Augenschmaus. Rez.: I. Reichel

Ingrid Reichel
IM RAUSCH DER SINNE

 

 
AUGENSCHMAUS
Vom Essen im Stillleben
Bank Austria Kunstforums (BAK)
Eröffnung: 09.02.10
Ausstellungsdauer: 10.02.10 – 30.05.10.
Kurator: Heike Eipeldauer

 

Ingried Brugger, die Direktorin des Bank Austria Kunstforums, meinte in ihrer Eröffnungsrede, dass in unserer Zeit der Event- und Lifestylereportagen, die Möglichkeit bestehe, diese Ausstellung als Anbiederung aufzufassen. Anbiederung an wen? Vermutlich an die Presse oder einfach an den Besucher, der letztendlich, sage ich, auch nur wiederum ein Konsument seiner Zeit ist. Wie schafft man also wissenschaftlich fundierte und dennoch konsumentenfreundliche Ausstellungen so zu konzipieren, dass beide Aspekte erfüllt sind? Also dass die Qualität einer Ausstellung nicht unter dem Druck des Ticketverkaufs zu leiden beginnt? Das ist natürlich eine Frage, mit der jedes Museum auf der Welt zu kämpfen hat. Es ist eine Gratwanderung par excellence! Für die Kunstliebhaber und Kritiker bietet diese Gratwanderungen das Spannungsfeld ihrer Beobachtungen, denn Hand aufs Herz, welches Museum - vor allem welches große Museum - lässt sich auf Experimente ein? Die gezeigten Kunstwerke sind allesamt Kostbarkeiten und müssen selbst nicht mehr beurteilt werden. Das Dilemma der Museen beruht nun mehr auf der Aufgabe: Wie bekomme ich mit wenig Geld dennoch Meisterwerke für meine Ausstellung?

Insofern ist die in Bruggers Einleitung genannte Anbiederung gar nicht absurd, denn Stillleben kommen beim Publikum gut an!

 

Es liegt nun an der Arbeit des Kurators dieses Klischee der Anbiederung wieder zu zerstören. Und das ist der Kuratorin Heike Eipedauer tatsächlich hervorragend gelungen. In dieser von ihr konzipierten Ausstellung hat sie fünf Jahrhunderte Essstillleben von Museen, institutioneller und privater Sammlungen zusammengetragen! Vom 16. Jahrhundert, dem Beginn der natura morta, bis zur Gegenwart umfasst die Schau die Höhen und Tiefen dieses Bildgenres. Spannung hat Eipeldauer nicht zuletzt damit erzeugt, dass sie in der Aufteilung und Hängung der geliehenen Exponate NICHT chronologisch vorgegangen ist. Dies zeigt die Risikobereitschaft der Kuratorin, wenn sie Gemälde alter Meister neben Werke der Moderne präsentiert.

Dafür ist die Ausstellung mit folgenden sechs Themen durchwandert:

Das Objekt als Subjekt – Die Geburt des Stilllebens

Vanitas – Allegorien vom Leben und Tod

Nahrung zwischen Existenzgrundlage und Konsumobjekt

Table/ Tableau und der weiblich codierte Raum des Stilllebens

Fleisch und die Grenzen der Darstellbarkeit von Essbarem

Das Stillleben als malerisches Experimentierfeld

 

Dabei ist die Erkennbarkeit der einzelnen Themen unbedeutend, vielmehr ist die Mischung der Themen in ihrer Kombination ausschlaggebend für den Erfolg dieser Ausstellung.

Bei der Auswahl der Exponate ist besonders hervorzuheben, dass endlich weiblichen Malern seit dem Beginn des Genres Beachtung geschenkt wurde. Da die Werke der wenigen Malerinnen des 16. -19. Jahrhunderts, spätestens nach ihrem Ableben, meist in Museumsarchiven oder eben in Privatsammlungen verschwanden, ja förmlich vor der Öffentlichkeit verborgen wurden, ist es ein besonderes Highlight dieser Ausstellung, Werke aus dem 17. Jhdt. von Louise Moillon und Clara Peeters, aus dem 18. Jhdt. von Anne Vallayer-Coster, aus dem 19 Jhdt. von Berthe Morisot und Paula Modersohn-Becker und aus der Moderne von Maria Lassnig, Alina Szapocznikow, Martha Rosler, Susan Lacy, Nina Sobell und Mona Hartoum zu sehen. Nicht nur das beste malerische Weißbrot von Anne Vallayer-Coster - zumindest in dieser Ausstellung – zeigt, dass Frauen in ihrer Malfähigkeit und ihrem Talent ihren männlichen Kollegen in nichts nachstanden. Politische Herrschaften beeinflussten die Kunst nicht nur in ihrer Geschlechtlichkeit sondern auch in ihrem Inhalt. Welche Früchte ab wann gemalt werden konnten, hing letztendlich auch von den Ansprüchen der jeweiligen Herrscher ab. Dennoch wurde nicht alles, was vorhanden war, gemalt, entscheidend war schließlich die Ästhetik der Komposition, das Zusammenspiel der einzelnen Produkte.

Das Stillleben, welches einst nur als Randerscheinung galt und meist nur Teil eines Gemäldes war, entwickelte sich erst ab dem 16. Jahrhundert zu einem eigenen Genre. Die illusionistische Darstellung einfacher Dinge verdrängte die sakralen Motive und hielt im Verlauf der folgenden Jahrhunderte von den Caravaggisten mit ihren Frucht- und Gemüsekompositionen, dem spanischen bodégon - eine eigenständige Art des Küchenstücks, dem französischen Hofprunk der Jagdstillleben bis zu den niederländischen Typologien, Einzug in den Wohnzimmern der Kaufmänner und späteren Bürgern.

Der gedeckte Tisch, der die lebenserhaltenden Produkte zeigt, ist jedoch auch Sinnbild der Vergänglichkeit.

Das tote Tier vor der Verarbeitung zum Verzerr, das Obst und das Gemüse bevor es verfault, zeigen die Gegensätze zwischen Sinn und Sinnlichkeit, zwischen Ästhetik und Gebrauch, zwischen Fiktion und Realität, aber vor allem die Lebenserhaltung durch den Tod.

Das 20. Jahrhundert bot nun die vielseitigsten Erneuerungstendenzen des klassischen Essstilllebens. Sei es die von Daniel Spoerri initiierte Eat Art, die gedeckte Tische nach dem Essen mit all ihrem Abfall und schmutzigen Geschirr unverändert festhält oder die von Damien Hirst, der mit Formaldehyd Tiere sowie Lebensmittel konserviert. Die Varianten der Videokunst ermöglichen ebenfalls ein breites Spektrum der Interpretation, wie z.B. Künstlerinnen, die durch Kochsendungen die Rolle der Frau in der Gesellschaft neu definieren.

Besonders aufregend präsentiert sich eine nüchterne Installation eines Tisches mit Gedeck, auf dessen Teller eingeblendet die Reise durch den Schlund zum Darm vollzogen werden kann, von Mona Hatoum aus dem Jahr 1996. Das c.a. fünfminütige Video von Sam Taylor-Wood „A littke Death“, welches einen an einer Wand kopfüber gelehnten toten Feldhasen in seiner kompletten materiellen Auflösung im Zeitraffer zeigt, ist einer der stärksten Exponate in dieser Schau. Faszinierend!

So sehr mein Herz für die Moderne schlägt, so sehr wird mir selbst bei dieser Ausstellung bewusst, wie schätzungswürdig doch diese alten Meister sind und sie noch lange nicht in ihrer Aussagekraft ausgedient haben. Es gibt kaum schönere Weintrauben als die von Ferdinand G. Waldmüller, leuchtendere angeschnittene Zitronen als die von Willem Kalf, Appetitanregenderes als von Anne Vallayer-Coster, ein saftigeres Steak als von Félix Vallotton oder Joachim Beuckelaer und schmackhaftere Austern als von Cornelis de Heem.

 

In dieser Schau ergänzt sich die Kunst der Gegenwart mit den alten Meistern und macht sie zu einem Fest der Sinne. Ob frugal oder prunkvoll, ob unverdorben und gesund oder der Fäulnis sehr nahe, einfach berauschend!

 

LitGes, Februar 2010

 

Zur Ausstellung erschien folgender Katalog:
AUGENSCHMAUS
Vom Essen im Stillleben
Hg. Ingried Brugger, Heike Eipeldauer
München: Prestel Verlag, 2010. 248 S.
ISBN 978-3-7913-6269-4
€ 29.-

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