Psychosen, Traumatisierungen, Verdrängungen, Frigidität, Impotenz, Inkontinenz, Kastrationsangst, Penisneid, sexueller Missbrauch, Süchte, Tics, Tötungswunsch, Selbstzerstörung. Ein Freudsches Versprechen: In diesem Psychoptikum ist für alle was dabei. Autor und Regisseur Bernd Liepold-Mosser hat sein Mögliches getan, die schwere Kost und die ausgesuchten Grauslichkeiten halbwegs verdaulich auf die Bühne zu bringen, manchen werden sie dennoch wie ein Stein im Bauch liegen.
Hundert Jahre nach den Schaubuden erfreuen sich die Menschen in hochmodernen Ausstellungen an hygienisch und appetitlich zubereiteten Präsentationen des körperlichen Innenlebens ihrer Spezies, den sogenannten Plastifizierungen. Bis Psychifizierungen erfunden werden, müssen die Schauspieler Helmut Wiesinger, Christine Jirku, Michael Scherff, Lisa Weidenmüller sowie Nadine Zeindl weiter knietief in den Untiefen der menschlichen Psyche waten und brauchen vor allem ein gesundes Organ: Einen guten Magen.
LitGes, im Jänner 2015