Manfred Deix: Erinnerungen an die 68er. G. Axmann

Manfred Deix
ERINNERUNGEN AN DIE 68er

 

 
Gerhard Axmann, der Layouter von „etcetera“ interviewte seinen langjährigen Freund Manfred Deix. Er öffnete auch seinen Fundus von Zeichnungen in alten Schulheften, die in der gemeinsamen Zeit an der „Graphischen“ um 1968 entstanden sind.

 

 

 

Was hast Du mit Deiner Kunst bewegt?

 

Ich fürchte, gar nichts. Nur habe ich sowieso nie die Illusion gehabt, mit Zeichnungen auch nur einer Kleinigkeit bewegen zu können. Das Einzige, was meine Kunst hoffentlich bewegt hat, war die Zwerchfellmuskulatur der Fans oder eine Anschwellen der Zornesader auf den Stirnen vieler, die meine Bilder hassen.

 

Was hat sich in deiner Zeichenkunst verändert?

 

Da ich bereits als 3-Jähriger gezeichnet habe, glaube ich doch im Lauf der Jahre einige qualitative Fortschritte gemacht zu haben. Man lernt sehr viel, wenn man viel zeichnet, das heißt, man wird besser. Mich trifft heute noch der Schlag, wenn ich mir manche Blätter anschaue, die ich vor 20, 30 Jahren verbrochen habe. Einige davon waren grottenschlecht, andere wieder besser als das, was ich jetzt mache. Von der Technik her, sind meine Bilder malerischer geworden. Anfänglich habe ich kolorierte Federzeichnungen gemacht, stark beeinflusst vom amerikanischen Undergroundzeichner Robert Crumb. Die Technik war mir zu zeitaufwändig, also habe ich auf die pure Aquarelltechnik umgesattelt. Aber das ist Fachchinesisch und interessiert eh niemanden.

 

Erinnerungen an Dein 68er Jahr?

 

1968 bin ich im Februar aus der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt hinaus geworfen worden, weil ich wegen Schulschwänzens zu viele Fehlstunden hatte. Außerdem gab’s einen Wickel mit dem Religionslehrer, weil er eine lustige Jesus-Karikatur von mir entdeckt hat. Von wegen 68er Rebellion: lächerlich. Gottfried Helnwein, heute ein weltweit anerkannter Maler, musste in der selben Schule, die heute prahlt, ihn und mich als Studenten gehabt zu haben, eine Nachprüfung in Turnen machen, um sein Abschlusszeugnis zu kriegen. Verrückt. Ich habe nach meinem Hinauswurf auf der Akademie für Angewandte Kunst inskribiert und bin im Herbst auf die Akademie der Bildenden Künste am Schillerplatz gewechselt, weil’s dort wesentlich lockerer zugegangen ist. In der Graphikklasse war mein Studienkollege und Sitznachbar der heute berüchtigte Drahdiwaberl-Gründer Stefan Weber. Wir sind, ich 19, er 22, wie Volksschüler nebeneinander gesessen, haben gelacht und lustige Bilder gemalt und alle zwei Stunden ist der besoffene Professor vorbeigekommen, hat irgendwas gelallt und ist wieder verschwunden. Zwischendurch hat irgendwer einen Doppelliter Rotwein und ein paar Schweinsstelzen organisiert. So wurde also gegessen, getrunken und Kunst gemacht. Zwei Stunden später hat der Professor noch zwei Doppler spendiert. Der Tag war gerettet und die Kunst sowieso. Erst zwei Jahre später hat in der Akademie die Politik Einzug gehalten. Plötzlich haben gstopfte Söhne und Töchter ihre Zuneigung zur Arbeiterklasse entdeckt und haben rote Vietcong-Fahnen geschwungen. Ich habe mich nie als 68-er verstanden und war bei keiner dieser lächerlichen Demos dabei. Allerdings habe ich den neuen Geist dieser Zeit sehr wohl verstanden und habe die neuen Freiheiten für mich genützt. Plötzlich war viel mehr erlaubt, als früher. Ab 1970 gabs das Magazin Profil und dort konnte ich mich zeichnerisch austoben. Bei aller Kritik an den 68er Bürgerbubis und Mädis: die Bewegung war trotz vieler Fehler sehr wichtig und hat frischen Wind ins Land gebracht, von dem alle profitiert haben. Langhaarige haben vor 68 auf offener Straße Ohrfeigen von wildfremden Leuten bekommen, nachher hat sich das schlagartig geändert.

 

Wie politisch soll Kunst sein?

 

Kunst darf, kann und muss aber überhaupt nicht politisch sein. Kunst darf alles, je nach dem wie dem Künstler/der Künstlerin zu Mute ist. Kunst soll nichts sollen.
Was rätst Du der Jugend von heute?

Also, Jugendliche von heute, ich rate euch folgendes:
Es gibt da viele Bücher von mir, in denen es von Lebensweisheiten und lustigen Bildern nur so wimmelt. Kauft euch diese Bücher, und ihr seid weltanschaulich und intellektuell total aus dem Schneider. Ihr werdet die Welt mit anderen Augen sehen, alles viel klarer erkennen, werdet den Wert der Sprache neu erkennen, das Elixier des Humors als lebenswichtig erkennen und als Deix-Freaks gesellschaftlich höchsten Stellenwert genießen, und das für wenig Geld.

 

Es ist auch ein Buch mit dem Titel „Der Dichter Deix“ erschienen. Warum spielt in deinen Arbeiten der Text immer mehr eine Rolle, ist das weil Du sichtlich Spaß beim Reimen hast?

 

Meine erste Erfahrung mit bildender Kunst waren betextete Bilderbücher, z. B. Max & Moritz von Wilhelm Busch, später dann Comics wie Donald Duck von Carl Barks. Künstler, bei denen Sprache und Bild einander ergänzen. Texte können ein fades Bild total aufwerten und verbessern. Außerdem bereitet es ein Riesenvergnügen, Gedichte zu machen. Ursprünglich hatte ich Riesenrespekt vor dieser Kunstform und ihrer Qualität. Allmählich hab ich mich an die Textkunst herangewagt und bald viel Lob erfahren. Mittlerweile habe ich hunderte Gedichte geschrieben und stelle fest, dass ich den größten Genuss beim Schreiben empfinde. Zeichnen kann ich ja sowieso, aber Schreiben ist aufregendes Neuland.

 

Biografie: Manfred Deix

Geb. 1949 in St. Pölten. 1960 erste Comicstrip-Serie in der „NÖ- Kirchenzeitung“.
1965 Eintritt in die Höhere Graphische Lehr- und Versuchsanstalt, Wien. 1968 Beginn des Studiums an der Akademie der bildenden Künste , Wien. 1972 erste Veröffentlichungen in den Magazinen „profil“, „trend“, „Economy“. 1978 Titelblätter und Zeichnungen für „Stern“, „Spiegel“, „pardon“, „Titanic“, „Playboy“.
1980 erstes von bisher dreizehn Bücher.
1984 Heirat mit Marietta in Las Vegas; erster persönlicher Kontakt mit den „Beach Boys“.
Ausstellungen in Wien, Berlin, Hamburg, Ludwigshafen, Heilbronn, Frankfurt, Hannover, Köflach. Fernsehportraits von ORF, BBC, ZDF, SRG, 3sat.
1988 Verleihung des Nestroy-Ringes der Stadt Wien.
1995 Goldene Schallplatte für die CD „Musik aus Ameriga“ und wöchentliche Cartoons im Magazin „News“.
2005 Goldenes Verdienstzeichen des Landes Wien; Permanentausstellung Deix in the City im Karikaturmuseum Krems.
2006 Buchpreis der Wiener Wirtschaft
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Carl Aigner: Die 68er - eine Kulturrevolution? I. Reichel

Carl Aigner
DIE 68er – EINE KULTURREVOLUTION?

 

 
Ingrid Reichel besuchte Mag. Carl Aigner, den Museumsdirektor im Landesmuseum NÖ am 20. Juni 2008, 10 Uhr.
Ein Gesprächsfragment

 

68? Action!

 

Ich war 14 Jahre alt, als ich die 68er erlebt habe. Am Land. Meine lebhaften Erinnerungen an das 68er-Jahr waren André Heller im Ö3, Jimmy Hendrix, das heraufkommende Woodstock Musikfestival, dass wir sehr viele Kirschen im Garten hatten und ich mich in das erste Mal zu verlieben begann, ein ganz wunderbares Mädchen, ein Jahr älter als ich, ich fühlte mich deshalb wie Marlon Brando, die ersten Kassettenrekorder – das war für uns auf dem Land eine Medienrevolution! – und nicht zu vergessen, der Prager Frühling mit den Durchhalteparolen des damaligen österreichischen Bundespräsidenten aus der Schweiz. Ich war auf einer Alm im Sommer und glaubte, ich würde die Eltern nie mehr wieder sehen, so sah damals österreichische Politik aus. Sehr wenig wusste ich qua Fernsehen über die Studentenrevolte.

 

Ist das nicht prägnant für Österreich?

 

Ja und nein. Ich bin geneigt zu sagen, dass man lange die 68er zu sehr als eine spezielle Revolte gesehen hat. Es war vor allem eine generelle Revolte einer Generation. Das heißt, es hatte auch sehr viel mit Generationenwechsel zu tun.

 

Vom Prinzip her ist es doch so, dass die Revolte in Deutschland ein Zeigen auf die faschistoiden Eltern war mit den extremen Konsequenzen der Terroragitationen der RAF. Bei uns hätten wir dasselbe Thema zu verarbeiten gehabt, doch es ist nichts passiert. In Frankreich war es, abgesehen von der Studentenrebellion, eine politische Aktion der Arbeiterbewegung mit vehementen Streiks.
Es gibt also zwei Aspekte: die eine ist eine politische, die andere möglicherweise eine archaische.

In einem Vortrag „Kunst und Kultur am Ausgang des 20. Jahrhunderts“ (Wiener Vorlesungen 16.April 1997) spricht Hobsbawm von der eigentlichen Kulturrevolution des 20. Jahrhunderts, die sich seiner Ansicht nach in der Reproduktion der Kunst manifestierte.
Im Aktionismus können wir, denke ich, jedoch durch seine Einmaligkeit das Archaische sehen.

 

Wir müssen es breiter sehen. Es kommt mehr zusammen. Ich glaube dieser Antifaschismus mit der Revolution gegen die Generation der Eltern, die alles verdrängt haben, ist nur ein Teil. Deutschland war viel weiter als Österreich und ist schon in den 60er-Jahren eine Konsumgesellschaft geworden – das Wirtschaftswunder Deutschland im Laufe der späteren 50er Jahre. Es war über das Moment des Antifaschismus hinaus, glaub ich, eine ganz wesentliche Werterevolte. Wie es bis heute eigentlich in fast jeder Generation ist. Ich weiß nicht, wie die jüngste Generation ausschaut, aber dass jede Generation, so zu sagen, zu ihrer Wertigkeit finden muss. Wir wissen über viele Forschungen, was einen Teil der Faszination am Hitlerfaschismus ausmachte, dass, was die negative Kraft ausmachte, war die Mischung einerseits des Archaischen und andererseits des absoluten Modernisierungsanspruchs. Das ist die eigentlich unglaublich brisante Mischung, wo die Menschen nicht mehr klar gewusst haben, wo sie sind. Einerseits das Zurückgehen über das Thema des Germanischen ins Ritualleben, das Jahrtausende alt ist, auf der anderen Seite gibt es etwa erstmals das Radio, welch Wunder für die Menschen damals!

Ich habe im Rahmen meines Geschichtsstudiums eine Seminararbeit mit dem Thema „Die Anschlusspropaganda“ gemacht und da habe ich Unterlagen aus dem Dokumentations- und Staatsarchiv gefunden, in denen steht, dass z.B. der Gauleiter Bürckl einen Bericht aus dem Burgenland bekam, dass NS-Soldaten und Offiziere dort Anschlusspropaganda zu Pferd machen, worauf sofort diktatorisch ein NS-Befehl kommt: „Keiner darf mehr mit dem Pferd, sondern nur mehr mit dem Auto!“. Wenn jemand mit so einem technischen Wunderwerk kommt, ist das eine Faszination, die für uns heute überhaupt nicht mehr nachvollziehbar ist, angesichts unserer Hightech-Lebensrealität.
Die Verführung ist etwas, was immer erst im Nachhinein als solche nachvollziehbar ist! Absicht und Blindheit sind eine bedrohliche Mischung.
Und ich glaube, dass da viel in den 60er Jahren an diese Elterngeneration anschließt, diese konsumistische Gesellschaft, wo keine Wertigkeit mehr stattfindet, sondern Geld und Wirtschaftswachstum zählen. Der Kulturschock des 20. Jahrhunderts geht über die Industrialisierung des 19. Jahrhunderts hinaus, dieser Eintritt in die absolute Moderne ist unausweichlich mit all den Folgen, die wir kennen, verknüpft – der Werteverlust der Gesellschaft, es zählt nur mehr das Haben, das Besitzen. Nicht zufällig schreibt Erich Fromm, später in den 70er Jahren sein unglaubliches Buch „Haben oder Sein“.
Deutschland war in den 60er Jahren nicht nur ein Land, das sich wirtschaftlich wieder gefangen hat und das durch die US. Besatzung stark amerikanisiert war …

 

Auch Österreich war besetzt…

 

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Carl Aigner: Die 68er - eine Kulturrevolution? I. Reichel

Franz Schuh: Literaten und Literaturbetrieb. Eva Riebler

Franz Schuh
LITERATEN UND LITERATURBETRIEB

 

 
Eva Riebler interviewte Franz Schuh bei den Festwochen Gmunden anlässlich seiner Lesung aus seinem zuletzt im Zsolnay Verlag erschienenen Werk: „Memoiren. Ein Interview gegen mich selbst“ Juli 08. Franz Schuh ist der Berater und Mitinitiator bei den nunmehr jährlichen
4-Tages Festen zu Ehren eines Literaten. Im Vorjahr wurde Peter Handke mit Lesungen, philosophisch und literarisch hochkarätig besetzten Diskussionsrunden, Ausstellungen und Filmen geehrt. Heuer begann am 31.07.08 das Viertagefest für Christoph Ransmayr unter der Moderation von Otto Brusatti mit dem Titel „Spielformen des Erzählens“. Franz Schuh war nicht nur der Reisebegleiter Chr. Ransmayrs in Brasilien, sondern auch der Festredner zur Eröffnung des Literaturfestes in Gmunden in der Hipp-Halle.

 

Was verbindet einen Wiener Literaten mit Christoph Ransmayr aus dem Salzkammergut?

 

Ja, was verbindet einen mit einem anderen Menschen? Das ist ungefähr eine so schwierige Frage wie: Was heißt verstehen? Mich verbindet, was alle Menschen mit ihm verbindet, nämlich seine Bücher. Ich lese seine Bücher und ich höre ihn lesen. Im Österreichischen Rundfunk liest er ja gerade die „Die letzte Welt“  – für jedermann, der an Sprache Interesse hat, sind das Exerzitien. Sowohl der Text als auch seine Art, ihn zu lesen.  Walter Benjamin schrieb: Ein Schriftsteller, der die Schriftsteller nichts lehrt, lehrt niemanden. Von Ransmayr kann man viel lernen.

 

Nach Chr. Ransmayr kommt bei den Festwochen Gmunden wie alljährlich Kurt Palm als umtriebiger Quergeist zu Wort. In den letzten Jahren veranstaltete er die Lesungen: Essen mit Kafka/ Stifter/Mozart. Wie sehen Sie die Verbindung zwischen Ransmayr und Kurt Palm?

 

Ja, da fragen Sie den Privatmann, der nicht zuständig ist, über solche Verbindungen Auskunft zu geben. Unzuständig kann ich leicht antworten: So wie es Richard Wagner gibt, so gibt es Jacques Offenbach. Und Offenbach ist ein Genie gerade neben (oder wegen) Wagner. Offenbach und Wagner, das sind getrennte Sphären, aus denen die Kultur im Ganzen besteht. Ransmayr mit diesem Ernst, der hoch intelligent und auch spielerisch ist, und Palm mit diesem Witz und der Kraft der Intervention und seinem Können als Filmregisseur und als Initiator der „Nette Leit Show“. Das sind verschiedene Welten, die in ihrem Widerspiel die Fundamente bilden, auf denen unser kulturelles Treiben, wenn überhaupt, lebendig bleibt.

 

Und wo reihen Sie sich selber als Literat ein?

 

Ich werde mich als Literat nicht selber einreihen und mit anderen vergleichen. Der Vergleich ist eine Methodik, die das erst in die Welt setzt, was sie zu erkunden vorgibt. Außerhalb des Vergleiches wären alle unvergleichlich. Indem ich mich nicht vergleiche, bin ich wenigstens für mich unvergleichlich. Aber einen Vergleich habe ich doch: Ich bin erstaunt, was für eine Vielfalt die Gmundner Festwochen auf die Beine stellen. Das ist eine vernünftige Art, Programm zu machen. Weil man nicht nur sieht, dass man die Leute untereinander vergleichen kann, sondern in manchen Fällen auch, dass es verschiedene Welten sind, die sich gar nicht vergleichen lassen. Und das ist eine große Freude, dass so etwas möglich ist, weil unsere Öffentlichkeit das meiste ja über einen Kamm schert. Und dass es in Wahrheit so viele eigene Öffentlichkeitsformen gibt, die sich nicht über einen Kamm scheren lassen, sieht man bei diesem Festival hier. Und diesbezüglich sind die Gmundner Festwochen dem Geiste näher als die Salzburger Monokultur der Stars.

 

Soll man als Literat eher anecken, provozieren? Soll man der Gesellschaft den Spiegel oder den Hintern zeigen?

 

Das ist etwas, was nicht der Literat tut, sondern was jeder Bürger tut. Auf Grund seiner Staatsbürgerschaft zeigt er einmal den Hintern und ein anderes Mal seine Tränen, seien es auch Krokodilstränen. Es ist mit dem Wort Balzacs die menschliche Komödie – und dazu braucht es keinen Literaten. Für Literaten gibt es ja auch so etwas wie einen Konformismus der Nonkonformisten, eine Art von konformem Zwang, kritisch zu sein, was immer auch kritisch bedeutet. Was wirklich kritisch wäre, das ist in dieser Gesellschaft noch nicht entdeckt. Bei jeder Kritik stellen die konservativen Menschen mit Recht die Frage: Wieso glaubt jemand, der Gedichte schreibt, dass er dem Weltlauf überlegen ist? Wenn jemand Literat ist und einen graden Satz schreiben kann, deswegen weiß er auch noch nicht mehr über den Vietnamkrieg als Kissinger, der mehr über den Krieg verschwieg, als ein Literat über den Krieg wissen konnte.

 

Als Literat hat man momentan mehr Publikum wenn man historisierend schreibt wie Arnold Stadler oder Michael Köhlmeier.

 

Geschichte muss man vom Historisieren unterscheiden. Unter Historisieren verstehe ich die Erzeugung eines Fetisches Vergangenheit; es wird die Vergangenheit zum Fetisch sowie beim Moralisieren die Moral zum Fetisch wird und in keine Praxis, sondern in rhetorische Bekundungen mündet. Ich halte Bücher, die sich mit Geschichte befassen, für die allernotwendigsten, denn wie es bei Marx/Engels heißt: Wir kennen nur eine einzige Wissenschaft, die Wissenschaft der Geschichte. Das lese ich ein wenig ironisch, aber immerhin ist es ein autoritär-dogmatisches Zitat, das bei verschiedenen Konstellationen auf das Richtige hinweist. Geschichte wird mit guten Gründen von den meisten Menschen nicht verstanden: Sie ist eine relativierende Kraft. Geschichte hat auch diesen Doppelcharakter: Sie belastet einerseits die Anstrengungen, die Gegenwart zu verstehen. Wer mit Geschichte aufgeladen ist, sieht nicht, was  aktuell los ist. Auf der anderen Seite, wer nichts von Geschichte versteht, ist blind seiner Gegenwart verhaftet. Bei allen Diskrepanzen kooperieren Herkunft und Zukunft, auch mit der Gegenwart und ihrem Verlauf. Und den Verlauf heraus zu finden, das ist in meiner Lesart der Versuch dieser historischen Bücher.

 

Unsere Zeitschrift hat immer ein vorgegebenes Thema. Das nächste Heft hat den Titel Hinterhalt. Der Hinterhalt kann politisch, wirtschaftlich gesehen werden. Oft belauern wir andere oder uns selbst. Können Sie ein Statement dazu abgeben?

 

Ja, (seufzt) das ist, wie alles, was Sie mich fragen, schwierig! Wenn wir schon eine Mystik des Kämpfens haben, dann ist der Kampf, der offen geführt wird, der lobenswerte. Wenn man die Konflikte einander offen eingesteht und sie auch offen austrägt und wenn man das alles mit der Haltung der Fairness zu verbinden versteht, dann ist es das Lobenswerte. Allein die Verhältnisse sind nicht so. Es gibt Menschen, die nur aus dem Hinterhalt heraus kämpfen, weil sie entweder vermeintlich oder tatsächlich keine Chance haben, einen offenen Kampf zu gewinnen. Kampfpositionen zu veröffentlichen, bedeutet natürlich immer auch einen Nachteil, denn das Wesentliche bei Kämpfen ist, dass man weiß, wer der Feind ist. Wenn der Feind aber im Hinterhalt ist, man ihn nicht sieht oder überhaupt nicht weiß, wer er ist, dann sind die Ahnungslosen im Nachteil. Plötzlich steht man da und sieht, das war der Feind! Zu denken wäre die Freundschaft aus dem Hinterhalt – in dem Sinn, dass plötzlich einer da ist, der sich als Freund erweist, der vordergründig nie einer gewesen ist. Es gibt Menschen, die so getrimmt sind, dass sie ausschließlich im Hinterhalt kämpfen, niemals offen, sodass dies zu ihrer Charaktereigenschaft geworden ist. Das sind die hinterhältigen Menschen. In Ländern oder Gemeinschaften – das würd’ ich riskant behaupten – in unserem Heimatland, wo Offenheit nicht so wichtig ist und der Obrigkeit gegenüber am liebsten hinterrücks oder anonym geübt wird, sind die hinterhältigen Strategien favorisiert. Es gibt aber überall diese Situation und die emotionale Lage, die sich mit Hinterhalt verbindet und verknüpft: das Ressentiment. Ich glaube – und da zitiere mich selbst – dass alle Menschen, außer Arnold Schwarzenegger, bevor er in die Politik ging, Ressentiments haben. Weil man nicht jeden Kampf gewonnen hat, nicht jeden Kampf gewinnen kann und weil nach jedem Kampf, den man verloren hat, eine Wunde bleibt.

 

Trotz seiner Bejahung der Todesstrafe brechen sie eine Lanze für Schwarzenegger?

 

No. Kein Ressentiment zu haben, ist für mich ein Ausdruck von Unempfindlichkeit. Die Todesstrafe aber ist ein Amerikanismus – eine der Barbareien, wie sie in Nationen verankert sind. Wenn man die Todesstrafe angreift, sollte man sich auch Gedanken über österreichische Politikunsitten machen, selbst wenn sie nicht letal ausgehen: Was Haider mit Flüchtlingen aufführt, sind zu Wahlkampfzwecken inszenierte Rechtsverstöße.

 

Und Westenthaler?

 

Na gut, das ist eine unglückliche Person. Im Westenthaler stirbt politisch auch der Strizzi, der es zu etwas gebracht hat. Der Strizzi, der Ingenieur geworden ist, ist politisch gestorben, weil er doch mehr Strizzi war als Ingenieur.

 

Zum Glück gibt es andere Wiener Typen als den Strizzi, so zum Beispiel die altösterreichischen Wiener Mäzenaten und Protektoren. Ohne die wäre die Kunst ärmer gewesen. Was tritt heute an Stelle des Mäzenatentums?

 

Auf die Gefahr hinauf, mich unbeliebt zu machen: Es gibt kein Land, sieht man ab von den nordischen Ländern, vor allem Schweden, wo der Staat sich der Kultur gegenüber so mäzenatenhaft verhält wie der österreichische. Ein deutscher Kritiker schrieb einst angeekelt und zugleich neidig: Wenn ein Österreicher lesen und schreiben kann, bekommt er ein Literaturstipendium. Allerdings ist das Mäzenatentum des Staates so, dass mit irgendeiner geheimen Taktik genau darauf geachtet wird, dass es fürs Leben zu wenig und fürs Sterben zu viel ist. Der Mäzen erzeugt (natürlich nicht bei den reproduzierenden Künstlern und ihrer Umwegrentabilität) „stets ein leichtes Hungergefühl“. Aber wer sich auf eine so genannte Schriftstellerkarriere einlässt, der weiß, dass es in diesem Beruf sagenhafte Hierarchien und Unterschiede gibt; und dass es kein Beruf ist, der einem von Vornherein ein Auskommen garantiert. Natürlich erzeugen die Literaten, die wenig Auskommen haben, das Gefühl, sie wären die eigentlichen, die es verdient hätten, denn je schlechter die Geschäfte, desto größer die Kunst! Der Mainstream verteidigt das Umgekehrte: Je besser die Geschäfte, umso bedeutender die Kunst! Und da es keine bürgerliche Öffentlichkeit gibt (in dem Sinn, dass die Menschen in Massen ein qualifiziertes Urteil haben) ist diese Frage, was denn eigentlich wichtig, „förderungswürdig“ sei, nicht beantwortet. Der Markterfolg ist immerhin ein Kriterium, der eine Antwort gibt, was den Leuten etwas wert ist. Der Staat hilft ganz anständig, entweder jemanden auf die Beine des Markterfolges, oder er hilft, bestimmte verwaiste, schlecht gehende Gattungen (und Autoren) aufrecht zu erhalten. Das ist problematisch, aber was ist nicht problematisch!

 

À propos problematisch. Was sagen Sie zur neuen Wiener Buchmesse, die jährlich im November in vergrößertem Ausmaße nicht mehr nur im Rathaus, sondern im Messegelände stattfinden soll? Hilft hier Staat plus Wirtschaft dem Literaten?

 

Zunächst sagen Sie zu mir zu Recht Literat. Ich bin stolz, einer zu sein. Aber Schriftsteller, Dichter und andere sind keine Literaten, denn der Literat ist eine merkwürdige, auch verhasste Zwischenerscheinung: eine unklare Figur. Davon abgesehen, kann man Ihre Frage leicht beantworten: Für manche wird es nützlich sein und für andere bedeutungslos. Ich habe – gegen die Propaganda des Bachmannpreises – noch nie einen Schriftsteller erlebt, der durch Auftritte im Kulturbetrieb seinen Erfolg gesichert hat. Das geht doch alles über Verlage und Rezensionen. Bei ganz wenigen, die Künstler des Vortrages sind, geht es zusätzlich über den künstlerischen Auftritt, wie z.B. bei Ernst Jandl.

 

Und bei Michael Köhlmeier?

 

Köhlmeier ist ein epischer Autor, der seine Berühmtheit durch den langen Atem seiner Texte hat und nicht durch die kurzweiligen Momente seiner Auftritte, die er hervorragend beherrscht.

 

In der Malerei zählt heute auch vor allem die Performance. Will man überhaupt stets auf seine Wirksamkeit achten?

 

Ja, wir leben auf Erden und nicht im Himmel. Die Erde ist gesellschaftlich organisiert. Die Frage ist, wie existieren – mit diesen Zwängen der Aufmerksamkeit, die nach den Methoden der Werbung stattfinden. Man muss listig genug sein, um die Leser, die in freundlicher Isolation Texte lesen, darauf aufmerksam zu machen, dass da etwas für sie ist. Die Werbestrategien können auch Spaß machen! Leute wie Enzensberger beherrschen das fröhliche Marketing. Man muss nicht kulturpessimistisch verzweifeln. Man kann spielend mit der Werbung umgehen. Das ist ja eine Bühne! Man muss listig genug sein, den Gehalt seiner Sache in diesem Wirbel zu präsentieren und zu etablieren. Außerdem, wenn man nur Werbung kann, ist das für Werbefachleute interessant, aber für die qualifizierten Leser ohnedies durchschaubar.

 

Zählt heute bei den breitenwirksamen Poetry Slams nur mehr die Action und der Auftritt? Sind nicht die Textqualitäten zu dürftig?

 

Bei der Wagner-Oper sind die Texte auch Schwachsinn! Diese Trennung von Performance und Inhalt ist mir zu melancholisch. Ich bin wahrlich nicht für Dauerheiterkeit. Aber diese eingebürgerten Reflexe auf Melancholie – was in der Kultur so passiert – gehen mir genauso auf die Nerven wie die kunstreligiösen Deklarationen, dass die Kunst uns rettet, dass die Kunst das Einzige ist. Als Literat muss man Balancen finden und die Dinge richtig einschätzen.

 

Sie haben vorhin gemeint: Der Verlag muss Werbung betreiben. Sind Sie mit Ihrem Verlag zufrieden?

 

In meinem Fall ist die Zufriedenheit keine Kunst. Ich habe relativ geringe Ansprüche an Verlage. Ich bin ja in meinen Beruf hinein gerutscht. Ich wollte etwas „mit anderen Menschen“ machen: Dramaturg auf dem Theater oder Rekorder verkaufen.

Die Einsamkeit vor dem Computer liegt mir nicht, dazu habe ich weder Lust noch die Konstitution. Jetzt habe ich also einen Verlag. In der Hauptsache will ich von ihm die kontinuierliche Nachfrage, dass ein Buch doch entstehen mag. Ich brauche einen Menschen, der mir sagt: Setz dich hin! Wir haben Bedarf an deinem Buch!

 

Im März kam Ihr neues Buch im Zsolnay Verlag: Memoiren. Ein Interview gegen mich selbst heraus. Was wird das nächste Werk sein?

 

Ich überlege noch und weiß nur eines: Ein neues Buch wird Jahre dauern.

 

Danke für das Gespräch!

 

Biografie: Franz Schuh

Geb. 1947 in Wien, studierte Philosophie, Geschichte und Germanistik. 1976-80 Generalsekretär der Grazer Autorenversammlung, bis 1993 Redakteur der Zeitschrift Wespennest. Derzeit Lehrbeauftragter an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien und Kolumnist u.a. für Die Zeit und Literaturen. 1998 Staatspreis für Kulturpublizistik, 2000 Jean-Améry-Preis, 2006 Preis der Leipziger Buchmesse. Bisher u.a. erschienen: Liebe, Macht und Heiterkeit (1985), Das phantasierte Exil. Essays (1991), Der Stadtrat. Eine Idylle (1995), Schreibkräfte – Über Literatur, Glück und Unglück (2000), Schwere Vorwürfe, schmutzige Wäsche, Paul Zsolnay Verlag (2006), Memoiren. Ein Interview gegen mich selbst, Paul Zsolnay Verlag (2008). mehr...

Franz Schuh: Literaten und Literaturbetrieb. Eva Riebler