Verónica Gerber Bicecci: Leere Menge

Florian Müller

Verónica Gerber Bicecci:
Leere Menge

Aus dem mexikanischen
Spanisch von Birgit Weilguny
Augsburg: MaroVerlag
224 Seiten, 2024
ISBN 978-3-87512-671-6

Erfolgreiche Geometrie des Scheiterns. Nach dem Ende der Shoah rang Paul Celan nach einer Sprache, um dem Unbeschreiblichen Worte zu geben. Rund 30 Jahre nach ihrem erlittenen Trauma gelingt Verónica Gerber Bicecci, die sich als schreibende bildende Künstlerin sieht, ein Experiment in einer vollkommen neuen Sprache, die nicht nur aus Worten besteht. „Leere Menge“ ist das Zusammenwirken einer klaren und einfachen Prosa, Zeichnungen und Korrespondenzen, die teilweise in einer Geheimsprache abgefasst sind. Dabei sind die geometrisch dargestellten Beziehungen und Nicht-Beziehungen keine Illustrationen des Textes, sondern Teil der Handlung. Und sie sind zum Scheitern verurteilt.
In dem autofiktionalen Roman sucht die in Mexiko lebenden Kunst-Studentin Verónica am Ende einer Beziehung nach Antworten auf das Verschwinden ihrer Mutter in der argentinischen Militärdiktatur. 30.000 Menschen wurden zwischen 1976 und 1983 von der Junta verschleppt und ermordet. Somit bildet die persönliche Geschichte das kollektive Schicksal der argentinischen Diaspora im mexikanischen Exil ab.
Die Texte sind voller schöner Bilder: Die Stiege, die ins Nichts führt, das Teleskop, das auf Menschen gerichtet wird, die Wohnung als Bunker, in der Dinge wandern, während die Zeit stillsteht. Übersetzerin Birgit Weilguny scheut bei ihrem „Herzensprojekt“ keine Herausforderung, um dem literarischen Experiment im stetigen Dialog mit der Autorin selbst in der deutschen Übersetzung zum Erfolg zu verhelfen. Absolut berechtigt freut sich das Buch über mehrere Auflagen, den Preis der Hotlist 2023 oder die Shortlist des Internationalen Literaturpreises.
„Tatsächlich fand ich keine Lösung“, beschreibt die Autorin im Nachwort den Prozess des über viele Jahre und Etappen des entstandenen Werkes. Aber gerade das macht den Reiz aus. Denn wie heißt es an anderer Stelle so schön: „Und wenn es weder anfängt noch endet, was dann?“

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