Johannes Witek
Die Olivenernte
Ein berühmter Bestsellerautor des deutschsprachigen Raums,
als er mit seinen ersten Romanen berühmt geworden ist
war ich ein Teenager
ich habe sie alle gelesen und sie waren technisch perfekt,
nach amerikanischem Vorbild konstruiert: der dicke Kommissar mit Vorliebe
für italienische Pasta, kann sich das Rauchen nicht abgewöhnen und
muss sich nach der Scheidung mit einer pubertierenden Tochter
rumschlagen,
PLÖTZLICH IM FLUSS EINE NACKTE MÄDCHENLEICHE,
der schwule Cousin ist eigentlich der Bruder,
der unsympathische Koch wars doch nicht sondern rettet am Ende alle,
ein junger Hund kommt ins Zimmer,
da ist das Meer,
alle lachen, Ende.
Außerdem kurze Kapitel und am Ende jedes Kapitels
ein Cliffhanger, viel direkte Rede, viel Handlung,
viel Plot,
plotten, plotten, plotten,
man merkt beim Lesen richtig die ganze Arbeit,
die im Plot steckt und zumindest bei seinen frühen Romanen
funktioniert das, denn: man merkt es nicht.
Also: nicht schlecht. Ich erinnere mich, damals,
noch als Schüler, war ich sehr begeistert: Endlich mal
keine weinerlich ästhetisierende Innenschau von einem
deutschsprachigen Autor, sondern ACTION! Endlich mal einer,
der ERZÄHLT, statt seine uninteressanten banalen Emotionen
mit der Taschenlampe zu beleuchten.
Also, ok, der berühmte Bestsellerautor. Hat mehr Romane
geschrieben und immer mehr, Geld damit verdient,
vermutlich sehr viel Geld damit verdient. Berühmter Satz von ihm:
“Eine Schreibblockade kann ich mir nicht leisten.”
Nach dem dritten oder vierten frühen Roman habe ich aufgehört,
ihn zu lesen, war mit anderen Dingen beschäftigt und bin erst beim
zehnten oder zwölften Roman wieder eingestiegen und war fassungslos,
wie schlecht der war. Dann habe ich einen Fernsehbericht über
den berühmten Bestsellerautor gesehen, zufällig, eine Dokumentation.
Darin war der berühmte Bestsellerautor im Interview
auf seinem riesigen Anwesen in ... ich hab vergessen, wo genau.
Irgendein von Bürgerkriegen und Armut zerfressenes Entwicklungsland
jedenfalls. Hohe dicke Betonmauern um unzählige Hektar Grund,
Stacheldraht oben drauf, kunstgewässerter Rasen unter der prallen
südlichen Sonne und der Bestsellerautor mittendrin: “Die Bevölkerung
hasst uns”, erklärt er dem Interviewer. “Da muss man schon aufpassen.”
Er trägt einen weißen Leinenanzug mit Strohhut, keine Krawatte, aber
das Hemd bis zum obersten Knopf zu. Die verbliebenen Haare
streng zurückgekämmt, schreitet er seine Olivenplantage ab. Ja,
er hat eine Olivenplantage auf seinem Anwesen und er heuert - wie
er dem Interviewer erklärt - Menschen aus der Bevölkerung
als Erntehelfer an. Schnitt. Menschen aus der Bevölkerung bei
der Olivenernte. Sie pflücken Oliven von den Sträuchern, sammeln sie
in großen Körben. Die Stimmung scheint gut, trotz allem. Trotz was? Die Menschen haben Arbeit, bekommen Geld.
Der berühmte Bestsellerautor streift die Ränder seiner Olivenplantage
ab, in seinem weißen Leinenanzug, und sieht den Einheimischen dabei zu,
wie sie seine Oliven ernten. Schnitt. Die Frau des berühmten Bestsellerautors im Interview. Sie sagt: “Ich glaube, am liebsten wäre
er ein Gentleman-Farmer im vorigen Jahrhundert gewesen. Das ist so ziemlich
sein Traum. Auf den Feldern mitarbeiten, das ist nicht so seins.
Aber die Hazienda auf- und abgehen, ein gekühltes Getränk in der Hand
und mit den Arbeitern reden, das gefällt ihm.”
An dieser Stelle schalte ich den Fernseher aus. Ich denke darüber
nach, was für ein Recht ich dazu habe, das zu bewerten. MUSS ich
das tun? Ich weiß es nicht. Hat oh hat nicht jeder das Recht
dazu, mit seiner Knete zu machen, was auch immer er will?
Der Mann hat - vermutlich - sehr hart für dieses Anwesen gearbeitet,
zehn, fünfzehn, zwanzig Bücher geschrieben oder was weiß ich.
Und habe, oh habe nicht auch ich meine Oliven? Bin ich heilig?
Mit Sicherheit. Mit Sicherheit nicht. Und auch meine
schmecken bitter.
Trotzdem: Ich kann nicht anders, der Gedanke ist da:
Zwanzig Jahre, zwanzig Bücher; ein Leben - für den Arsch.
Radikal? Extrem?
Ungerecht?
Eine banale, mit der Taschenlampe beleuchtete Emotion.
Johannes Witek
Geb. 1981, lebt in Salzburg. Veröffentlichungen in Zeitschriften und Anthologien, sowie: “Gebete an den Alligator und die Klimaanlage”, Gedichte und Prosa, Chaotic Revelry Verlag, 2011
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