Any day now: Mathilde ter Heijne. Rez.: Ingrid Reichel

Ingrid Reichel
SCHEINFEMINISMUS

 
 
ANY DAY NOW
Mathilde ter heijne
Lentos Kunstmuseum Linz
Kuratorin: Harriet Zilch (Kunsthalle Nürnberg, Stella Rollig (Lentos)
Eröffnung: 20.01.2010, 20.00 Uhr
Ausstellung: 21.01.2010 - 27.03.2011

Ausstellungskatalog:
ANY DAY NOW - Mathilde ter Heijne
Hg. Kunsthalle Nürnberg im KunstKulturQuartier und Lentos Kunstmuseum Linz
Nürnberg: Verlag für Moderne Kunst, 2010. 104 S.
Zweisprachig: Englisch/ Deutsch
ISBN 978-3-86984-130-4
24.- Euro

Nach der Kunsthalle Nürnberg im Herbst 2010 zeigt nun das Lentos einen Überblick der Arbeiten der 1969 in Strasbourg geborenen und in Berlin lebenden Niederländerin Mathilde ter Heijne.

Ter Heijne erweist sich als Künstlerin der Moderne, denn um ihr Werk sind viele Menschen beschäftigt: Kameramann, Fotograf, eine Firma, die speziell Crashpuppen erzeugt, Sprecher, Tontechniker und viele mehr. Trotz Aufteilung in zwei Räume vermitteln Skulpturen in Form von Crashpuppen, Videos, Fotografien und Objektkunst den Eindruck einer Gesamtinstallation. Seit mehr als 10 Jahren beschäftigt sich ter Heijne mit den Perspektiven der Frau, recherchiert über Lebensformen außerhalb des Patriarchats. In Südwest-China ist sie fündig geworden und besuchte 2007 die Mosuo, eine ethnische Minderheit mit tibetobirmanischer Sprache, die laut chinesischer Klassifikation dem Volk der Naxi zugerechnet wird, sich jedoch selbst als eigenständige Ethnie sieht.

 
Mathilde ter Heijne: Rekonstruktion Mosuo Haus  
Mosuo kennen kein Privateigentum, sie produzieren als Bauern, das, was sie zum Leben benötigen und betreiben vorwiegend Tauschwirtschaft. Für ter Heijne sind die Mosuo deshalb interessant, weil sie für ihre uterine Deszendenz bekannt sind. Hier ist die Frau Haushaltungsvorstand und bestimmt auch zeitlich ihre Nachfolgerin. Außerdem gibt es keine Ehe zwischen Mann und Frau, das Zusammenleben eines Paares sehen sie prinzipiell als Gefährdung der Familie. Die Mosuo leben freie gegengeschlechtliche Beziehungen in Form einer Besuchsehe, auch walking oder visiting marriage genannt. Die Kinder aus diesen Beziehungen bleiben bei der Mutter. Nur Frauen im gebärfähigen Alter bekommen ein Einzelzimmer, ansonsten schlafen mehrere Generationen mütterlicher Abstammung in einem Gemeinschaftsraum. Dennoch kann nicht von Promiskuität die Rede sein, denn nur wenige Frauen haben zur gleichen Zeit mehrere Geliebte (Blumenfield, Tami. The Na of Southwest China: Debunking the Myths. 2009). Ter Heijne weist wohl auf den eigenartigen Sextourismus, der sich außerhalb der Dörfer in der Region seit einigen Jahren etablierte, hin, der allerdings mit den Mosuo selbst nichts zu tun hat. Es ist das männliche Unverständnis aus anderen Kulturkreisen und die Hoffnung auf freien Sex, der die Männer kommen ließ. Prostituierte haben sich auf Grund der hohen Nachfrage angesiedelt. Die Frage nach den Prostituierten und woher diese kommen, wurde nicht gestellt oder verfolgt.

Mehr geht ter Heijne jedoch nicht auf die sozialpolitische Struktur der Mosuo ein. Für sie ist es ein Modell des Matriarchats, vergisst dabei, den politischen Sachverhalt dieser Ethnie zu berücksichtigen, da die Frauen zwar nach Innen das Sagen haben und eine starke ökonomische Rolle spielen, aber nach Außen die Männer sehr wohl die politische Stellung einnehmen. Ter Heijne bezieht auch nicht den gesellschaftlichen Kontext in ihrer Recherche mit ein, nämlich durch die ständig erweiterte Modernisierung der Infrastruktur, sehr wohl Mosuo nun in Städte arbeiten gehen, Geld verdienen, sich mit anderen Kulturen beginnen zu vermischen und dadurch die Grundlage des Modells gefährdet ist. Aspekte bezüglich des Sextourismus wie die massive Bedrohung durch Geschlechtskrankheiten bis hin zu Aids, der die Gruppe exponiert ist, fehlen. Der dritte Punkt, den Heijne nicht anspricht, ist das fehlende Bildungssystem.

So steht man einer romantisierten Version dieses archaischen Systems gegenüber, das ter Heijne als erfolgreiches Modell friedlicher Koexistenz beider Geschlechter sieht, da es ohne häusliche Gewalt, Neid und Eifersucht auskäme. Das hervorgehobene freie Sexualleben in ter Heijnes Erläuterungen cachiert mitunter die strenge Hierarchie und die strikten Regeln denen dieses matrilineare System obliegt.
Constructing Matriarchy ist ein HD Video von 12 Minuten aus dem Jahr 2007 und zeigt Mosuo Männer und Frauen beim Bau eines Zumu-Hauses.
Mit der Rekonstruktion eines Teils eines Mosuo Hauses, dem Zumu (Gemeinschaftsraum) samt der Feuerstelle, versucht die Künstlerin einen Teil der Lebensform der Familiengemeinschaft Qiau Zi dem Betrachter zu vermitteln. „Die beiden Säulen, die das Dach des Zumu tragen, sind aus einem einzigen Holzstamm angefertigt und versinnbildlichen die Gleichstellung von Männern und Frauen“, steht in der Beschreibung zu Installation.
Im Haus wird das Hörspiel „Further than we’ve gone (2009), welches sich Ausstellungsbesucher über Kopfhörer anhören können, übertragen. Während ihrer Reise zu den Mosuo sieht sich ter Heijne als Zeitreisende und vermengt das Archaische der Mosuo mit vier feministischen Science-Fiction Romanen [1].

Ein Comic-Heft in Englisch liegt zur freien Entnahme auf der Bank vor dem Eingang zum Zumu und trägt den Titel „The empire of women – not a fairy tale” in dem Sitten und Bräuche der Mosuo veranschaulicht dargestellt werden. Dabei erwähnt ter Heijne auf der zweiten Seite des Heftes, dass ihr Projekt lediglich, die Absicht ein matriarchalisches Haus zu kaufen, birgt: „I am anxious to find out what daily life in a matriarchy looks like and whether my project, to buy a matriarchal house, could become reality.“ Dass das Projekt scheitern musste, war alleine schon wegen der strengen Auflagen der Ausfuhrgenehmigung kultureller Güter vorprogrammiert. Ter Heijne zeigt sich hier naiv. Sie vertraute einer ihr zugeteilten Projektleiterin, berichtet sie während der Pressekonferenz. Diese erfüllte auch die Formalitäten, das Haus wurde tatsächlich einer Mosuo Familie abgekauft, dieses abgebaut und abtransportiert, nur verschwand es dann ins Niemandsland und wurde nie wieder gesichtet. Daher haben wir es hier auch mit einer Rekonstruktion und nicht mit einem Original zu tun.

Der Nebenraum des rekonstruierten Mosuo Hauses dient der Verehrung der Vorahnen, speziell hier der Ahnfrau: Foremother Worship, 2007, womit Heijne auf die patriarchalischen Züge in der englischen Sprache verweist, da es den Begriff Foremother nicht wirklich gibt. Die Bezeichnung forefather als Urahn ist jedoch durch das Wort father (Vater) männlich determiniert. Die in Bronze gegossene Ahnfrau sitzt in ihrer Mosuo-Tracht auf einer Bank und singt ein Liebeslied.

Hier sei zu erwähnen, dass Heijnes lebensgroße Puppen alle mit Lautsprecher und Tonspuren versehen sind. Jede trägt Heijnes Gesichtszüge und das Abbild ihrer Hände. Mit Ausnahme der Mosuo-Foremother sind diese Dummys alle aus verschiedenen Materialien zusammengestellt. So sind die Hände und der Kopf wie bei einer Schaufensterpuppe hart, die Beine jedoch aus Stoffmaterial. Die Haare sind alle ausnahmslos echtes Haar. Mit diesen Soundskulpturen schlüpft ter Heijne in verschiedenste Rollen, nach dem Motto: eine für alle, alle für eine. Die stetig wachsende Serie trägt den Titel Fake Female Artist Life, kurz F.F.A.L. (Imitation eines weiblichen Künstlerlebens). Hier im Lentos werden Dummys gezeigt, die Protagonistinnen oder Nebenfiguren verschiedener literarischer Werke darstellen, ihren Namen tragen und dementsprechend gekleidet wurden [2]. Die Figuren interagieren zeitversetzt und geben Bruchstücke von Dialogen wieder, die auch abrupt mitten im Satz abbrechen. Ter Heijne nimmt weder Bezug zu den gewählten Autoren oder zu den Rollen noch zu der Textauswahl. Vielmehr sieht sie die lose aneinander gereihten an der Wand entlang stehenden oder auch im Raum sitzenden Figuren dieser Installation als Soundkomposition. Die Intension der Installation F.F.A.L. ist jedoch nicht nachvollziehbar. Man erwartet sich eine tiefgründigere Auseinandersetzung mit den Werken, dies wiederum würde den Rahmen der Schau sprengen. Ter Heijne initialisiert mit dieser Soundinstallation keine Assoziation beim Betrachter und Zuhörer. Der Aufwand der ausgesuchten Werke, die Autoren, die Textpassagen, die verschobenen Soundinteraktion ergeben schlichtweg keinen Sinn und verursachen eher eine Überforderung derer, die gekommen sind, um ter Heijnes Anliegen zu verstehen und nachzuempfinden.

 
Mathilde ter Heijne:
Unknown Women
 
Die noch neue Fotoinstallation Unknown Women aus dem Jahr 2010 beschäftigt sich mit Frauenportraits von Beginn der Fotografie bis 1920. Ter Heijne sammelte hiefür über Jahre über die ganze Welt verstreut auf Flohmärkten und Antiquariaten. Über die Biografien der einzelnen Frauen ist demzufolge nichts bekannt. Es sind jene Fotografien, die gutbürgerliche Haushalte einem Fotografen in Auftrag gaben und zu gewissen Anlässen sich leisteten, später jedoch in Nachlässen verloren gingen und im Trödelladen, wenn sie Glück hatten, wieder zum Vorschein kamen. Durch diese Arbeit will ter Heijne auf die fehlende individuelle und gesellschaftliche Identität von Frauen hinweisen und diese als Mechanismen einseitiger Geschichtsschreibung thematisieren. Doch auch hier schießt ter Heijne ins Leere. Denn genauso viele Fotos gibt es auch von Männern oder von Paaren, vordergründig Hochzeitspaaren, die anonym blieben. Daher sind dieses Fotografien weder ein Beweis für die mangelnde Identität der Frauen der damaligen Zeit, noch für ihre Unterdrückung.

Im Gegensatz dazu ist im Katalog Mathilde ter Heijne. It’s me, it’s not me. (Hatje Cantz Verlag, 2008) auf S. 71 ff eine Fotoinstallation „Women to go“, 2006-2007 der Künstlerin zu sehen, wo sie Karten mit Fotografien bekannter Frauen, ebenfalls aus der Wende zum 20. Jahrhundert, auf Postkartenständer zusammenstellt und den Besucher auffordert sie mitzunehmen. Zeugnis davon also abgeben, dass Anonymität nicht nur weiblichen Geschlechts ist, auch wenn das Verhältnis zum Bekanntheitsgrad der Männer gering war.

 
Mathilde ter Heijne: Send it back to where it comes from.  
Das nächste Installationsobjekt in der Schau im Lentos ist eine beeindruckende große Metallschale mit großen dunkelroten Kerzen: Send it back to where it came from, 2010. Jede Kerze ist mit einem Schlagwort beschriftet wie misogyn, racism, repression, sexism … die dickste und höchste Kerze in der Mitte ist mit patriarchy gekennzeichnet. Auf der rechten Seite der Schale steht eine Metallbox mit einem Schlitz, ähnlich wie wir es aus der Kirche für Spenden kennen. Für 5.- oder 3.- Euro kann man sich eine Kerze aus dem Behälter daneben nehmen und selbst Begriffe dorthin zurückschicken, wo sie herkamen. Hier muss man kritisieren, ob für Frauen, nicht eher der Rassismus als das Patriarchat das größere Übel für die Menschheit darstellt. Es ist ein kindliches Gemüt, welches ter Heijne hier zur Schau stellt, mit der sich vielleicht viele Frauen identifizieren können, die ihnen jedoch nicht zur Gleichberechtigung verhelfen. Wie sollen wir Abstrakta wie Rassismus zu einem konkreten Ort schicken? Dies geht gefährlich in die Richtung des leider allzu verweiblichten Aber- und Irrglaubens.

 
Mathilde ter Heijne: Small things end, great things endure.  
Letzte Station von any day now ist eine Videoinstallation aus dem Jahr 2001: Small things end, great things endure. Damit möchte die Künstlerin die kollektive Schuld an politischen Verbrechen thematisieren. Auf der Leinwand zu sehen, ist Mathilde ter Heijne, die in Flammen aufgeht. Laut Beschreibung verkörpert sie hier Gesine Cresspahl, Protagonistin des Romans Jahrestage - Aus dem Leben von Gesine Cresspahl, des vierbändigen Hauptwerkes (1970-1983) des deutschen Autors von Uwe Johnson, die beschließt nach der Selbstverbrennung ihrer Mutter, die dadurch die Reichskristallnacht sühnen wollte, sich gleichfalls derart von dem Gefühl der Mitschuld am Vietnamkrieg zu befreien. In einer Tonspur werden Vergangenheit und Gegenwart - Lisbeth und Gesine – zusammengefügt. Hier gewinnt die Intension der Künstlerin einen magischen rituellen Touch: eine weibliche Opferrolle mit der sich eine moderne Frau heute nicht mehr identifizieren möchte. Auch geht hier nicht hervor, um welche Art der Selbstverbrennung es sich handelt.

Mathilde ter Heijnes Recherchen und künstlerische Ambitionen über die Aussichten der Frauen mögen persönliche Ernsthaftigkeit beinhalten. Sympathisch und voll Leidenschaft berichtet sie in ihrem Rundgang der Schau über ihre Erlebnisse und ihrem Ansinnen. Es ist der kritische und politische Aspekt, der fehlt. Man kann keine Frauenbewegung fördern, ohne politische Statements abzugeben.

Fazit: Eine Ausstellung muss auch für sich stehen, ohne engagierte Präsenz des Künstlers, und sein Anliegen durchbringen können. Dies ist hier leider nicht gelungen. Auch sind die Recherchen nicht wissenschaftlich fundiert. Die Kunst alleine ermächtigt nicht feministisch zu sein, nur weil man das Thema auf irgendeine Weise anschneidet.

Vielleicht hat man auch in any day now, einer durch und durch minimalistischen Darstellung zum Thema der Frau zu viele Aspekte eingeräumt, vergleichbar mit einer vegetarischen Kost, die zehn Rinder in sich verbirgt und daher eine Ausstellung, die ohne Katalog und ohne orale Beigaben der Künstlerin inklusive Frage und Antwort-Spiel, für den Betrachter eine ausschließlich esoterisch angehauchte Emanzipationsgeschichte, die nur an der Oberfläche kratzt, ergibt.

Schade!

LitGes, Januar 2011

[1] The shore of women – Das Ufer der Frauen (Pamela Sargent, 1986), The female man – Planet der Frauen (Joanna Russ, 1970), The left hand of darkness – Die linke Hand der Dunkelheit (Ursula K. LeGuin, 1969) und Herland (Charlotte Perkins Gilman, 1915).

[2] Elvire Goulot aus La femme assise / Die sitzende Frau (1920) von Guillaume Apollinaire, Ealine Risley aus Cat’s Eye / Katzenauge (1988) von Margaret Atwood, Ueno Otoko aus Utusukushisa To Kanashimi To / Schönheit und Trauer (1961) von Yasunari Kawabata, Clare Abshire aus The time traverler’s wife / Die Frau des Zeitreisenden (2004) von Audrey Niffenegger, Carla Vicenzi aus Cream of the crop (2004) von Savannah Smythe und Madonna aus Shanghai Baby (1999) von Wei Hui.

Weiterer empfehlenswerter Katalog:

 
IT’S ME, IT’S NOT ME
Mathilde ter Heijne
Ostfildern: Hatje Cantz Verlag, 2008. 144 S.
Englisch
ISBN 978-3-7757-2250-6
35.- Euro


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