Bernhard Fuchs: Porträts. Rez.: Ingrid Reichel
Ingrid Reichel
EINE IKONOGRAFISCHE KORRESPONDENZ
oder das fotografische Pendant zu Paula Modersohn-Becker im 21. Jahrhundert
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BERNHARD FUCHS
Porträts
Kunsthalle Krems, Oberlichtsaal
Eröffnung: 13.03.10
Ausstellungsdauer: 14.03.10 – 04.07.10
Kurator: Hans-Peter Wipplinger
Parallel zur Ausstellung Paula Modersohn-Becker eröffnet die Kunsthalle im Oberlichtsaal die Fotoausstellung mit knapp 70 Farbfotografien von Bernhard Fuchs. Bernhard Fuchs wurde 1971 in Haslach an der Mühl, im Mühlviertel in OÖ geboren. Von 1993 bis 1997 studierte er in Düsseldorf an der Kunsthochschule Typographie in der Meisterklasse des erst 2007 verstorbenen Fotografen Bernd Becher, anschließend Grafik und Buchkunst in der Klasse des Fotografen Timm Rautert.
Fuchs blieb in Düsseldorf, doch der Bezug zu Österreich blieb erhalten nicht alleine wegen seiner Eltern, die er regelmäßig besucht. Dreiviertel der Fotografien stammen aus Österreich, der Rest aus Deutschland schätzt der Fotograf. Fahrradtouren durch die ländliche Idylle führen ihn zu jenen Motiven, die ihn interessieren: Menschen in jedem Alter.
Kinder, Frauen und Männer bei ihrer alltäglichen Beschäftigung, vorwiegend im Freien. Äpfel klaubend, sägend, rechend, spielend …
Halt, doch nicht: Die Menschen auf den Fotos tun großteils gar nichts! Sie stehen nur da, und wir, die Betrachter, fantasieren die Tätigkeit dazu. Die Äpfel liegen am Boden, der Rechen ist angelehnt an der Scheune, das Türgatter zum Gemüsegarten steht offen … aber die Menschen selbst sind für einen Augenblick in ihrem Leben eingefroren, festgehalten.
Sie tragen Arbeitskleidung, Frauen in Schürzen und Hauskleidern, die Männer in blauen Overalls oder Latzhosen und immer wieder diese Gummistiefel. Die Erde ist meist feucht, gatschig, wie man bei uns in Österreich sagt. Die Kinder wirken irgendwie dreckig und schmuddelig, eben so wie Kinder aussehen, wenn sie im Wald und auf der Wiese laufen und spielen, am Baum kraxeln und Regenwürmer ausgraben. Auch die Erwachsenen wirken verschwitzt. Sind sie aber nicht. Alle sind sie sauber.
Und doch sind die Fotografien nicht inszeniert, wie der Fotograf bei der Führung durch die Ausstellung versicherte. Die meisten der Personen, die er ablichtete, kannte er nicht einmal. Eben mal schnell mit der Fotoausrüstung durch die Landschaft geradelt, stehen geblieben und um ein Foto gebeten. Dann, ab und an in die gute Stube eingeladen worden, auf ein Viertel Most. Und noch schnell ein Foto zum Abschied. Fotos als Ergebnis vieler Ausflüge, die Arbeit von 10 Jahren, natürlich nur eine kleine Auswahl.
Fuchs lehnt sich hier an eine Tradition der klassischen Fotografie nach August Sanders, der mit seinem Bildatlas „Menschen des 20. Jahrhunderts“ ein Kulturwerk geschaffen hat. Das Buch „Antlitz der Zeit“ z.B. beinhaltet 60 Aufnahmen deutscher Menschen des angehenden 20. Jahrhunderts. Im Übrigen war eine Fotoausstellung mit diesen Originalen in der Albertina in Wien vor etlichen Jahren zu sehen. Alles (noch) Schwarz-Weiß-Aufnahmen. Fuchs hingegen transportiert mit der Farbfotografie Sanders in die Moderne. Die Zeit scheint stehen geblieben zu sein. Nur die Farbe macht einen Unterschied. Aber die Haltung der Menschen an sich hat sich nicht geändert. Das Leben, trotz technischen Fortschritts, ist dennoch hart geblieben: die Schwielen an den Händen und der raue Wind gerbt die Gesichter.
Mit Fuchs als quasi Entrée zur Modersohn-Becker-Ausstellung ist dem Leiter der Kunsthalle Krems Hans-Peter Wipplinger ein großer Coup gelungen. Hier verbindet sich Gegenwart mit Vergangenheit, Fotografie mit Malerei. Die Thematik jedoch ist die gleiche: der Mensch ikonografisch dargestellt. Keine emotionale Regung: kein Lachen, kein Klagen, keine Idealisierung. Das direkte Umfeld des Künstlers, eingeflossen in sein Werk, vermittelt eine natürliche aber distanzierte Betrachtungsweise eines intimen Dreiecksverhältnisses zwischen Künstler, Portraitiertem und Betrachter. Der ländliche, bäuerliche Hintergrund vermittelt das Heimatliche, das erdig Unverfälschte. Schlagartig wird uns der Kontrast zu unserer eigenen Wirklichkeit bewusst. Eine Wirklichkeit, die uns medial eine künstliche Welt vorgaukelt, verfolgt sind wir von Silikonbusen, von manikürten Händen, enthaarten Achseln und unnatürlich, digital lang gezogenen Beinen, diese ganze Welt der Mode und des Designs, eine sterile, kalte aber auf Hochglanz lackierte Welt.
LitGes, März 2010