Philosophicum Lech Sept. 2018

Die Hölle, Kulturen des Unerträglichen

Weit über 600 Teilnehmer aus nah und fern fanden sich Ende September wieder beim Philosophicum Lech in dem bekannten Wintersportort in der Neuen Kirche, dem Austragungsort des Symposions, ein. Letztes Jahr 2017 war Mut zur Faulheit Thema, heuer Die Hölle und ab 25.9.2019, beim 23. Philosophicum wird es heißen: Die Werte der Wenigen. Eliten und Demokratie. (Anmeldung ab April www.philosophicum.com)

Friedrich Hebbel (1813-1363) meinte lakonisch „Alle edlen Menschen gehen durch die Hölle des Lebens, die anderenstehen davor und wärmen sich die Hände”. - Soweit der Trost für uns Edlen!

Als Denkende, vielleicht auch edel Denkende, heißt es allerdings zu handeln, falls wir die Worte Dante Alighieris (1265-1321) an uns heran lassen: „Der heißeste Platz der Hölle ist für jene bestimmt, die in Zeiten der Krise neutral bleiben.” Die Ausrede a la Sartre. „L`enfer, cést les autres. - Die Hölle, das sind die anderen!” gilt nicht, denn er meinte in seinem Drei-Personen-Stück keine Lebenden, sondern Tote, die sich im geschlossenen Raum gegenseitig das Sein, das Tot-Sein – nicht das Leben - zur Hölle machen. Dies dachte er als ein pädagogisch wertvolles Abschreck-Stück!

Genauso sollten seit je her, die expliziten, grauslichen Vorführungen der Bestrafung der Sünder, seien sie bildhaft oder schriftlich – noch besser wirksam in Form der gesprochenen Predigt –, vorm Sündigen warnen.

Jedoch: Nicht an die Hölle, die uns vorgeführt wird, glauben wir heutzutage, sondern an das Prinzip Hoffnung! So oder so ähnlich werden die Besucher des 22. Philosophicums dann am Ende der Tagung in Hoher Luft sagen. Denn, die Hölle machen wir uns selbst, so Jörg Baberowski in seinem fundierten Vortrag. Auch Josef Imbach gibt dem Raum der Hölle in der christlichen Kunst seine Bedeutung. Ein Raum ist von vornherein schon anzufüllen - und in diesem Fall mit Schrecken und Qualen, die abschrecken und so quälend sein sollen, dass sie sich in Hirn und Gedächtnis einschreiben sollen. Die Hölle ist menschlich, das Paradies ist es nicht, so Baberowski. Er zitiert Nietzsche: „Man brennt etwas ein, damit es im Gedächtnis bleibt. Nur was nicht aufhört, weh zu tun, bleibt im Gedächtnis.” Ein gewitzter Mitteleuropäer entkommt den schmerzenden Höllen- oder Fegefeuern. In Mozarts Zauberflöte singt z.B. Pamina: wir wandelten durch Feuergluten / bekämpften mutig die Gefahr”. Aber es hat halt nicht jeder eine Zauberflöte mit! Der Vortragende Manfred Koch braucht die grausigen, zerfleischenden Teufelsmonster aus Dantes „Divina Commedia” gar nicht anschaulich machen. Denn ein gelernter Christ, wie auch ein agnostischer/nihilistischer Philosoph, kennen diese Höllenkreise. Warum sei Dantes Inferno dann werks- und wirkungsgeschichtlich trotzdem interessant?, fragt Manfred Koch in seinem Vortrag und antwortet sogleich: „Weil alles drinnen ist, was das menschliche Leben ausmacht. Von ergreifender Liebe, psychischer Verwirrung, religiöser Inbrunst, philosophischem Ernst..“. Außerdem ist diese Höllenwelt der Toten ein Spiegel für die Kämpfe der Mächtigen oberirdisch. In seiner Eröffnungsrede hatte der Initiator des Philosophicums, Konrad Paul Liessmann am 20.9. bereits gemeint:
die Hölle gehe durchaus mit der Zeit und antwortet auf jene Vergehen, die etwa in der Antike und ihre Unterwelt nicht kannten. Z.B. das Verbreiten von Fake-News muss geahndet werden. In heutigen Zeiten geht es ja vielfach um die Ortung von Fake- News. Ein Schulfach sollte dem Abhilfe schaffen, meinte Bernhard Pörksen aus Tübingen in seinem Vortrag: „Nackte Helden. Vom Terror der Sichtbarkeit - Autoritätsverlust im digitalen Zeitalter”. Natürlich gab es vor Dante und nach der Antike genauso die lustvolle Schilderung der Höllenqualen. In der Petrusapokalypse, entstanden zwischen 120 und150 in Ägypten wird die Finsternis und Strafe der Gottesferne geschildert. Es soll die Gerechtigkeit Gottes gepriesen werden - so Josef Imbach in seinem Vortrag - und doch stet die gehässige Vergeltung und Rache derjenigen zur Debatte, die sich schuld- und sündelos glaubten. Schadenfreude und die Möglichkeit nackte Haut zeigen zu dürfen, mag an der Entstehung großen Anteil gehabt haben.  

Aber im Prinzip ist ja Hölle nicht für uns Menschen! Bereits Ludwig Wittgenstein meinte 1931: „Im Christentum sagt der liebe Gott gleichsam zu den Menschen: spielt nicht Tragödie, das heißt Himmel und Hölle auf Erden. Himmel und Hölle habe ich mir vorbehalten.“

Die Hölle will niemand und doch bereiten wir uns sie, sei es in der Familie, durch Gewalt oder zu enge Berührungspunkte. Adelheid Kastner, Leiterin der Klinik für Psychiatrie mit forensischem Schwerpunkt in Linz hatte den Fall Josef Fritzl und die Missbrauchsfälle im Stift Kremsmünster begutachtet. Sie führt anschaulich zwei ihrer Fälle vor und zeigt, wie im Affekt gemordet werden kann, wenn sich allzu lange Not und Leid aufgestaut hat oder wie Beleidigung und auswegloses Zur-Seite-Geschoben-Werden gewalttätig machen kann. Das Ausweglose war schon stets ein grundlegendes Merkmal der gespürten Zwischenmenschlichen-Hölle auf Erden. In der Familienhölle - Die Tücken der Blutsbande, so der Titel des Vortrages von Barbara Bleisch geht es um bekannte Phänomene der Familienstruktur. Das Nicht-Entrinnen-Können oder Schuld-und vermeintliche Pflicht-Gedanken können zum Desaster führen. Jedoch bringen Familienbande auch Vertrauensvorschuss, bedingungslose Anerkennung und im besten Fall sogar Liebe für das Familienmitglied. Und wir sind ja keine Inseln, sondern soziale Subjekte und die brauchen Zuneigung, Bestätigung und Aufmerksamkeit, auch wenn wir keine Narzissten sind! Oft gibt es im Leben ein Desaster und auf dem Weg der Ausweglosigkeit oder Schwachheit stürzt sich so mancher in die Sucht.

Reinhard Haller, Psychiater, Neurologe und Psychotherapeut aus Feldkirch referiert zu diesem Thema:. „Vom Himmel des Rausches zur Hölle der Sucht“. Rausch und Sucht sieht er als ein Modell des Zusammenspiels, der Zusammengehörigkeit von elysischem Glück und quälendem Siechsein. Die Pole limitieren sich durch den jeweils anderen. Für ihn ist Sucht ein Versuch einer Selbstheilung, einer „Selbstmedikation“ des Abhängigen. Allerdings eine gründlich danebengehende. „Statt zur positiven Entrückung kommt es zur pathologischen Verrückung, schon gar nicht zur Entzückung, sondern zum Horror“, meinte Haller. Das eigentliche Wesen der Sucht würde im zunehmenden Dominieren des Suchtverhaltens sowie im parallel dazu entstehenden Autonomieverlust des konsumierenden Individuums liegen. Eine Hölle, der man durch Entzug vielleicht entkommen möchte. Allerdings entwickelt sich für Patient/in wie Betreuer/in dann der Entzug zur vielleicht noch größeren Hölle. Man sollte den Rausch domestizieren – oder wie schon der griechische Philosoph der Antike Platon meinte, ginge es darum: „in der Befriedigung seiner Begierden Herr seiner selbst zu bleiben“.

Reinhard Haller ist hier Experte. Seine Werke: (Un)glück der Sucht. Wie sie ihre Abhängigkeit besiegen 2007; Das psychiatrische Gutachten 2008; Das ganz normale Böse 2009; Die Narzissmusfalle: Anleitung zur Menschen- und Selbstkenntnis 2013; Die Macht der Kränkung 2015; Nie mehr süchtig sein - Leben in Balance 2017. Interessant ist, dass aus dem Nahen Osten die Ursprünge des Alkohols oder andere Rauschsubstanzen kommen. So wurden die ältesten Reste einer Brauerei in einer Höhle südlich von Haifa, rund 13.ooo Jahre alt. Natürlich wurde das bierähnliche Getränk zu Ehren der Götter getrunken. Die Höhle diente in der Kultur des Natufien (12.500 - 10.000 vor Christus) als Grabstätte. Es war die Zeit der Sesshaftwerdung. Der spätere Dionysos-Kult zeugt ja auch von halluzinatorischen Substanzen.

Rauschmittel sind also Speisen der Götter und wurden oder sollte man sagen - werden - als Elixier des Himmels beschrieben, Himmel und Hölle gibt es natürlich auch im Islam. Allerdings werden in dieser Religion die Freuden des Himmels etwas öfter und ausführlicher geschildert als im Christentum. Die Salafiten sind für ihre grauenhaften Schilderungen der Höllenqualen berüchtigt. - Jedenfalls haben wir in Mitteleuropa seit der späten Renaissance die Schilderungen der Höllenqualen nicht mehr so präsent. Womit der Kreis der intensiven Höllenschilderung sich im Heute schließt.

Mit Oscar Wilde (1854-1900) wäre noch zu bemerken: „Jeder von uns ist sein eigener Teufel, und wir machen uns diese Welt zur Hölle.”

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