Bernd Damovsky
KUNST DER VERGÄNGLICHKEIT
Seit 19 Jahren verbindet Batya Horn in einer kleinen Seitengasse - der Salvatorgasse 10 - in der Wiener Innenstadt Literatur, Bildende Kunst und Musik in ihrer Edition Splitter und Galerie Splitter Art. Bücher, Lesungen, Ausstellungen und Musikveranstaltungen fügen sich hier zu einer natürlichen Symbiose. Es ist das Lesen, das Schauen und Hören, diese Gleichzeitigkeit an Sinneswahrnehmungen, die Ingrid Reichel immer wieder in diese kleine Galerie im 1. Bezirk, am Rande allen Trubels, der VIPs, Jetsetter und Adabeis führt.
Der deutsche Bühnen- und Kostümbildner Bernd Damovsky vereint nicht nur in seinem Beruf, sondern auch als Mensch und Künstler die Kriterien der Sprache, der Musik und des Bildes. Seine bildnerischen Arbeiten wurden erstmals in Österreich ausgestellt.*
Zur Ausstellungseröffnung am 06.12.09 kam Bernd Damovsky am Vortag aus Berlin angeflogen. Mitten in den letzten Vorbereitungen sprach Ingrid Reichel mit dem außergewöhnlichen Künstler in der Galerie. Keine Atmosphäre der Hektik, sondern der Gemütlichkeit, der Besinnung erfüllte den noch nicht ganz fertigen Ausstellungsraum.
Dennoch, leicht macht es einem der sich selbst „ Sonntagsmaler“ nennende Damovsky nicht. Seit 2003 ist die Bühne der Deutschen Oper Berlin sein Berufsfeld. Privat drückt er sich künstlerisch ganz anders aus. An der Wand sechs Ölbilder. „Logbilder. Flüchtige Kartographie von Sehwegen“ von satten Farben und virtuosem Pinselstrich ergeben aus der Abstraktion eine Flut an Informationen für den Betrachter und ermöglichen ihm, seine eigene bildnerische „Wahrheit“ zu sehen. Verzerrte Figuren ringen mit Grimassen, schweben in einem luftleeren Raum. El Greco- und Bacon-Erscheinungen, Himmel und Hölle, Antike und Christentum kämpfen um ihre Existenz. Am Boden: mutwillig aufgelegte, gesammelte, kartonierte „kleine graphische s/w-Momentaufnahmen, in denen sich oft minimale Bewegungen,`“ Kopf- und Muskelreflexe“, in zeichenhafte Bildsprache übersetzen“. Welche Diskrepanzen sich von einer großen Bühne zu einer kleinen Ausstellungsfläche ergeben, welche Gedankengänge und welche privaten Anliegen damit verknüpft sind, dem ging Ingrid Reichel nach.
Das Bühnenbild ist eine Form von Kunst, die aber nach dem Stück wieder abgebaut, möglicherweise auch zerstört wird.
Es gibt Häuser, wie die Deutsche Oper Berlin, in denen Stücke seit 30 Jahren auf dem Spielplan stehen. Wir haben da noch Bühnendekorationen aus den 60ern. An einem normalen Stadttheater ist es so: Wenn ein Stück zwei Spielzeiten überlebt, ist es schon viel. Dann sind sie aber auch 30-mal gespielt worden. Es gibt aber auch Uraufführungen, die werden nur 4-mal gespielt, werden abgesetzt und wieder verschrottet.
Aber immerhin wird es dokumentiert.
Heutzutage gibt es Videoaufnahmen. Falls man das Stück wieder aufnehmen möchte oder für eine mögliche Fernsehübertragung. Aber sonst ist es eigentlich nicht üblich. Da guckt man als Bühnenbildner dann manchmal zu, wie seine Arbeiten zerkloppt werden und im Container landen.
Menschen fragen immer wieder: Tut das nicht weh, wenn zuerst etwas geschaffen und anschließend wieder zerstört wird?
Ich habe damit kein Problem. Ich habe auch von mir selber viele Sachen zerstört, verbrannt und habe dann gedacht: Hebe die Asche wenigstens auf. Habe ich auch gemacht und dann gedacht, wirkliche Größe ist, die Asche auch noch wegzuwerfen.
Sie haben in Stuttgart Bildhauerei bei Rudolf Hoflehner studiert. Wie kommt man da zur Bühne?
Ich wollte anfänglich auch Bühnenbild studieren. Doch aus verschiedenen Gründen habe ich mich für Bildhauerei entschieden. Eigentlich interessierte ich mich damals schon mehr für Aktionskunst. Ich habe einen Steinbruch gemietet, wo ich mit einem Vorschlaghammer immer nur auf die Steine gehauen habe. Das war für mich damals „Kunst nach 1945“. Man hat sich halt als Student der 70er Jahre eher an Künstlern wie Marcel Duchamp & Co orientiert. Angesagt waren Happenings und Aktionskunst. Der große Oberkünstler war für mich Josef Beuys.
Warum sind sie nicht zu Beuys gegangen?
Ich glaube der hatte damals schon zu lehren aufgehört. 1975 war ich auf der “Documenta“, da hatte Beuys gerade diese 100 - Tage Akademie abgehalten. Damals habe ich einen Tesa-Film über ihn gedreht. Ich habe mir aus Tesa-Rollen eine Kamera gebaut und bin damit durch die Akademie gegangen und habe ihn „gefilmt“. Immer noch stolz bin ich darauf, dass der Meister, als er das sah, inne hielt, aufhörte zu reden und milde vor sich hinlächelte, bevor er seinen Vortrag fortsetzte. Das war für mich eine Art Initiationserlebnis. Natürlich habe ich auch brav am Aktzeichnen teilgenommen, was zum Bildhauerstudium gehörte.
Kommen wir zurück zur Vergänglichkeit, bzw. zur Kunst, die nicht für die Ewigkeit geschaffen ist. Ist das nun eine Frage des Gegenwartsbezuges oder war Kunst noch nie für die Ewigkeit da?
Ich glaube schon, dass klassische Bildhauer, die in Stein arbeiten, sich ein Material aussuchen, welches zumindest sie überlebt. Gestern habe ich einen Filmbericht über Stonehenge gesehen, wo man versuchte zu rekonstruieren, wie diese riesigen Menhire überhaupt errichtet werden konnten. Es wurde auch probiert, sie mit heutigen Werkzeugen zu bearbeiten. Das hat nicht funktioniert. Ich finde es faszinierend, dass die großen Steinplastiken der Megalithkulturen der Wissenschaft heute noch solche Rätsel aufgeben.
Haben Sie sich die Ölmalerei ausgesucht, damit sie Sie überlebt?
Nein.
Warum haben Sie dann Öl genommen?
Ich dachte: Wenn schon Farbe, dann Öl, weil die Ölfarbe eine stärkere Leuchtkraft hat als z.B. Acryl. Farbe ist für mich etwas sehr Rätselhaftes. Malen ist ein sehr intimer Vorgang zwischen Augen, Kopf, Bauch, Farbe, Pinsel oder Finger und der Leinwand. Da ist kein Stück dazwischen, keine große Bühne. Am Malen interessiert mich hauptsächlich der Prozess und nicht so sehr das Ergebnis.
Francis Bacon hat das einmal sehr schön beschrieben.
Francis Bacon ist ein gutes Stichwort. Als das Buch von David Sylvester mit Bacon`s Interviews** damals in den 70ern herauskam, habe ich es wie viele andere verschlungen. Es war eine Sensation. Nachdem es lange vergriffen war, ist es, glaube ich, wieder neu aufgelegt worden. Es ist immer noch aktuell und spannend.
Ich fand interessant, wie jemand den Arbeitsprozess beim Malen als aufregenden, ja erotischen Vorgang beschreibt. Natürlich muss man auch dabei verzweifeln können. Anders als bei der Arbeit an einer Plastik aus Holz oder Stein kann man ein Bild aber jederzeit übermalen. Ich habe meine Bilder oft übermalt und dann hat meine Frau gesagt: „Um Gottes Willen, das war gerade so schön, und jetzt hast du es kaputt gemacht!“ Aber das fand ich nicht.
Wie ist das: Hat man früher von vorne bis hinten geplant? Oder ist die Behauptung: Künstler wüssten genau, wie das Endresultat eines Gemäldes ausschaut, ein Märchen? Ich frage, wenn es wirklich Kunst ist - und nicht irgendein Produkt der Vermarktung - kann es da überhaupt sein, dass der Künstler es fix in seinem Kopf haben will? Ist es nicht die Entwicklung, die den Anreiz gibt? Mit den eigenen Launen bekommt das Werk doch erst eine eigene Dynamik … und wird nicht starr.
Die Kommunikation zwischen Maler und Bild ist für mich das Reizvolle am Malen. Aber nicht unbedingt das Endergebnis. Es ist ja auch immer die Frage: Wann ist das Bild fertig? Es ist ein unbewusster Vorgang mit vielen Nebenaspekten, oft schwer in Worte zu fassen. Im Gegensatz dazu ist die Arbeit an einem Bühnenbild ein ganz anderer Vorgang, der strengen Gesetzen unterliegt. Da gibt es den Text des Stückes und die Musik, an denen man sich reiben muss, und die in Bilder umzusetzen sind. Beim Malen hingegen befindet man sich im offenen Raum, in einer Art Schwebezustand. Das kann sehr befreiend sein, aber auch beängstigend.
Doch sie entwerfen nach konkreten Gesichtspunkten. Sie haben vielleicht keine genaue Vorstellung. Da gibt es die Unschlüssigkeit der Betitelung der Werke. Sie haben vor der Aufzeichnung des Gesprächs von dieser Pinwand als Memento und Assoziationsstütze bei der Bühnenarbeit gesprochen. Die haben Sie ja auch beim Malen im Kopf.
Als Hinweis auf diese geistige Pinwand, die ich in diesem Fall von der Wand auf den Fußboden verlegt habe, bilden die auf Karton aufgezogenen SW-Fotografien eine Art Distanz oder Irritationszone. Obwohl der ganze Krempel, der sich im Kopf befindet und immer mitschwingt, einerseits anregt und etwas auslöst, andererseits auch blockiert und behindert, bekommt das Bild ein Eigenleben. Es soll auf keinen Fall die Illustration eines Themas sein. Gemälde sind etwas Organisches, wie Lebewesen. Jedes Bild ist eine Expedition in ein unbekanntes Land. Man begibt sich auf eine Reise, die in dem Bild festgehalten wird, und daraus entsteht etwas wie ein Logbuch.
Was bedeutet der Übertitel ihrer Ausstellung „Schweigendes Betreten“?
Es gibt ja das „Betretene Schweigen“. Natürlich hat das mit meiner Geschichte zu tun. Auf der Bühne wird gesprochen und gesungen, die Dinge werden verbal geäußert. Malen kann ich in der Stille.
Ein Bild kann schweigen, sich im Schweigen mitteilen. Es gibt Farben und Formen, aber keine Texte, keine Geschwätzigkeit. Im Grunde ist auch ein Bildtitel schon wieder eine Verbalisierung. Andererseits, wenn der Titel es schafft, Assoziationen zu erzeugen, die den Betrachter einladen, seine eigenen Phantasien einzubringen, ist eine zusätzliche Ebene gewonnen. Es gibt auch Künstler, die sich speziell des Textes in ihren Bildern bedienen. Ich denke z.B. an Anselm Kiefer oder Cy Twombly.
Auch für mich sind die mythologischen Erzählungen, die ja den großen Theaterstücken und Opern zugrunde liegen, Fundus und Inspiration. In meinen malerischen Arbeiten interessiert mich aber weniger deren Interpretation als die großen stummen Rätsel, die sie beschreiben, und die hoffentlich nie gelöst werden.
Dann tragen Sie ja zur Ewigkeit doch bei...
Mich fasziniert nicht die Ewigkeit, sondern die Vergänglichkeit. Die Naturprozesse. Das, was wächst, verwelkt, stirbt und wieder kommt. Der Prozess des Werdens und Vergehens, der vermutlich ewig ist. Ich glaube, dass es so einen ewigen Zyklus gibt. Was real ist, ist die Angst vor der Vergänglichkeit, vor dem Tod, vor dem Nicht-Mehr-Existieren. Das ist etwas, womit ich mich beim Malen beschäftige. Aber interessanterweise wird die Angst dabei nicht größer, sondern kleiner.
Sehen Sie darin einen Auftrag der Kunst?
Ich glaube, die Kunst hat den Auftrag, das Phänomen der Kreativität zu dokumentieren, das allen Menschen, vielleicht der gesamten Schöpfung eigen ist. Das ist eine gigantische Aufgabe. Vielleicht entdeckt die Menschheit doch eines Tages, dass jeder Mensch ein Künstler ist, zumindest sich kreativ betätigen kann.
Ich denke, das ist ein schönes Schlusswort. Danke für das Gespräch.
*Werkschau und Raum-Installation Bernd Damovsky: 07.12. 09 – 24.02.10 in der Galerie Splitter Art, Salvatorgasse 10/ Fischerstiege, 1010 Wien, www.splitter.co.at
**David Sylvester: Gespräche mit Francis Bacon. Erstauflage, London, 1975; Erweiterte Auflage, München, New York: Prestel, 1997. 220 S. Neuauflage 2009. 80 Farbabb., 116 s/w Abb.. ISBN 3-7913-4272-6
Originalausgabe: David Sylvester: The Brutality of Fact: Interviews with Francis Bacon. Thames & Hudson.
Bernd Damovksy:
Geboren 1953 in Fladungen/Deutschland. Studierte 1972 – 1978 Bildhauerei an der Akademie der Künste in Stuttgart beim österreichischen Staatspreisträger Rudolf Hoflehner. Seit 1984 Bühnen- und Kostümbildner, u. a. in Basel, Berlin, Bremen, Dortmund, München, Köln, Bonn, Freiburg und Hamburg. Zusammenarbeit mit Karl-Ernst Herrmann, Peter Stein, Jürgen Kruse und Claus Peymann sowie mit der Regisseurin und Intendantin Kirsten Harms in Kiel und an der Deutschen Oper Berlin.
Seine enge Zusammenarbeit mit Peter Stein fand ihren Niederschlag unter anderem in der legendären »Orestie« an der Schaubühne am Halleschen Ufer in Berlin. Künstlerisch und ästhetisch prägte er die Intendanzzeit von Kirsten Harms am Theater Kiel (1995–2003) und an der Deutschen Oper Berlin (seit 2003). Er zeichnet für zahlreiche Ausstattungen an namhaften Häusern in Hamburg, München, Freiburg und Dresden verantwortlich. Zuletzt wurde sein Bühnenbild für das Ballett »Krieg und Frieden« (Choreographie: Xin Peng Wang) am Theater Dortmund als »Beste Ausstattung des Jahres 2008« mit dem Kritikerpreis des Landes Nordrhein-Westfalen ausgezeichnet. mehr...