A photographer's life. 1990 - 2005: Annie Leibovitz. Rez.: I. Reichel

Ingrid Reichel
DAS ENDE DES GLANZ UND RUHMS

 

 
   
 
ANNIE LEIBOVITZ
A Photographer’s Life. 1990-2005.
Kunst Haus Wien
Eröffnung: 29.10.09
Ausstellungsdauer: 30.10.09 - 31.01.10
Eine Ausstellungstour des Brooklyn Museums, NY
Kuratorin: Charlotta Kotik

 

Ausstellungskatalog
ANNIE LEIBOVITZ
A Photographer’s Life. 1990-2005.
Englisch
NY: Random House Inc., 2006. 472 S.
ISBN 978-0375505096
Euro 78 [A]

 

Die durch ihre finanziellen Probleme in die Schlagzeilen geratene amerikanische Fotografin Annie Leibovitz kam zu der Eröffnung ihrer Ausstellung im Kunst Haus nach Wien. Eine Ausstellung, die von Charlotta Kotik kuratiert und vom Brooklyn Museum in New York 2006 beginnend auf internationale Tour ging. Nun sind die Werke einer der berühmtesten lebenden Photographinnen in Wien zu sehen. Der Direktor des Kunst Hauses Wien Franz Patay freut sich mit dieser Ausstellung an die 1993 gezeigte Ausstellung „Annie Leibovitz 1970-1990“ chronologisch anzuknüpfen.

Nach ihrer Ausbildung am San Francisco Art Institute arbeitete Leibovitz in den 70ern als Chef-Fotografin bei der Musikzeitschrift Rolling-Stone. Zu Beginn der 80er wechselte sie zum Gesellschaftsmagazin Vanity Fair und arbeitete unter anderem für die Modezeitschrift Vogue. Ihre Coverfotos, Werbeaufträge (GAP, Dove…) und aufwendig inszenierten Portraits von Prominenten, vorwiegend aus der US-Politik, der Wirtschaft und der Kulturszene verhalfen ihr zu Weltruhm.

Leibovitz wurde 1949 als drittes von sechs Kindern in Waterbury in Connecticut geboren. Ihr Vater war Offizier bei der US Air-Force, ihre Mutter war Modern Dance Tänzerin und Tanzlehrerin. In den späten 80ern lernte sie die 16 Jahre ältere Schriftstellerin, Kulturtheoretikerin und Menschenrechtsaktivistin Susan Sontag kennen. Nach bereits zwei überwundenen Krebserkrankungen starb Sontag schließlich 2004 an Leukämie. 2001, im Alter von 51 Jahren, bekam Leibovitz ihre Tochter Sarah durch Samenspende. 2005 wurde sie nochmals Mutter von Zwillingsmädchen Susan und Samuelle, die sie über eine Leihmutter austragen ließ. Soviel zum Privatleben der Fotografin.

 

„A photographer’s life“ kann demnach nur eine Mischung von Auftragsarbeiten und privaten Fotos sein. Mit der Krebserkrankung und dem Tod ihrer Freundin und ihres Vaters, mit den Geburten ihrer drei Kinder mögen wohl diese Jahre die intensivsten gewesen sein. Chronologisch arbeitet Leibovitz die letzte 15 Jahre ihres Lebens auf. Grub sich archäologisch, wie sie es im Katalog in ihrem ersten Satz ihres elfseitigen Essays beschreibt, durch ihr Bildmaterial und erkannte erst dabei die Wichtigkeit der privaten Dokumentation in ihrem Leben.

„I don’t have two lives. This one life, and the personal pictures and the assignment work are all part of it.“
("Ich habe keine zwei Leben. Dies ist ein Leben, die persönlichen Bilder und die Auftragsarbeiten sind alle Teil davon.")

 

Fotografien bekommen nach dem Tod eines geliebten Menschen eine andere Bedeutung. Ein Motiv welches von Touristen mehrfach ausgeschlachtet wurde: die verlassene Felsenstadt Petra in Jordanien, die zwei Felsen mit Blick auf den Tempel, dazwischen ein Mensch, der die gewaltigen Größendimensionen ermöglicht. Wer kennt sie nicht diese schnell geknipsten Reiseaufnahmen? Susan Sontag steht mit dem Rücken zur Fotografin zum Tempel gerichtet, klein, weit weg, im Schatten der Felsen nicht mehr erkennbar. Und doch bekommt dieses eher unbedeutende Foto plötzlich einen hohen Stellenwert. All das Wissen um die Lebensfreude, die Stärke eines Menschen wird von diesen Felsen absorbiert, übrig bleibt das Wissen um seine Zerbrechlichkeit und Vergänglichkeit.

 

Wird man fotografiert, soll man Lächeln, sich von der nettesten Seite zeigen, so ist Leibovitz aufgewachsen und großteils alle vor 1980 Geborenen. Bitte lächeln! Cheese! Wieviel gekünstelte Portraits und verkrampfte Familienaufnahmen es wohl deswegen gibt … dafür gilt nun für Passfotos Lächelverbot.

 
Leibovitz hat sich von diesen Zwängen sehr früh befreit. Das Ungezwungene, das Spontane und Ungestellte machen den Reiz ihrer Fotos aus. Schnappschüsse, die keine Schnappschüsse sind. So ist einer ihrer stärksten Portraits dieser Schau, wie ich meine, das ihrer Mutter (Cliffton Point, 1997). Die Mutter lächelt nicht. Dass Leibovitz Eltern sich mit dieser Aufnahme zunächst nicht anfreunden konnten, versteht sich von selbst. Es ist der kritische, fragende Mutterblick der einen direkt trifft. Der Blick, der Ihrer Tochter galt, richtet sich unverblümt an den Betrachter. Die Sorge, das Wohlwollen, die Liebe und die Skepsis in diesem einen Blick gebündelt, konzentriert sich nun auf uns, den Besuchern dieser Ausstellung. Leibovitz veröffentlichte dieses Foto in ihrem Buch „Women“ 1999. Schließlich signierte die Mutter die Bücher, weil sich ein Fanclub um sie gebildet hatte.

 

Die Familienfotos sind großteils S-W-Aufnahmen und kleinformatig gehalten. Sie zwingen den Betrachter näher zu kommen, und diese Nähe verursacht Intimität. Kein peinliches, voyeuristisches Empfinden ist damit verknüpft, denn man sieht worauf man sich beim Näherkommen einlässt.

Wenn also Zeitungen und Kritiken die fotografische Dokumentation der Krebserkrankung und des Todes Susan Sontags zaghaft aber dennoch als moralisch und ethisch, womöglich sogar ästhetisch angreifbar halten, ja von einer Beschwerde seitens David Rieff, der Sohn Susan Sontags, sogar zu lesen ist, kann man sich nur wundern. Rieff glaube nicht, dass seine Mutter gewollt hätte, dass diese privaten Fotos veröffentlicht werden, steht unter anderem geschrieben und er denke über mögliche Maßnahmen nach.

Susan Sontag hat in ihrem langen Leidensweg gewusst, wer sie auf ihren letzten Weg begleitet. Es wäre ein Leichtes für sie gewesen ein testamentarisches verankertes Veröffentlichungsverbot der privaten Fotos zu bewirken. Das sagt einem der Hausverstand.

 

Hier wird wieder an unsere christliche Erziehung von Pietät und Intimität appelliert, die Blut, Schleim und Plasma von unserer Geburts- bis zu unserer Sterbestunde tabuisiert. Dass Leibovitz mit der Veröffentlichung ihrer privaten Fotos uns zu sich eingeladen hat, an den Freuden und Leiden ihres Lebens teilzunehmen, über dieses Geschenk wird nicht gesprochen. Dass sie mit diesen Fotos mehr Aufklärung über den Umgang mit der Krebserkrankung und den Tod zustande bringt als manche Werbekampagne, davon will man auch nichts wissen. Dass die Einladung zu einem privaten tête à tête nicht die Auflösung der Intimsphäre eines Menschen bedeutet, sondern andere ermutigt sich von gesellschaftlichen Zwängen zu befreien, davon will man auch nicht berichten … die Reisen, die Badeausflüge, das Körperliche, die Familienfeste, die Geburtstage, die Beerdigungen, die Geburten, die kleinen Dinge des Lebens - Notizen, ein mit Schriften überfüllter Schreibtisch, eine Muschelsammlung, ein Blick durchs Fenster -, all dieses Empfinden von Zusammengehörigkeit in einer Familie bezeugen mehr Kampfgeist gegen Bulimie, Schönheits- und Jugendwahn, mangelndes Selbstwertgefühl und entwurzeltes Sexualempfinden als alle Diskussionen und Symposien unserer Zeit.

 

In der Tat ist es einer der kritischsten Ausstellung der letzten Jahre, weil sie so viele Tabus aufzeigt, weil sie so viele Fragen aufwirft, weil sie Emotionen auslöst und weil sie so unverfälscht persönlich ist. Leibovitz demonstriert das „Ja“ zum Leben, zum Altern, zur Krankheit, zur Pflege, zur Treue, zur Freundschaft, zur Familie und zum Sterben, das „Ja“ zur Freude, zur Liebe und zur Trauer.

 

Inmitten dieser Fülle von kleinen Privatfotos sind nun die anderen Fotos zu sehen.

Da wären Wand füllende Landschaftsaufnahmen als sie noch für den „Traveler“ arbeitete und melancholisch private. Wenige Architekturaufnahmen, wie das Guggenheim Museum in Bilbao. Im Katalog sind Aufnahmen der noch rauchenden Bausstelle Ground Zero.

Aber es gibt Fotos von Leibovitz’ Anwesen Cliffton Point, Rhineback, NY. Ganz seltene Reportagefotos, denn Leibovitz fühlt sich nicht als Journalistin. Zu sehen sind Aufnahmen aus Sarajevo und Ruanda, die die Grausamkeit des Krieges dokumentieren. Das gestürzte Fahrrad mit einer blutigen Schleifspur im Sand, ein Foto auf der Fahrt zum Shooting von Miss Sarajevo. Der Junge starb noch in Leibovitz’ Wagen am Weg zum Krankenhaus. Eine Wand eines Klassenzimmers voll mit blutigen Fußabdrücken in Ruanda.

 

Und dann sind die Fotos wofür Leibovitz berühmt wurde. Glanz und Ruhm, wofür sie soviel Geld verdiente, die großen Inszenierungen für Titelblätter, für Werbungen, für die Ewigkeit festgehaltene Portraits von Prominenten. Demi Moore als Hochschwangere, nackt, von der Seite, einer der damals umstrittensten Covers der Vanity Fair, enttabuisiert den schwangeren Körper - 1991 - abgehakt. Das Gruppenfoto der US-Regierung unter G.W. Bush als Mafiaorganisation entlarvt - 2001 - abgehakt. Die vielen Stars, die Sportler und Olympiateilnehmer, die Künstler, alle abgehakt, … was bleibt … sind diese kleinen S-W-Fotografien, die sie selbst so verletzlich machen.

 

Am Ende der Ausstellung sind Pinwände mit einer Fülle von Fotografien in den Formaten 10 x 15 cm, sortiert nach Themen und Jahr, eine Auswahl der Fülle durch die sich Annie Leibovitz durchrang.

Die Fotografin, die einst Malerin werden wollte, die sieht, beobachtet und laut ihrer Aussage zu wenig mit der Klientel kommuniziert, hat ihre persönliche Trauerarbeit abgeschlossen. Und es ist wohl das Persönlichste, das ein Künstler jemals bereit war zu zeigen.

 

LitGes, Oktober 2009

 

Buchtipp:

 

 
ANNIE LEIBOVITZ. AT WORK.
Hg. Sharon DeLano,
Deutsche Übersetzung: Ursula Wulfekamp und Tanja Handels
119 Farb- und Duotone-Tafeln,
106 farbige Illustrationen
Verlag Schirmer/ Mosel, 2. Auflage 2008. 237 S.
ISBN-13: 978-3-82960-382-9
Euro 47,90 [A]

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