Das Porträt im Wandel der Zeit. Rez.: Ingrid Reichel
Ingrid Reichel
DES MENSCHEN ANTLITZ
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DAS PORTRÄT IM WANDEL DER ZEIT
Sehnsucht nach dem Abbild
Kunsthalle Krems
Eröffnung: 25.07.09, 18 Uhr
Ausstellungsdauer: 26.07.09 – 26.10.09
Kurator: Hans-Peter Wipplinger
Zur Ausstellung erschien ein Katalog in Deutsch.
Das Porträt im Wandel der Zeit
Sehnsucht nach dem Abbild
Hg. Hans-Peter Wipplinger
Kunsthalle Krems, 2009. 124 S.
ISBN 978-3-901261-43-5
Die Ausstellung in der Kunsthalle Krems mit dem etwas abgedroschenen Titel „Das Porträt im Wandel der Zeit“, aber mit dem weitaus besseren Untertitel „Sehnsucht nach dem Abbild“, gibt dem kulturinteressierten Publikum eine hervorragende allumfassende Fortsetzung zum Thema Portrait zu der Anfang Juli in der Kunsthalle Wien eröffneten Portraitausstellung „Fotografie als Bühne“, die ein Bild der fotographischen Entwicklung der letzten 30 Jahre widerspiegelt. Es ist der Sommer des menschlichen Antlitzes im Osten Österreichs. Und man kann sich wirklich darüber freuen, nicht nur weil das Portrait ein nie endendes und somit ein ewig packendes Thema in der bildenden Kunst ist und sein wird, sondern weil diese zwei Ausstellungen schlichtweg hochkarätig sind.
An die 40 Werke sind alleine von der Albertina geliehen. Etliche Werke sind von dem Sammlerehepaar Rita und Herbert Batliner erst 2007 der Albertina als Dauerleihgabe zur Schau „Von Monet bis Picasso“ überreicht worden. Schmerzlich wird uns damit das Hochwasser der letzten Wochen bewusst und die menschliche Fehlbarkeit im Zusammenhang mit dem Skandal um die Bausubstanz des erst vier Jahre alten Archivs der einerseits zweitgrößten Graphiksammlung und andererseits des modernst ausstaffiertesten Kunstdepots der Welt bewusst.
Die Werke sind in Sicherheit gebracht worden. Umso erfreulicher ist es, dass es trotz dieser brisanten Probleme dennoch gelungen ist einen kleinen Bruchteil in dieser Ausstellung vermischt mit anderen hochqualitativen Sammlerwerken zu sehen. Abgesehen von etlichen Privatsammlern und Galerien haben große Institutionen wie die EVN und die Sammlung Essl sowie Museen aus Österreich, Deutschland und der Schweiz etwas zum großen Wirken dieser Schau beigetragen. Internationale Kunst vom Feinsten ausgehend vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart wird hier geboten. Grafiken, Malereien und Fotographien vom Selbstportrait bis zur Ganzkörperdarstellung. Eine mission impossible könnte man meinen, hat sich da der seit Beginn des heurigen Jahres amtierende Geschäftsführer und Programmleiter der Kunsthalle Krems Hans-Peter Wipplinger als Kurator mit seinem Team ausgesucht. Doch weit gefehlt!
Zu Wipplingers Aufgabenbereich zählt die gesamte Kunstmeile Krems: die Kunsthalle Krems, die Factory mit dem Artist in Residence-Programm, das forum frohner, das Karikaturmuseum Krems sowie das Museum Stein. Die von ihm angekündigten neuen Strategien der Werbung und Vernetzung mit nationalen und internationalen Kooperationspartnern - wie Museen, Künstlern, Sammlern und wichtigen Vertretern aus der Wirtschaft - zeigt sich hier in dieser hochwertigen Ausstellung zum ersten Mal umgesetzt.
„Konzept und Leitsatz dieser Ausstellung ist es darüber hinaus, nicht nur chronologisch Geschichte und Geschichten des Porträts nachzuerzählen, sondern durch bewusste Konfrontationen und unerwartete Begegnungen zwischen den Exponaten spannende Korrespondenzen aufzuzeigen und vielfältige Assoziationen anzuregen.“ schreibt Wipplinger in seinem Essay „Sehnsucht nach dem Abbild“ (Kat. S. 8).
Die Exponate werden nicht nur thematisch geordnet dargestellt, sondern auch unter verschiedenen Aspekten gegenübergestellt. So findet man schon im ersten Raum in der Halbetage neben der großformatigen Plastilincollage einer verzerrten Mona Lisa (2008) der Gruppe Gelitin eines der vielen Readymades der Serie L.H.O.O.Q. Marcel Duchamps. Hierbei handelt es sich um Spielkarten, deren Rückseite eine Reproduktion der Mona Lisa von Leonardo da Vinci ist. Die ersten Readymades dieser Art gehen bis in das Jahr 1919 zurück. Duchamp veränderte hierbei jedes Mal das Gesicht der Mona Lisa, indem er sie mit einem Bart verunstaltet. Der Titel L.H.O.O.Q. besteht aus einzelnen Lettern, die Französisch ausgesprochen den Satz „elle a chaud au cul“ ergeben, was soviel heißt wie „Sie hat einen heißen Arsch“. Duchamp wagt es damit nicht nur sich über das meist verehrteste Frauenportrait zu mokieren, sondern spielt damit auch noch subtil auf da Vincis Homosexualität an. Diese Spielkarte aus dem Jahr 1965 (!) zeigt eine völlig unveränderte Mona Lisa und trägt den Titel „rasée“ – „rasiert“. Dies soll nur ein Beispiel sein, wie sich die kuratorische Arbeit dieser Schau souverän zeigt.
Die verschiedenen Themeninseln reichen vom „Urbild zum Abbild – das Dilemma der Ähnlichkeit“ bis zur „Simulation und Virtualisierung – die Manipulation des Menschenbildes“.
Bemerkenswert aus der Reihe tanzten zwei Rauminstallationen: Die erste ist von Christian Boltanski mit einer Serie von Fotographien „Le Lycée en 1931“. Hierbei geht es um ein zufällig gefundenes Klassenfoto des jüdischen Gymnasiums in Wien. Boltanski zerlegte es und vergrößerte die Gesichter der einzelnen Personen zu 18 Portraitnahaufnahmen. Jedes einzelne Gesicht wird mit einer Schreibtischlampe, die oberhalb des Bildes befestigt ist, angestrahlt, wie wir es aus den Krimis bei einem Verhör kennen. Das Kabel der Lampe hängt mitten durch das Gesicht wie ein Schnitt. Die Installation erinnert an kollektive sowie auch persönliche Verbrechen und an die Anonymität der Opfer und Täter. Die zweite Installation ist von Mathilde ter Heijne. Postkartenständer sind zur freien Entnahme mit Karten gefüllt, die anonyme, schwarz-weiß Frauenportraits aus dem 19.Jahrhundert zeigen. Auf der Rückseite der Karten befinden sich jedoch die Biographien anderer Frauen, die als berühmt gelten. Die Karten weisen auf all jene Frauen hin, die es trotz ihrer Verdienste im Alltag nicht in die Geschichtsbücher geschafft haben. Eine Installation, deren Kartenständer wahrscheinlich immer wieder aufgefüllt werden, damit die Besucher zugreifen können oder die sich im Zuge der Ausstellung verändern wird. Leider fehlt im Katalog jeglicher Hinweis und somit auch Erklärung über diese beeindruckende Arbeit, die die holländische Installations- und Videokünstlerin in verschiedenen Variationen schon international, selbst in China gezeigt hat.
Bei „Stars und Heroen – im Spiegel der Öffentlichkeit“ sind zwei weitere Werke nicht im Katalog veröffentlicht worden, vermutlich weil die fotographische Wiedergabe der Werke die optischen Bedingungen nicht erfüllen würden. Umso mehr verdienen sie der besonderen Aufmerksamkeit: Die Fotographin und ehemalige Arnulf Rainer Schülerin Ilse Haider wird hier mit einer Arbeit aus Fotoemulsion auf Holz mit Peddigrohren repräsentiert. Marlene Dietrich ist abgebildet und kann nur seitlich wahrgenommen werden. Es ist eine dreidimensionales Kunstwerk der Illusion und Täuschung, das zum Staunen bringt. Gleich daneben hängt ein großformatiges Gemälde der britischen Künstlergruppe Art & Language. Gemalt ist es à la Jackson Pollock, bei näherem Augenzwinkern soll sich dem Betrachter Lenin manifestieren. Die Besucher sind da geteilter Ansicht. Jedenfalls sorgen die zwei Werke für Kommunikation unter den Besuchern, wie man es normalerweise nur im angelsächsischen Raum erlebt.
Weiters werden gezeigt Grafiken von Lucas Cranach d. Ä (Kohlezeichnung 1510), Rembrandt (Radierung 1648) Andy Warhol (Graphit 1975), bis Siggi Hofer (2000); Malereien von Anton Romako (1854), Kolo Moser (1884), Ludwig Kirchner (1909), Oskar Kokoschka, Ferdinand Hodler und Alexej Jawlensky (1910), Amedeo Modigliani (1918), Alberto Giacometti (1958), Francis Bacon (1960), Pablo Picasso (1963), Gerhard Richter (1965), Maria Lassnig (1982), Eva Schlegel (2001) bis Markus Schinwald (2008) und Fotographien von Valie Export (1969), Cindy Sherman (1982), Nan Goldin (1990) nur um ein paar zu nennen. Besonderes Augenmerk verdient in den verschiedenen Sparten das Selbstportrait. In dieser Kategorie fehlen natürlich nicht die berühmten Fotos der Aktionisten Hermann Nitsch und Günter Brus sowie Fotoübermalungen von Arnulf Rainer. Gemälde von Elke Krystufek (1997) und Xenia Hausner (1994), Zoran Music (1990), Chuck Close mit einer megagroßen Radierung (1977) und eine Rarität in Ausstellungen: ein Bleistiftselbstportrait von Horst Janssen (1970), der heuer seinen 80. Geburtstag feiern würde. Eine Collage von Gabi Trinkaus „I is another“ (2005) und eine Ganzkörperfotographie von Inez van Laasweerde „Joan“ (1993) weisen auf den androgynen Körper. Kuriositäten wie das Auftragsportrait zum 50. Geburtstag des Galeristen Carl Laszlo welches Dieter Roth mit Glas, Käse (Roquefort!) und Farbe auf Leinwand anfertigte mit dem bösartigen Anliegen dem Galeristen ein Werk zu überreichen, das nach der Feier verwesen würde, die erhoffte Reaktion blieb allerdings aus. Oder die Fotomontage „A.D.“ (2006) von Dorothee Golz, welche Albrecht Dürer in rockiger Lederjacke zeigt… und dann noch das Papier-Portrait von „Samuel Beckett 7“ von Simon Schubert geben der Ausstellung den gewissen Kick.
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Der Katalog deckt sich im Inhalt der Werke im Großen und Ganzen mit der Ausstellung, obwohl eine andere Unterteilung gewählt wurde. Beiträge von Daniela Gregori mit „Ansehen und Aussehen“, August Ruhs mit „Blick, Gesicht, Körper“ und Edith Futscher mit Erklärungen zu den einzelnen Themenbereichen ergänzen die Einleitung des Herausgebers. Biographien der Autoren und Künstler fehlen jedoch zur Gänze. Dennoch ein schöner und äußerst informativer Katalog zum Thema um nur € 19,90.-.
Fazit: Eine Ausstellung, die es tatsächlich schafft 500 Jahre internationale Meisterwerke der Portraitkunst in Grafik, Malerei und Fotografie für nur drei Monate Ausstellungsdauer allumfassend unter einem Dach zu vereinen, MUSS man sehen, zumal sie auch jungen heimischen Künstlern neben alten Meistern und Spitzen der Moderne den nötigen Raum gibt. Eine der qualitativsten und anspruchvollsten Ausstellungen der letzten Jahre in der Kunsthalle Krems.
LitGes, Juli 2009