50/Wozu Literatur?/Lyrik: Dichterschicksal. Michael Benalglio

Michael Benaglio
Dichterschicksal

Ein Krampf, ein Krampf,
Ein Kampf
Er kann das Schreiben nicht lassen
Die Menschen
Können es nicht fassen
So fangen sie an
Ihn zu hassen.
Gab er dann
Sein erstes Buch heraus
Setzte der Mob in Brand
Sein Haus.
Nach seinem Tod
- sie hatten etwas nachgeholfen -
Wurde er weltberühmt.
Da nannten sie ihn
Ihren großen Sohn
Immer liebten sie ihn schon
Schmückten sein Grab
Mit tausenden Zyklamen
Und gaben ihrem Dorf
Stolz seinen Namen.

 

Michael Benaglio
Die drei Schriftsteller

Ach schreib´ doch was
Uns ist so fad
Die Stunden wollen nicht vergehen
Vom langen Stehen
In der Warteschleife
Rinnt unser Hirn
Den Bach hinab,
Ach kommt doch, kommt doch
Liebe Hähne
Stellt Euch bitte nicht so an
Und schreibt doch was
Das uns ergötzet.

Ich mag nicht,
Sprach der erste Hahn
Ich auch nicht
Sprach der zweite.
Und ich schon gar nicht
Sprach der dritte.
Gar bitterlich zu weinen an.

Was, ja was
Sagt an
Macht da ein netter Gutmenschhahn
Wenn alle rings um ihn
Weinen und flennen
Und vor Qual
In ihr Unglück rennen?

Seufzend, verdrießlich,
Köpfe schüttelnd
Ließen sie sich gnädig überreden
Setzten sich hin
Und fingen, was blieb ihnen über,
Denn zu schreiben an.

Der erste Hahn
Der schrieb die Odyssee
Der zweite verfasste
Die göttliche Komödie
Der dritte schrieb den Faust.
Doch die da weinten, baten und drängten
Haben es nie gelesen.
Denn nach der Kronenzeitung
Gierte ihr undankbares Wesen.

Michael Benaglio
Geb. 1952 in Wien. Lebt in der Steiermark. Zahlreiche Literaturlesungen und Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften, Dramatische Umsetzung von Lyrik auf der Bühne (Bei der “Park Skuril”-Produktion, regionale 10). Limitierte Sonderauflage: Das Geheimnis der Uhudlerschamanen, edition loomhouse, Voitsberg 2009. Buch: Der Ritt auf der Katze. Phantastische Erzählungen. Verlag sonne&mond, Wien 2010. Mitbegründer und Leiter des Forum Club Literatur seit 2005, Mitglied der Steirischen Autoren und der IG AutorInnen.

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50/Wozu Literatur?/Lyrik: Die Olivenernte. Johannes Witek:

Johannes Witek
Die Olivenernte

Ein berühmter Bestsellerautor des deutschsprachigen Raums,
als er mit seinen ersten Romanen berühmt geworden ist
war ich ein Teenager
ich habe sie alle gelesen und sie waren technisch perfekt,
nach amerikanischem Vorbild konstruiert: der dicke Kommissar mit Vorliebe
für italienische Pasta, kann sich das Rauchen nicht abgewöhnen und
muss sich nach der Scheidung mit einer pubertierenden Tochter
rumschlagen,
PLÖTZLICH IM FLUSS EINE NACKTE MÄDCHENLEICHE,
der schwule Cousin ist eigentlich der Bruder,
der unsympathische Koch wars doch nicht sondern rettet am Ende alle,
ein junger Hund kommt ins Zimmer,
da ist das Meer,
alle lachen, Ende.

Außerdem kurze Kapitel und am Ende jedes Kapitels
ein Cliffhanger, viel direkte Rede, viel Handlung,
viel Plot,
plotten, plotten, plotten,
man merkt beim Lesen richtig die ganze Arbeit,
die im Plot steckt und zumindest bei seinen frühen Romanen
funktioniert das, denn: man merkt es nicht.

Also: nicht schlecht. Ich erinnere mich, damals,
noch als Schüler, war ich sehr begeistert: Endlich mal
keine weinerlich ästhetisierende Innenschau von einem
deutschsprachigen Autor, sondern ACTION! Endlich mal einer,
der ERZÄHLT, statt seine uninteressanten banalen Emotionen
mit der Taschenlampe zu beleuchten.

Also, ok, der berühmte Bestsellerautor. Hat mehr Romane
geschrieben und immer mehr, Geld damit verdient,
vermutlich sehr viel Geld damit verdient. Berühmter Satz von ihm:
“Eine Schreibblockade kann ich mir nicht leisten.”

Nach dem dritten oder vierten frühen Roman habe ich aufgehört,
ihn zu lesen, war mit anderen Dingen beschäftigt und bin erst beim
zehnten oder zwölften Roman wieder eingestiegen und war fassungslos,
wie schlecht der war. Dann habe ich einen Fernsehbericht über
den berühmten Bestsellerautor gesehen, zufällig, eine Dokumentation.

Darin war der berühmte Bestsellerautor im Interview
auf seinem riesigen Anwesen in ... ich hab vergessen, wo genau.
Irgendein von Bürgerkriegen und Armut zerfressenes Entwicklungsland
jedenfalls. Hohe dicke Betonmauern um unzählige Hektar Grund,
Stacheldraht oben drauf, kunstgewässerter Rasen unter der prallen
südlichen Sonne und der Bestsellerautor mittendrin: “Die Bevölkerung
hasst uns”, erklärt er dem Interviewer. “Da muss man schon aufpassen.”

Er trägt einen weißen Leinenanzug mit Strohhut, keine Krawatte, aber
das Hemd bis zum obersten Knopf zu. Die verbliebenen Haare
streng zurückgekämmt, schreitet er seine Olivenplantage ab. Ja,
er hat eine Olivenplantage auf seinem Anwesen und er heuert - wie
er dem Interviewer erklärt - Menschen aus der Bevölkerung
als Erntehelfer an. Schnitt. Menschen aus der Bevölkerung bei
der Olivenernte. Sie pflücken Oliven von den Sträuchern, sammeln sie
in großen Körben. Die Stimmung scheint gut, trotz allem. Trotz was? Die Menschen haben Arbeit, bekommen Geld.

Der berühmte Bestsellerautor streift die Ränder seiner Olivenplantage
ab, in seinem weißen Leinenanzug, und sieht den Einheimischen dabei zu,
wie sie seine Oliven ernten. Schnitt. Die Frau des berühmten Bestsellerautors im Interview. Sie sagt: “Ich glaube, am liebsten wäre
er ein Gentleman-Farmer im vorigen Jahrhundert gewesen. Das ist so ziemlich
sein Traum. Auf den Feldern mitarbeiten, das ist nicht so seins.
Aber die Hazienda auf- und abgehen, ein gekühltes Getränk in der Hand
und mit den Arbeitern reden, das gefällt ihm.”

An dieser Stelle schalte ich den Fernseher aus. Ich denke darüber
nach, was für ein Recht ich dazu habe, das zu bewerten. MUSS ich
das tun? Ich weiß es nicht. Hat oh hat nicht jeder das Recht
dazu, mit seiner Knete zu machen, was auch immer er will?
Der Mann hat - vermutlich - sehr hart für dieses Anwesen gearbeitet,
zehn, fünfzehn, zwanzig Bücher geschrieben oder was weiß ich.
Und habe, oh habe nicht auch ich meine Oliven? Bin ich heilig?
Mit Sicherheit. Mit Sicherheit nicht. Und auch meine
schmecken bitter.

Trotzdem: Ich kann nicht anders, der Gedanke ist da:
Zwanzig Jahre, zwanzig Bücher; ein Leben - für den Arsch.
Radikal? Extrem?
Ungerecht?

Eine banale, mit der Taschenlampe beleuchtete Emotion.

Johannes Witek
Geb. 1981, lebt in Salzburg. Veröffentlichungen in Zeitschriften und Anthologien, sowie: “Gebete an den Alligator und die Klimaanlage”, Gedichte und Prosa, Chaotic Revelry Verlag, 2011

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49/Teddy/Lyrik: Auf dem Dachboden. Boris Semrow

Boris Semrow
Auf dem Dachboden

Aufgescheuchte Spinnen
zwischen dem ersten Fahrrad
und dem letzten Schrei
einst getragener Kleider
im Regal
schlummern Piraten
hinter eingestaubten
Buchdeckeln
ein Liebesbrief –
Ich mag dich sehr!
der lederne Fußball
ist brüchig geworden
wie die Erinnerung
an den heiß erkämpften Sieg
über die Nachbarskinder
ganz oben
neben dem Atlas
längst vergessener Länder
sitzt der Teddy
und schaut
mit großen Augen
auf mich herab:
Was ist
aus dir geworden?

Boris Semrow
Geb. 1964 in Berlin, Ausbildung zum Krankenpfleger, Abitur auf dem zweiten Bildungsweg, Studium der Germanistik, Geschichte und Musikwissenschaft.

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