Alex Katz: Prints. Rez.: I. Reichel
Ingrid Reichel
EIN BILD FÜR EIN BILD
oder
Die verkannte Kunst der Gegenwärtigkeit
Alex Katz: Blue Umbrella.
ALEX KATZ
Lithographie in 11 Farben, 1979-80.
Prints
Albertina, Basteihalle
Eröffnung: 27.05.10, 18.30 Uhr
Ausstellungsdauer: 28.05.10 – 29.08.10
Kuratorin: Marietta Mautner Markhof
Assistenz: Gunhild Bauer
Katalog zur Ausstellung:
ALEX KATZ
Prints
Hg. Klaus Albrecht Schröder, Marietta Mautner Markhof
Ostfildern: Hatje Cantz Verlag, 2010.
240 S.
ISBN 978-3-7757-2584-2 – Deutsche Ausgabe
ISBN 978-3-7757-2585-9 – Englische Ausgabe
Museumsshop: Euro 25.-
Verlag: Euro 39,80.-
Man möchte Alex Katz gerne den europäischen unter den amerikanischen Künstlern nennen. Und das hat seine Gründe. Alex Katz wurde 1927 als Sohn russisch-jüdischer Immigranten in Brooklyn (New York, USA) geboren. Seine Ausbildung an der Woodrow Wilson High School mit Schwerpunkt Gewerbegraphik, aber vor allem das Studium an der Cooper Union School of Art in NY, ein Zeichenclub und die Young Artists Guild sowie die Sommermonate von 1949 und 1950 an der Skowhegan School of Painting and Sculpture in Maine brachten ihm die europäische Kultur näher. Das Wissen über Bauhaus, Kubismus und die peinture en plein-air (Freilichtmalerei) der Impressionisten scheinen ihn nachhaltig geprägt zu haben. Besonderen Einfluss nahmen jedoch zwei Außenseiter der Moderne um 1900: Henri Matisse mit seiner Konzentration auf die Umrisslinie und die Flächengestaltung und Paul Cézanne mit seinen eigenen Gesetzmäßigkeiten in Form und Farbe. Katz, der sich 1950 mit Wandmalerei im Stil von trompe l’œil und als Rahmenschnitzer seinen Unterhalt verdiente, begann sich auch für die Kunst von Edward Munch zu interessieren sowie für die Farbholzschnitte des Japaners Kitagawa Utamaro (1753-1806), die bereits die französischen Impressionisten beeindruckten, die Fresken des italienischen Malers der Frührenaissance Piero della Francesca (1420-1492) und die strenge Formalisierung trotz des hochgradigen Realismus der Kunst der Alten Ägypter. Aus dieser Biographie wird ersichtlich, warum Alex Katz selbst als Außenseiter gilt. Klaus Albrecht Schröder formuliert es in seinem Vorwort im Katalog folgendermaßen: „In mehr als 60 Jahren intensiven künstlerischen Schaffens ist es Alex Katz gelungen, mit keiner Kunstströmung des 20. oder 21. Jahrhunderts identifiziert zu werden.“ (Kat.: S.11) Katz bezeichnet sich selbst als Pre-Pop-Artist. Seine Themen sind ausschließlich Menschen, Tiere und Landschaften, die ihn umgeben.
Alex Katz: Self-Portrait. Alex Katz: Red Coat.
Katz, der selbst nie abstrakt gearbeitet hat, lehnte von Beginn an die abstrakte Malerei ab, die durch die Emigrationswelle deutscher Künstler in die USA, verursacht wegen des 2. Weltkrieges, schließlich zum amerikanischen abstrakten Impressionismus der 40er- und 50er-Jahre führte (Siehe: Willem de Kooning, Robert Motherwell, Franz Kline …), und der schließlich in Actionpainting in Form von Automatismen nach Jackson Pollock mündete. Daher galt Katz nie als „modern“. Er selbst bezeichnet sich als Maler der Gegenwart oder vielleicht sollte man eher sagen der Gegenwärtigkeit:
Aquatinta, 1978.
Siebdruck, 1983.
„Es gibt keine andere Ewigkeit als in der unmittelbaren Gegenwart. Das hat mit totalem Bewusstsein zu tun. Von hier aus versuchst du an die unmittelbare Gegenwart heranzukommen […] und es braucht Jahre, bis die Sache klar ist.“ (Zitat: Katz aus dem Katalog, Übersetzung von S. 47)
Als Vorlage zu den Druckgraphiken von Alex Katz dienen ausschließlich seine großformatigen Ölgemälde. Sie scheinen nur als Übergang zu seinem druckgraphischen Werk zu dienen, dass er als die schlussendliche Synthese seiner Malerei sieht. Ein schwer nachvollziehbarer Gedanke, gilt doch das Leinwandgemälde nach wie vor als das non plus ultra in der bildenden Kunst. Es war Walter Koschatzky, der 2003 verstorbene, ehemalige, langjährige Direktor der Albertina (1962-1986), der immer für die gleichwertige Stellung der Graphik zur Malerei plädierte. Und so fügt es sich, dass der mittlerweile 83-jährige Alex Katz sich entschied, sein gesamtes druckgraphisches Werk der Albertina zu schenken. Dies geschah 2009.
Nun stellt die Albertina c.a. 150 dieser Exponate aus. Die Schau bringt einen guten Querschnitt über Katz druckgraphisches Schaffen mit den facettenreichen Drucktechniken: Siebdrucke, Linol- und Holzschnitte, Radierungen, Lithographien, Monotypien, Aquatinten und Vernis-mous (Weichgrundätzungen) aus den Jahren 1965 bis 2008 und wird durch einige stehende Cut-outs – Siebdruck auf flache im Raum stehende Figuren und Köpfe aus ausgeschnittenem Aluminium – sowie wenige Kunstbücher, die aufgeschlagen in Vitrinen geschützt platziert wurden, abgerundet.
Diese Kunstbücher erweisen sich als besondere Preziosen des Druckes sowie der Ästhetik und stellen eine Symbiose von Lyrik und Graphik dar. Allerdings dient hier die Graphik nicht als Illustration, sondern als Inspiration für den Dichter, wie es am Beispiel von Kenneth Koch in „Primus Inter Pares“, 2002 (Kat.: S. 196-197) dokumentiert ist, schreibt Gunhild Bauer in ihrem Essay „Essenz und Experiment“. Für das Buch „Coma Berenices“ 2005 (Kat.: S. 204-205) mit Texten von John Ashbery produziert er wiederum aus ausgewählten, bereits vorhandenen Gemälden Photogravüren in Schwarz-Weiß. (S. 84). Einzelne kleinformatige Aquatinten aus der Mappe „Face of the Poet“ werden der Lyrik gegenübergestellt.
Alex Katz widmet den zur Ausstellung erschienenen Katalog allen Druckern, die mit ihm gearbeitet haben. Es sind 17 an der Zahl, die meisten sind aus NY oder eben aus den USA, aber auch aus Kyoto und Paris, die Katz persönlich mit Komplimenten und Statements bedenkt. Seine außergewöhnlichen Anforderungen, alleine seiner großen Formate wegen, trieben sie oft an die Grenze ihres drucktechnischen Könnens. „Eine der größten Schwierigkeiten beim Drucken von Alex’ Arbeit liegt im Format seiner Bilder. Bis zu den neueren Projekten waren Alex’ Drucke großformatig und setzten sich aus zahlreichen Platten zusammen. Die Bearbeitung braucht lange Zeit und bei den subtileren Porträts und großen Aquatinten gibt es für Fehler wenig Spielraum.“ (Zitat: Doris Simmelink, Kat.: S. 19, Quelle S. 29)
Dennoch ist durch weitere Zitate im Katalog zu spüren, dass alle gerne mit diesem Künstler arbeiten und sie dadurch zu neuen Verfahren und Feinabstimmungen gelangten, mit ihm kurzum ein spannendes experimentierfreudiges Zusammenarbeiten erleben.
Eines sei klargestellt: Die Graphiken erscheinen aus der Entfernung betrachtet mit den Gemälden ident, obwohl dem Betrachter der Vergleich in dieser Ausstellung fehlt, es würde ja auch den Rahmen der Schau sprengen. Interessant für die Zukunft wäre eine Ausstellung, die eine Gegenüberstellung von Graphik und Malerei ermöglichen würde.
Bei genauerer Betrachtung wird einem bewusst, warum Katz die Graphik als Vollendung seiner Malerei sieht. Katz, der mit Konturen und Farbflächen arbeitet, sich also mit der Oberflächenbeschaffenheit auseinandersetzt, wird im graphischen Druck zu einem Hochleistungskünstler. Die Druckgraphiken, die nur durch langwierige Druckprozesse und durch ein immenses technisches Know-how erfüllt werden können – oft werden die graphischen Verfahren und Techniken miteinander kombiniert und variiert (Zdenek Felix: S. 51) - übertreffen die Qualität der Gemälde, auch wenn diese präzise und in altmeisterlicher Manier – wie einst Michelangelo seine überproportional großen Figuren aus Kohlezeichnungen auf Papier durch Loch-Punkt-Kopie auf die Wand für Fresken übertrug – angefertigt werden. Eine detaillierte Beschreibung hierzu liefert der ehemalige Direktor des Kunsthistorischen Museums Wien und Kunsthistoriker Werner Spies in seinem würdigen Beitrag „Hauchdünne Schnitte durchs Fleisch der Welt“ auf Seite 24 - der Beitrag erinnert in seiner Sprache an die sensationelle Fernseh-Dokumentationsserie „100 Meisterwerke“ bzw. später „1000 Meisterwerke“! Spies weiß, dass es Katz um die Auseinandersetzung mit dem „schnellen Sehen“ geht. Die neuen Medien der Photographie, Film und Fernsehen würden ihn dazu zwingen. (S. 19 f)
Alex Katz: Grey Day. Siebdruck, 1992.
Katz Motive sind vorwiegend farbenprächtige übernatürlich große Gesichter, die im Bildausschnitt entweder an der Stirn oder am Kinn oder an beiden an- oder abgeschnitten sind. Sie erinnern im Aufbau zunächst an die Plakatwerbung und im Format oft an ein Breitleinwandkino. Katz verzichtet in seinem Bildaufbau auf die klassische Proportionslehre und Zentralperspektive (Kuratorin: Mautner-Markhof, S. 32). Seine Reduktion wird oft fälschlich als oberflächlich angesehen. (S. 33)
Die Werke beinhalten weder eine Botschaft noch einen narrativen Charakter. Die abgebildeten Personen, meist waren es seine Frau Ada, Familienmitglieder oder Freunde, die ihm Modell saßen, werden durch den farbflächigen Stil von der privaten Atmosphäre entrückt. Katz Werk gilt daher als distanziert und cool. Er zeigt, wie stark unser Sehen von solchen Attrappen des Menschlichen durch die von Medien gebrachte aufsässige, schamlose Vergrößerung des Leiblichen beherrscht wird. (Spies: S. 25)
Doch der Schein trügt. Katz viel zitierte Coolness funktioniert nur partiell.
Anhand einiger Beispiele soll dies kurz erörtert werden: Immer wiederkehrende feine anatomische Unkorrektheiten wie verschiedene Augengrößen oder Augenbrauen, ungleiche Glasgrößen bei Brillen (Grey Day, 1992), heterogene Gesichtshälften (The Orange Band, 1979: Kat. S. 122; January 7, 1993: Kat. S. 170) zeigen wie Katz seinen eigenen Perfektionismus zerstört und uns durch Unregelmäßigkeiten der Gesichtszüge seine eigene Fehlbarkeit vorspielen will. Auch die Beschneidung der Köpfe erzeugt eine bewusste Unvollkommenheit. Der trickreiche Künstler Alex Katz erzeugt somit nicht nur Bewegung - wie es übrigens schon Paul Cézannes in seinen Stillleben mit den nicht stabil stehenden Vasen oder Tassen angewandt hat -, sondern auch eine unmittelbare Nähe und löst durch die kleine Irritation eine ungeheure Sympathie für seine Figuren aus. Seine Porträts sind getränkt mit Selbstironie und erheitern.
Alex Katz: Black Brook.
Anders verhält es sich bei den Landschaftsbildern. Hier geht Katz - ähnlich Claude Monet, der allerdings bildnerisch das Licht einfangen wollte - wissenschaftlich vor. In diesen Prints herrscht vorwiegend der japanische Einfluss vor. Einige Motive werden druckgraphisch in den verschiedensten technischen und farblichen Variationen bis zur Höchstleistung durchgespielt (Bsp.: Black Brook, 1990; Twilight 1 bis 3, 1978: Kat. S. 35).
Farbaquatinta und Radierung, 1990.
In wenigen Landschaften sind Menschen integriert, wenn, dann meist in einem Ruderboot im Wasser.
Eine Bemerkung von Werner Spies erregt besondere Aufmerksamkeit, wenn er ein Ölgemälde von Katz (Kat. Abb. S. 28), welches gegenwärtig im Besitz der Essl-Sammlung ist, mit den Schwimmbadbildern von David Hockney vergleicht (Bsp.: „Hollywood Swimming-Pool. A bigger Splash.“,1967):
„[…] Die eingefrorenen Gruppen am Strand – das monumentale Beach Stop etwa (2001; Abb. 9) – lassen darüber hinaus an die lethargische Wunschvorstellung denken, die David Hockney am Rand der chlorierten kalifornischen Swimmingpools in Szene setzte.“ (Zitat: Werner Spies, Kat. S. 29).
Dabei wäre „Beach-Stop“ doch eher als absolute Reduktion des Gemäldes „Terrasse à Sainte-Adresse“ (1867) von Claude Monet zu sehen.
Wie auch immer man die Werke empfinden mag: Ob amerikanisch oder doch europäisch, ob kühl und distanziert oder humorig und intellektuell, Alex Katz druckgraphisches Werk ist eine großartige Bereicherung für die Sammlung der Albertina.
LitGes, Mai 2010