Eva Riebler
Traum-Phantasien
„Dieses sterbliche Leben ist dem Traum sehr ähnlich. Wie diejenigen, die schlafen, haben wir tausend eingebildete Wahnvorstellungen. Menschliches Leben, was anderes bist Du als täuschender Schein, als ein unablässiger Albtraum. Alle Dinge, die wir mit Gier suchen, sind nur Schatten und Schein von Gütern. Ich stelle mir vor, dass die Seelen im Himmel wie in der Hölle, wenn sie nach einer gewissen Zeit an dieses Leben zurückdenken, den Eindruck haben werden, dass es insgesamt nur ein Traum war.“, meinte Thomás de Villanueva (1488-1555).
So sieht es wohl der berühmte spanische Dichter Calderón de la Barca (1600-1681 Madrid), der in seinem Schauspiel Das Leben ist ein Traum – La vida es sueno (Aufführung Werkstattbühne Landestheater St. Pölten, Premiere 20.04.12) zeigt Calderón durch eine kurze Episode, in der der Königssohn versuchsweise regieren darf, der dies jedoch für einen Traum hält, dass er lernfähig ist. So hilft das Austoben in einem scheinbaren Traum, sich schlussendlich zu läutern und zum verantwortungsvollen Regenten zu werden. In vielen Nachdichtungen, wie in Der Turm von Hugo von Hofmannsthal oder der Oper Sigismondo von Rossini und Grillparzers Traum ein Leben (1840) haben die Träume ähnliche heilsame Effekte. Die bloß geträumte Mordtat Rustans, begangen am Mann vom Felsen, bewahrt ihn vor den Konsequenzen und das Aufwachen erleichtert ihm eine geplante Heirat sowie das Zufriedensein im Hier und Jetzt. Eine Welt des Scheins wird im Traum aufgebaut und das Verlassen dieser bringt ihn der Welt und der Wahrheit des Seins einen Schritt näher.
Parallel dazu hat August Strindberg (1849-1812 Stockholm) in seinem Traumspiel versucht, „die unzusammenhängende, aber scheinbar logische Form des Traumes nachzubilden. Alles kann geschehen, alles ist möglich und wahrscheinlich. Die Gesetze von Raum und Zeit sind aufgehoben; die Wirklichkeit steuert nur eine geringfügige Grundlage bei, auf der die Phantasie weiter schafft und neue Muster webt: ein Gemisch von Erinnerungen, Erlebnissen, freien Erfindungen, Ungereimtheiten und Improvisationen.“, so verteidigt Strindberg sein neues - für die damalige Zeit - kühnes, bereits surrealistisches Werk. Er hat außerdem Anklänge an spätere Protagonisten Kafkas geschaffen, indem er eine Figur einführt, die nie ankommt, die nie ans Ziel gelangt und stets von neuem beginnen muss.
Arthur Schnitzler (1862-1931) schrieb 1926 seine Traumnovelle und sah ebenfalls in der Erkenntnis des Traumes das Glück der Gegenwart. Er unterscheidet die traumhafte Wirklichkeit (die z.B. der Ehemann auslebt) vom wirklichkeitsnahen Traum (der Ehefrau) und zeigt, dass beide in ihrer Traumrealität überwunden gehören, da sie eben nicht real sind, sondern dem Reich der Versuchung angehören. Die Seele hat die Möglichkeit sich auszuleben. Die Erkenntnis, dass die Seele breitere Möglichkeiten als das Leben hat, führt das Ehepaar in Schnitzlers psychologischer Erzählung wiederum zur Harmonie ihres Zusammenlebens.
Kein Geringerer als der Zeitgenosse Siegmund Freud war ergriffen von diesen Wahrheiten in Schnitzlers Traumnovelle. Es sei das dichterische Pendant zu Freuds Lehre, in der ja der individuelle Konfliktfall durch bewusstmachende Analyse geheilt werden kann.
Das Leben mit dem Traum zu vergleichen oder die Konturen zwischen beiden verschwimmen zu lassen, war bereits Franz Kafkas Spezialität. Wir wünschen Gregor Samsa aus Die Verwandlung wie dem Protagonisten Josef K. aus Der Prozess, dass sie bloß geträumt hätten. Genauso albtraumartig sind die Arbeitsbedingungen der Zirkusreiterin Kafkas aus Auf der Galerie gelagert. Leider gibt es hier kein Aufwachen, keine Traumanalyse als Schritt zur Bewältigung, wie es Freud propagierte.
Der Mensch ist sich klar, dass es Träume gibt. Und um sich das zu beweisen, träumt er meist von dem, was ihn beinahe ereilte oder noch ereilen könnte. Vom Glück eher weniger, dafür darf’s ein bisschen mehr vom Unglück sein. Deuten will er beides, schließlich will man nicht ohnmächtig sondern mächtig sein; mächtig im und auch gegenüber seinem eigenen Traum. Hat Sie dieses „nicht vom Fleck kommen“ in Ihren Träumen nie gestört? Mich so sehr, dass ich beschlossen habe, nicht mehr zu träumen. Herausgekommen ist wohl eher das „Nicht-Mehr-Erinnern“! Mein Gedächtnis liefert nicht mehr. Vielleicht will es mich ja schonen. Jedoch bloß Tagesreste zu träumen, ist phantasielos wie ewiges Wiederkäuen.
Besuchen uns vielleicht Albträume im Schlaf, damit sie niemals Realität werden? Da ist es wiedermal besser nicht zu träumen! Außer der Traum ist ein Anstatt-Traum, der zur Abwendung dessen, was nicht geschehen soll. Trauminhalt als Vermeidung, davon können wir mal träumen! Das Abwenden von unerwünschten Dingen funktioniert doch eher mittels gezielter Handlungen. Und da erweisen wir uns nicht immer als Souverän, als Frau und Herr über Theorie und Praxis! Meist halten wir es inniger mit der Phantasie und streben diese Wirklichkeit werden zu lassen oder leben in der Phantasiewelt, um die nackten Tatsachen des Berufs- oder Privatlebens zu kaschieren und um so nicht konkrete Enttäuschungen klar erkennen und schmerzende Konsequenzen ziehen zu müssen. „Wird scho wieda guat“, ist nett aber nicht wirklich hilfreich, genauso wenig wie der Blick in die Flasche oder das Ausleben als Sucht, der Sucht anstatt.
Die Phantasien lassen sich zügeln oder gängeln, der echte Traum ja wohl nicht. Er bringt Botschaften, speist sich aus den tiefen Schichten der menschlichen Seele oder dem kollektiven Unbewussten, aus dem er dann teilweise ins Bewusstsein des Alltags sickert. Oft wird oder wurde er als Versprechen oder wie ein Glaubensphänomen gesehen.
Jedoch gilt: Nicht jeder Traum holt einen ein, oft sind sie ja nur Schaum. Meist jedoch Ventil, sei es das Ventil der Ohnmacht.
In unserer „zügellosen“ Epoche, träumen viele vom Ausleben ihrer Träume. Jedoch zu träumen, ist heute meist zu wenig und durch den Wegfall vieler Grenzen, sei es der des Traumes oder des sittlichen Benehmens, tritt viel in die Realität des Alltages, was früher der vielleicht verschleierten Welt des Traumes vorbehalten war.
Sexuelle Phantasien werden nicht mehr ins Reich der Träume verwiesen, werden ausgelebt und bilden manchen ein Zeichen von persönlicher Freiheit. Uns als Staatsbürger würde es genügen, wenn die pekuniären Phantasien so mancher Politiker in Traumsequenzen gefangen wären!
LitGes, etcetera Nr. 48/ Traum/ Mai 2012 mehr...