Das Porträt. Rez.: Ingrid Reichel
Ingrid Reichel
ÜBER DIE AMBIVALENZ DER MENSCHLICHEN DARSTELLUNG
Oder: Du sollst dir doch ein Bildnis machen
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DAS PORTRÄT
Fotografie als Bühne
Von Robert Mapplethorpe bis Nan Goldin
Kunsthalle Wien, Halle 2
Kurator: Peter Weiermair
Eröffnung: 02.07.09
Ausstellung: 03.07. – 18.10.2009
Öffnungszeiten: täglich 10.00 – 19.00 Uhr, Do 10.00 - 22.00 Uhr
Museumsplatz 1 im MQ, 1070 Wien
Zur Ausstellung erschien ein zweisprachiger Katalog in Deutsch und Englisch.
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DAS PORTRÄT
Fotografie als Bühne
Hg. Kunsthalle Wien: Gerald Matt, Peter Weiermair
Nürnberg: Verlag für Moderne Kunst, 2009. 232 S.
ISBN 978-3-85247-076-4 (Kunsthalle Wien)
ISBN 978-3-941185-60-9 (Verlag für Moderne Kunst Nürnberg)
„Du sollst dir kein Bildnis machen“ so steht es in der Bibel geschrieben, dabei ist von Gott die Rede.
„Du sollst dir kein Bildnis machen“, sagt aber auch Max Frisch in seinem Stück „Andorra“ 1961, in dem es um die Bewältigung des Antisemitismus geht. Auswirkungen von Vorurteilen, Schuld des Individuums, die Zweifelhaftigkeit einer Identität. Ausgangspunkt ist die Liebe zum Nächsten, die laut Frisch nur möglich ist solange wir ihn nicht kennen. „Das ist das Erregende, das Abenteuerliche, das eigentlich Spannende, dass wir mit den Menschen, die wir lieben, nicht fertig werden: weil wir sie lieben, solange wir sie lieben. […]Unsere Meinung, dass wir das andere kennen, ist das Ende der Liebe […] Nicht weil wir das andere kennen, geht unsere Liebe zu Ende, sondern umgekehrt: weil unsere Liebe zu Ende geht, weil ihre Kraft sich erschöpft hat, darum ist der Mensch fertig für uns.“ Der Verrat stellt sich ein, sobald das Rätsel des Geheimnisses, welches der Mensch an sich ist, gelöst ist.
Das ist die eine Seite der Medaille.
Die Möglichkeit das Andere zu sehen, lang anhaltend zu betrachten, also zu studieren, erzeugt eine aufklärende Wirkung, fördert die Akzeptanz des Fremden. Ein langer Weg, aber ein Weg mit sichtbarem Ziel, wie man deutlich an dieser Ausstellung in der Kunsthalle Wien bemerken kann.
Das Portrait als Bezeichnung der Darstellung eines Menschen hat eine lange Geschichte. Sie beginnt vermutlich in der Antike. Doch die tatsächliche Revolution der Portraitmalerei, abgesehen von kleinen Ausnahmen, wie sie beispielsweise in Jan van Eyck oder Albrecht Dürers Werke zu finden sind, fand wohl im 16. Jahrhundert statt, beginnend mit dem Ölgemälde „La Gioconda“, bei uns eher bekannt unter dem Namen „Mona Lisa“, des Leonardo da Vinci. Und es ist nicht ihr viel vermarktetes angeblich geheimnisvolles Lächeln, was dieses Werk so einzigartig für unsere Menschheitsgeschichte macht, sondern vielmehr das eingegangene Wagnis eines Künstlers eine Frau zu portraitieren, um ihr dann dieses Bild als Individuum, nämlich als der Lisa del Gioconda, die sie nun einmal war, zu widmen und sie nicht als eines seiner üblichen Madonnenmodelle zu verkaufen. Ein Dank vielleicht, aber mit Sicherheit eine Anerkennung an eine Frau, die so oft für ihn, oder viel mehr durch ihn für die katholische Kirche Modell stand. Für die Kirche, die für Frauen bis heute nicht viel übrig hat. Das Geheimnis ihres unsicheren Lächelns ist gelüftet, und dennoch schmälert dieses Wissen nicht das Interesse und die Anerkennung an da Vincis Œuvre.
Das ist die andere Seite der Medaille.
Die Portraitmalerei blieb in den nächsten Jahrhunderten zuerst nur den Mächtigen vorbehalten. Herrscher in Gottes Gnaden, Päpsten und ihren Unterläufern. Man denke nur an Velázquez’ Portrait von „Papst Innozenz X“, dessen Bildnis völlig im Gegensatz zu seinem Namen steht (17 Jh.). Später waren es Kaufleute, die sich verewigen lassen konnten.
Und so spricht zur Eröffnung und schreibt in seinem Vorwort des Ausstellungskatalogs der Direktor der Kunsthalle Wien Gerald Matt ganz richtig von einer Demokratisierung des Portraits durch die Errungenschaft der Fotographie beginnend am Ende des 19. Jahrhunderts.
Nicht zuletzt deswegen geht vom Bildgenre des Portraits eine unergründliche Faszination aus. Viele große Ausstellungen bemühten sich um die Thematik. Hierbei sei auch der jährliche BP Portrait Award erwähnt, der in der National Portrait Gallery in London ausgetragen wird, allerdings in der Sparte Malerei.
„Fotografieren bedeutet teilnehmen an der Sterblichkeit, Verletzlichkeit und Wandelbarkeit anderer Menschen.“ zitiert Matt die bereits 2004 verstorbene amerikanische Schriftstellerin und Menschenrechtsaktivistin Susan Sontag und leitet somit den humanitären Zugang der vertretenen Künstler und Künstlerinnen ein. Die Exponate zeigten „Interesse am Menschen“ nicht zuletzt, weil „ihre Protagonisten“ aus ihrem Umfeld kämen. Hier nimmt Matt die Bühne als Fotographie im Titel der Ausstellung vorweg. Im Zeitalter der Digitalisierung sei die Fotographie aktueller denn je und darin liege auch der Anlass zu einem Kunstdiskurs einzuladen. „Sommer der Fotografie“ lautet das umfassende Programm der Kunsthalle Wien vom Mai bis Oktober 2009. Der Diskurs bietet die Möglichkeit die österreichische Fotographie in einem internationalen Kontext zu sehen, ihren Stellenwert zu überprüfen und sich mit der Notwendigkeit eines Fotomuseums in Österreich auseinanderzusetzen.
Als ehemaliger Direktor des Rupertinums (1998-2001) und der Galleria d’Arte Moderna von Bologna (2001-2007) und nicht zuletzt als ehemaliger Präsident der Internationalen Vereinigung der Kuratoren für Moderne Kunst (IKT) hat der 1944 in Oberbayern geborene und nunmehr als freier Kurator in Innsbruck lebende Peter Weiermair einen beneidenswerten Überblick und einen subtilen Einblick in das zeitgenössische Kunstgeschehen. Für diese Ausstellung versammelte er 32 international renommierte Fotographen, die die Kunst- und Fotografiegeschichte ab 1980 reflektieren. „Es geht nicht um die Konstruktion oder Dekonstruktion des Gesichts (als nur einem Teil des Porträts) vor dem Hintergrund einer Infragestellung der Leistungsfähigkeit des Porträts, ja der Möglichkeit des Wahrheits- und Wirklichkeitsgehalts der Widergabe eines Menschen, sondern um das Porträts nach der Ära des Konzeptualismus und der Selbstbefragung des Mediums Fotografie in den sechziger und siebziger Jahren des vorherigen Jahrhunderts.“ (Zitat Weiermair, Katalog: S. 8).
Die gezeigten Exponate reflektierten aber auch das Menschenbild der letzten drei Jahrzehnte, so Weiermair. Dabei handle es sich um Menschen, die nicht in der Öffentlichkeit stehen oder sogar dem Fotographen unbekannt sind, wie es in der street photography üblich ist. In der Portraitaufnahme in ihrem „rechteckigen Rahmen“ sehe er die Metapher zum „theatralischen Bildausschnitt“, den Fotographen als Regisseur und sein Model als Protagonisten. Auf dieser Bühne spiele sich nun die Entwicklung und die Vielfältigkeit dieser Kunstsparte der letzten Jahre ab: überdimensional große Passbilder, Modeshootings, Schnappschüsse, Akt- und Dokumentationsfotographie. Das Selbstportrait wurde ausgeschlossen, da ausschließlich der „Dialog mit den Anderen“ für diese Ausstellung von Interesse war. Auch das Fototagebuch als Subgenre wurde durch die Arbeiten von der 1953 in Washington D.C. geborenen Nan Goldin eingebunden. Hier hat nicht das Einzelbild Werkcharakter, sondern die Abfolge der wissenschaftlichen Intensionen.
Der für Fotographie zuständige und als Kurator im Stadtmuseum München tätige Ulrich Pohlmann beginnt seinen Essay „Über Portraits in Zeiten der digitalen Wirklichkeit“ im Ausstellungskatalog S. 14-24 mit einer interessanten Feststellung: „ Wir leben in einer auf starke faciale Reize ausgerichteten Gesellschaft, die“ laut Thomas Macho („GesichtsVerluste“ in: Ästhetik und Kommunikation) „ununterbrochen Gesichter produziert“. Daran habe sich in den letzten zehn Jahren nichts geändert.
Die Digitalisierung erleichtert die Suche nach unverbrauchten, frischen Gesichtern für den Marketingbereich.
Und laut Pohlmann besteht die Möglichkeit, dass die digitale Bildtechnologie für die Kunst an Einfluss gewinnen wird. Klons, computergenerierte Modelle sowie Gesichtserkennendesysteme werden auch in der Kunst zu erwarten sein. Die Fotographie hat ihren Wahrheitsanspruch und „die Beglaubigung von Präsenz“ (Roland Barthe), die Authentizität sowie das Rollenspiel zwischen Fotograph und Modell schon lange verloren. Pohlmann schließt seinen Essay mit dem Satz: „Der Fotograf als Autor ist bedeutungslos und hat dem Programmierer das Feld überlassen.“
Unter diesem Aspekt war es an der Zeit eine Auswahl von Fotographen getroffen zu haben, die die letzten 30 Jahre der Portraitfotographie veranschaulichen und repräsentieren. In vierzig Jahren, so meint Weiermair in seinen einführenden Worten bei der Ausstellungseröffnung, würden diese Exponate ein Zeugnis unserer Zeit und unserer Gesellschaft abgeben.
Du sollst dir ein Bildnis machen, nicht nur der letzten Jahre, sondern vor allem von der Gegenwart. Mit diesem Auftrag sieht sich der Besucher der Ausstellung sowie auch Leser des Katalogs konfrontiert. Wenn wir also Gerald Matts Gedankengang der Demokratisierung der Fotographie weiterverfolgen und die Demokratisierung auf die gesamte Kunst projizieren, nicht zuletzt durch die revolutionäre Technologie der Digitalisierung und der Errungenschaft des Internets, kommen wir zur Erkenntnis, dass die Überprüfung des Wahrheitsgehaltes immer undurchsichtiger wird. Gruppierungen formieren sich, deren Mehrheit nun die Wahrhaftigkeit bestimmt.
Unser eigener technischer und kultureller Forschritt hat uns demokratisiert und wir haben es aus Mangel an Verantwortungsgefühl und Disziplin noch nicht einmal bemerkt.
Hier in dieser Ausstellung überwiegt der Eindruck des zunehmend androgyn werdenden Menschen. Fotos mit eindeutiger Zuweisung der Geschlechtlichkeit vermischen sich mit Gesichtern, die geschlechtsorientiert kaum mehr zuzuordnen sind. Hierbei sei besonders Stefano Scheda mit seiner 5-teiligen Installation von C-Prints „ROLL N’ROLL/ The body of the Portrait“ hervorgehoben. Als Kinder erschufen wir gemeinsam Klappzeichnungen von Menschen, deren drei Teile – Kopf, Körper, Beine – abwechselnd verdeckt gezeichnet wurden. Die sonderbaren Resultate von Mann-Frau/ Frau-Mann Figuren amüsierten uns. Scheda vollzieht dieses Kinderspiel in fünf Rollen mit nackten Frauen- und Männerkörpern, die sich als mehrere überlappende Rollen erweisen. Die akribisch durchgeführte Vermischung der Körper zwischen Männern, zwischen Frauen und zwischen Frauen und Männern hinterlässt eine unglaublich nachhaltige Wirkung auf den Betrachter. Die zunächst erheiternde Wirkung durch die Erinnerung an unsere Kindheit erstarrt um das Wissen unseres gelebten Körperkults, eines Wahns, der durch die Stereotypie und Unpersönlichkeit der abgelichteten Modelle ad absurdum geführt wird. Scheda verzichtete auf eine digitale Verarbeitung seiner Idee, vermutlich um den spielerischen Effekt der Variabilität zu unterstreichen.
Ein weiterer Aspekt, den wir in dieser Ausstellung immer wieder finden, ist die Wichtigkeit der Haare. Sei es durch ihre Beschneidung oder ihre Waschung oder die Hervorhebung der Frisur, wie es Hellen van Meene in ihren unbetitelten Exponaten, Wolfgang Tillmann in „Haircut“ oder Andreas Mader mit „Udo“ und „Heike“ zeigen. Hierbei spielt jedoch der Haarverlust keine Rolle. Es ist vielmehr wieder das geschlechterzugeordnete Klischee das gebrochen wird, wie z.B. die Beschneidung des Weiblichen bei einem Mann oder die Reinigung des Männlichen bei einer Frau.
Viele der Fotografen beschäftigen sich mit dem Thema Kind und Heranwachsenden. Ausschließlich mit Jugendlichen befasst sich Valérie Belin, mit Kindern Rineke Dijkstra, Sally Mann, Hellen van Meene und Judith Joy Ross. Andreas Mader zeigt neben matrimonialen auch Mutter-Kind-Beziehungen. Eine sexuelle Annäherung zu Jugendlichen definieren die Arbeiten von Anthony Gayton.
In unserer überalternden Gesellschaft fand interessanterweise nur Bernhard Fuchs Zugang zum Alter. Einzelne Exponate wie „Mali portrait XXVI“ von Jean-Baptiste Huynh und „Alice Neel“ von dem bereits 1989 verstorbenen Robert Mapplethorpe bereichern bezüglich Alter etwas das Bild der Ausstellung.
Kaum nachvollziehbar sind in dieser Ausstellung Teile der nicht betitelten Arbeiten der Serie „bewohner“ von Jitka Hanzlová. Neben einer Fotographie eines Kindes, und das einer Frau mit Hund, sind ein Pfau, ein Teil eines Wohnwagens und Spuren am Asphalt ausgestellt.
Ein nicht dominierender Teil der Ausstellung widmet sich Aufnahmen von Stars, vorwiegend Schwarz-Weiß-Fotographien und Auftragsarbeiten der Fotographen Greg Gorman, Anton Corbijn, Andrea Cometta und Peter Hujar mit bekannten Gesichtern aus der Gay-Szene.
Wie Gemälde wirken im Gegensatz zum Rest der Ausstellung die großformatigen Exponate von Tina Barney, deren Ambiguität sich in Schnappschuss- und ausgefeilter Kompositionsästhetik manifestiert.
Aufgeplusterte Portraits im Stil eines Passphotos, wie die von Thomas Ruff, der gleichzeitig in der Kunsthalle Wien in Halle 1 mit eine Einzelausstellung vertreten ist, entpersonifizieren den Menschen und stehen im glatten Gegensatz zu den Aufnahmen von Luigi Gariglio, der seine Projektarbeiten am Bsp. „Lap Dancer“ als politischen und sozialen Akt sieht.
Es sind nur Nuancen, eben das Zusammenwirkung von Fotograph und Modell, welche ein völlig anderes Bild des Menschen mitteilen. Im Übrigen dürften sich die Fotographen darüber einig sein, dass es nicht möglich ist weder mit einer noch mit tausend anderen Aufnahmen einen Menschen festzuhalten. Die Wahrhaftigkeit als solche wurde also schon immer in Frage gestellt, ja, war seit jeher ein Ding der Unmöglichkeit. Max Frischs erwähnte Zweifel haben weiter Bestand.
Der Katalog unterscheidet sich kaum spürbar von der Anzahl der Werke der Ausstellung. Mit Ausnahme von Peter Hujar konnten von jedem Fotographen und jeder Fotographin Statements zu ihren Werken eingebracht werden. Im Anhang befinden sich ihre Kurzbiographien, Bibliographien und detaillierte Angaben zu den publizierten Werken.
Für die Statistik: Von den 32 ausgewählten Künstlern sind genau die Hälfte weiblich, eine eindeutig starke amerikanische Präferenz beherrscht ein Drittel der Ausstellung, 2/3 kommen aus Europa, mit Ausnahme von dem in Jerusalem aber in Amerika und Europa lebenden Michael Clegg. Österreich ist mit Leo Kandl, Bernhard Fuchs und Gerhard Klocker vertreten.
Eine ausgezeichnete Ausstellung samt Katalog zum Thema Portraitfotographie der letzten 30 Jahre.
Eine Ausstellung, die man trotz komplexem Thema und schwerwiegender Aussagen der Exponate beschwingt verlässt, wahrscheinlich wegen der hervorragenden Aufarbeitung und Kuratorenarbeit und die dennoch, wenn man es will, nicht nur zum Nachdenken anregt, sondern auch inspiriert, kurzum eine großartige Mischung von Gefühlen bei den Besuchern erweckt.