Thomas Northoff: Nein Eleven. Rez.: H.M.Käfer

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H.M. Käfer
Drei Mal

Thomas Northoff:
Nein Eleven
Entwurf Nach Der Wirklichkeit
Reihe Lyrik der Gegenwart,
2015. 180S.
ISBN 978-3-902864-42-0

Drei Mal bin ich bei diesem Buch des Lyrikers und weit über die Grenzen hinaus bekannten Graffitiforschers Northoff wie an eine Wand angelaufen. Beim vierten Mal entwickelte sich ein Sog, ein Lesetempo, das Buch wurde zum Rap, zum hämmernden Stakkato und plötzlich war alles verständlich. Zwei Stunden poltern die Wörter in eigenwilligen Rhythmen, als wär da ein Schlagzeug, das den Takt angibt. Es sind keine angenehmen Inhalte, es geht um die bekannten Attentate vor fünfzehn Jahren und deren nicht minder schreckliche Folgen, wenngleich das Buch die anhaltende Destabilisierung nicht mehr behandelt. Wort für Wort ohne Zutaten, ohne Beiwerk, ohne den beliebten Sprachschmuck, ohne die Verbindlichkeit zwischen den Elementen. Ein Sprachgerüst wie die abgebrannten Türme, ein Sprachskelett, skelettierte Phrase, Begriffe, jeder für sich wie Knoten im Teppich, kein falscher Zusammenhang durch eine glättende, scheinbar sinnstiftende Syntax, aber das Muster ist erkennbar. Liebhaber der Paradiesjungfrauen, das wiederholt sich, Liebhaber der Paradiesjungfrauen und Massenvernichtungsmittel, Massenvernichtungswaffen, das hämmert, das verkommt so verkürzt zum Bombardement lang bevor die echten Bomben fallen, erinnert an das Wortbombardement, das uns, bevor die Bomben fielen, ihren Einsatz akzeptieren, wenn nicht gar gutheißen machen sollte. Auf schauerliche Weise kommen die Verse aber doch an die Gegenwart heran. Mit einem Schock endet das aus fünf Teilen zusammengesetzte Langgedicht; ‘Leichenschauhaus / abgeschnitten / Kopf Sohn / identifiziert. / Seitdem stumm, / fällt epileptisch. / Psychopharmaka/ teuer. Wer sich nicht ein Bild machen möchte, das ohnedies immer fragwürdig bleiben wird, sondern bereit ist, sich zu konfrontieren mit dem Hegemoniewahnsinn einer Weltordnungsmacht, dessen Folge zu Zigtausenden an unsere Grenzen gespült werden, ist mit NEIN ELEVEN gut beraten.

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